Die Alt-Stadträtin Roswitha Blind feiert am 1. März ihren 70. Geburtstag. Wir haben mit ihr in Erinnerungen gekramt.

Stadtleben und Stadtkultur : Alexandra Kratz (atz)

Vaihingen - Roswitha Blind hat ihre alten Fotos und Dokumente geordnet. Am Samstag, wenn die Geburtstagsgäste kommen, möchte sie eine Präsentation machen. Bei dieser Gelegenheit fand sie auch ihre Doktorarbeit. 1973 schloss Blind ihre Promotion im Studienfach Mathematik an der Uni Stuttgart ab. „Und damals gab es noch keine Urkunden für Frauen“, sagt Blind und lacht. Handschriftlich habe das Prüfungsamt auf dem Formular in der Anrede den „Herr“ mit „Fräulein“ ersetzt.

 

Die Mathematik habe sie schon immer fasziniert. „Aber es ist eine kalte Wissenschaft, den Menschen gibt es darin nicht“, sagt sie. Darum habe sie sich während ihres Studiums in der evangelischen Jugendarbeit engagiert. Dabei habe sie immer wieder gemerkt, dass auch politischer Handlungsbedarf besteht. Man müsste sich mehr engagieren, habe sie gedacht und sich vorgenommen, wenn sie die Jugendarbeit aufgebe, in die SPD einzutreten. So kam Blind 1990 zur Politik. Im Vaihinger Ortsverein wurde sie schnell Schriftführerin und 1998 schließlich Vorsitzende. Mit diesem Amt habe sie auch die Aufgabe gehabt, einen Vaihinger Kandidaten für die Gemeinderatswahl 2004 zu finden. Und weil sie keinen fand, kandidierte Blind einfach selbst. Mit Erfolg, viele Jahre lang war sie sogar Fraktionsvorsitzende. „Mathematik und die Politik haben einiges gemeinsam“, findet Blind. In beiden Fällen habe man ein Ziel, müsse genau analysieren und den Beweis führen beziehungsweise den Weg finden, um dieses Ziel zu erreichen.

Viele kleine und große Erfolge

Erreicht hat Blind als Kommunalpolitikerin einiges. 1998 ging es vor allem um die Bebauung des Schwabenbräu-Areals. Die SPD brachte damals die Gründung der Initiative Schwabenbräu-Areal (ISA) ins Rollen. Gemeinsam kämpfte man dafür, dass die Schwabengalerie kein geschlossener Klotz wird. Heute ist Blind froh, dass es die Galerie gibt. Nicht alles sei ideal gestaltet, aber vor dem Hintergrund dessen, was ursprünglich geplant gewesen sei, habe man einige Erfolge verbuchen können. Mit dem Bürgerforum ist Blind weniger zufrieden. Das Negativbeispiel Vaihingen zeige, dass so etwas besser von der Stadt selbst geplant werde und nicht als Anhängsel eines Investorenprojekts.

Auf ihre vielen kleinen und großen Erfolge blickt Blind nicht ohne Stolz zurück. Damals habe es eine grün-rote Mehrheit im Gemeinderat gegeben, was manches leichter gemacht habe. Die Bebauung von kleineren Freiflächen wie den Rappenäckern in Sonnenberg und eines Grundstücks am Ende der Vaihinger Straße habe zur Debatte gestanden und verhindert werden können. Den Rückbau der Vaihinger Heerstraße und die Ausweisung als Tempo-30-Zone, der Umbau der Stiftswaldstraße im Lauchhau, Tempo 30 vor Schulen und Tempo 40 auf Steigungsstrecken seien Projekte gewesen, bei denen sie den entscheidenden Stein ins Wasser geworfen habe. Diese und viele weiteren Erfolge sind Blind in Erinnerung geblieben. „Es war eine schöne Zeit, aber auch sehr anstrengend und zeitaufwendig“, sagt sie. Darum sei es ihr nicht schwer gefallen, 2014 das Amt aufzugeben und nicht mehr zu kandidieren.

Mehr Zeit für den Ehemann und die Enkel

Sie habe noch Zeit mit ihrem Mann verbringen wollen, so lange beide noch gesund und fit sind. Bis heute reserviert sich das Paar jeden Donnerstag für gemeinsame Unternehmungen. Außerdem habe sie nun viel mehr Zeit für ihre sieben Enkel. Sie bringt das Jüngste ins Bett, wenn die Eltern abends mal unterwegs sind, und übt mit den älteren Kindern Latein. Und Blind liebt die Gartenarbeit. Seit dem sie im Ruhestand sei, habe sie 150 bis 200 neue Stauden gepflanzt und viele Blumenbeete neu angelegt. Mit der Gartenarbeit sei es ein bisschen wie mit der Politik: Man sähe zarte Pflänzchen, müsse sie pflegen, abwarten, was draus werde und gegebenenfalls noch einmal nacharbeiten.

Im SPD-Ortsverein ist Blind nach wie vor aktiv, aber eben nicht mehr an vorderster Front. Sie sagt ihre Meinung, wenn sie gefragt wird, will sich aber nicht mehr einmischen. Und am allerwenigsten vermisse sie die langen Sitzungen, seien es die des Gemeinderats im Stuttgarter Rathaus oder die des Bezirksbeirats in der Alten Kelter.