Mit „Kommissar Pascha“ erfindet die ARD am Donnerstag einen bayrischen Ermittler mit türkischem Migrationshintergrund. Auch sonst macht die neue Reihe vieles erfrischend anders als im deutschen Krimieinerlei üblich.

Stuttgart - Die Erzählung der weltweit erfolgreichsten Krimireihe deutscher Herkunft ging in gefühlt 250 von 281 Fällen so: Im noblen Münchner Vorort Grünwald stirbt irgendwer mit viel Geld eines gewaltsamen Todes, gern per Messer oder Gift. Kurz darauf entsteigen Derrick und Harry ihrem Auto der Marke BMW, klingeln an einem Gebäude der Bauart Residenz, treffen dort distinguierte Damen im Pelzmantel, meist Ruth Maria Kubitschek, verhaften am Ende deren standesbewussten Mann, meist Wolfgang Kieling, und verlassen die Upper Class, um zurück ins biedere Bürgertum zu gehen. Doch so fremd sich Ober- und Mittelschicht bei „Derrick“ auch waren, so hermetisch die eine Welt von der anderen abgeschlossen war, eines hatten sie 24 Serienjahre doch gemeinsam: Villenbesitzer namens Güzeloglu gab‘s bei „Derrick“ nirgends, Polizisten namens Demirbilek schon gar nicht. Und selbst Tatverdächtige hießen niemals Furat oder Gül.

 

Wie sich die Zeiten ändern!

Im Grünwald der fernsehkriminalistischen Gegenwart sind die Herrensitze nicht mehr – wie damals – protzig verziert, sondern kubistisch schlicht, doch die Bewohner sind noch immer Unternehmer. Ihren Reichtum allerdings haben sie nicht zwingend über Generationen mit Maschinenbauteilen erwirtschaftet, sondern auch mal aus eigener Kraft mit Dönerfleisch. Genau damit hat es Süleyman Güzeloglu in die Oberen Zehntausend gebracht, wo er es sich sogar ein bisschen deutscher als seine eingeborenen Nachbarn gut gehen lässt. Bis ihm Zeki Demirbilek als „Kommissar Pascha“ in die Quere kommt, ein lässig-cooler Grantler mit ortsüblichem Idiom, wie er wohl nur in der Schickimicki-Hauptstadt glaubhaft ist.

Kosmopolitisch, ohne in Zuwanderungsfolklore abzurutschen

Am gewohnt mörderischen Donnerstagabend im Ersten leitet er eine „Migra“ genannte Abteilung der örtlichen Polizei, die im fremdländisch geprägten Milieu ermittelt. Deutsche Kollegen sind dabei eher beiläufige Sidekicks von latent rassistischer Inkompetenz, Landsleute seiner Ahnen hingegen zum Niederknien cool wie Zekis Assistentin Jale Cengiz, popmodern kernig verkörpert von der hinreißenden Almila Bagriacik. Auch wenn der Auftaktfall sogleich mit Ehrenmord, Jungfernhäutchen, arrangierter Ehe und einer Leiche zu tun hat, der das arabische Wort für „Teufel“ mit Heftzwecken in die Brust gestanzt wurde, ist das Setting kosmopolitisch, ohne in Zuwanderungsfolklore abzudriften.

Das liegt vor allem an Tim Seyfi. Der bayerische Schauspieler, 1971 als Timur Seyfettin Ölmez im Herzen der Türkei geboren, füllt seine Titelfigur mit einer Authentizität, die er in ansehnlichen Episodenrollen mit Migrationshintergrund von „Polizeiruf“ bis „Tatort“ kultiviert hat. Nach dem Roman von Su Turhan inszeniert der Regisseur Sascha Bigler seinen Helden als Mitglied zweier Kulturkreise, die sich fern und doch so nah sind – und mithin nur eines coolen Grenzgängers wie den hier benötigen, um etwas besser miteinander klarzukommen. Gewiss, manchmal wirkt der vorbildlich assimilierte Eigensinn leicht konstruiert, wenn Zeki Demirbilek seinen Frust über die (vielen) Frauen in seinem Leben mit Raki und Obstler ertränkt oder mit akkurat gefalteten Taschentüchern im Schrank deutschen Ordnungssinn zeigt, bevor er jedem Leichenfund ein Gebet zu Allah hinterherschickt. Trotzdem ist der Wille aller Beteiligten spürbar, in der neuen Reihe multikulturelle Differenz nicht bloß auszustellen, sondern durchzufühlen.

Ertrunken im bayrischen Bier

Das unterscheidet „Kommissar Pascha“ angenehm vom gängigen Bild des vermeintlichen Ausländers im inländischen Film. Jahrzehntelang sind dort nur drei Typen geduldet worden: Kriminelle, Armutsopfer, Islamisten, nicht selten in Personalunion. Neuere Serien wie „Dimitri Schulze“ mit Adam Bousdoukos als griechischer Anwalt am Mannheimer Brennpunkt oder Fahri Yardim als durch und durch norddeutschem Kommissar an Til Schweigers Hamburger „Tatort“-Seite zeigen allerdings, dass sogar das klischeeanfällige Fernsehen in der Lage ist, sich von seinen Stereotypen zu entfernen.

All die Damen in Zeki Demirbileks emotional eher unübersichtlichen Leben müssen natürlich dennoch bildhübsch sein, ein Bombengürtel kommt selbstredend auch vor, und Christian Paschmanns arabeske Blasmusik im Hintergrund geht nach einer Weile doch auf den Geist. Davon abgesehen aber macht die Pilotfolge durchaus Lust auf die Fortsetzung am Donnerstag nächster Woche. Am Anfang steht dann wieder ein türkisches Mordopfer. Es ist allerdings in bayerischem Bier ertrunken. Prosit!