Der Streit über den Bildungsplan der Landesregierung und die öffentliche Debatte über die Benachteiligung nicht heterosexueller Arbeitnehmer in kirchlichen Einrichtungen hat das Thema in Stuttgart auf die politische Agenda gesetzt.

Stuttgart - Wie stellt sich die Stadtgesellschaft zum Umgang mit sexueller Vielfalt? Diese Frage hat an Aktualität gewonnen, seit die Kommunalpolitik den Umgang der kirchlichen Träger mit Menschen thematisiert hat, deren sexuelle Orientierung nicht dem kirchlichen Leitbild entspricht. Im speziellen Fall ging es um die Frage, wie die katholische Kirche mit schwulen oder lesbischen Angestellten umgeht, wenn deren Beziehung öffentlich wird. Die Debatte hat auch eine finanzielle Dimension bekommen: In einem interfraktionellen Antrag hatten die Stadträte als Voraussetzung für die finanzielle Gleichstellung sogenannter Tendenzbetriebe bei städtischen Zuschüssen auch die Forderung nach Gleichstellung aller Beschäftigten bei der Einstellung und Beschäftigung erhoben.

 

Vor allem die Grünen wurden in der Folge zur Zielscheibe der Kritik aus Kirchenkreisen, hatten sie sich doch am deutlichsten artikuliert. Bei einem Gespräch zwischen Kirchenvertretern und Fraktionsmitgliedern wurden mittlerweile die Standpunkte ausgetauscht – und man vereinbarte, im Gespräch zu bleiben.

Bei der CDU ist das Thema parteiintern noch immer umstritten

Christoph Michl, der Vorstand der Interessengemeinschaft Christopher Street Day (IG CSD), findet es „positiv“, dass der Umgang der Tendenzbetriebe mit der sexuellen Vielfalt vom Gemeinderat thematisiert worden ist. Allerdings hofft er, dass das Ganze damit nicht „ad acta“ gelegt wird. Der Gemeinderat, so Michl, solle sich nicht von juristischen Gutachten zum kirchlichen Arbeitsrecht entmutigen lassen und stattdessen versuchen, mit den freien Trägern einen Kompromiss auszuloten.

Im Rat und in den Stuttgarter Kreisverbänden der Parteien ist das Thema sexuelle Vielfalt längst angekommen. Der CDU-Parteichef Stefan Kaufmann bekennt sich offen zu seiner Beziehung mit einem Mann und streitet in Talkshows mit Parteifreunden über das klassische CDU-Familienbild. Auch der CDU-Fraktionschef Alexander Kotz hält mit seinem Schwulsein nicht hinter dem Berg. Gerade bei der CDU ist das Thema gleichwohl umstritten – der eher traditionell orientierte Flügel der Partei tut sich schwer. Ein gefundenes Fressen für die Konservativen war der neue Bildungsplan der grün-roten Landesregierung, der dem Thema sexuelle Vielfalt einen breiten Stellenwert einräumen sollte.

CSD-Sprecher Christoph Michl sieht Stuttgart ebenfalls auf einem guten Weg. „Grundsätzlich glaube ich, dass das Thema sexuelle Vielfalt in der Landeshauptstadt angekommen ist – bei allen Parteien“, sagt der Gesamtleiter des Christopher Street Day und Stuttgarter Sprachrohr der LSBTTIQ-Bevölkerung. Hinter dieser Abkürzung verbergen sich die sexuellen Identitäten lesbisch, schwul, bisexuell,transsexuell, transgender, intersexuell und queer. Bei queer handelt es sich selbst um einen Sammelbegriff für die verschiedenen Identitäten. Der Begriff ist aber umstritten. Deshalb bevorzugt man bei der IG CSD die lange Abkürzung LSBTTIQ.

Im Sommer weht die CSD-Regenbogenflagge vor dem Rathaus

Ein wichtiges positives Signal für die Community sei, dass die Regenbogenflagge während des CSD im Sommer vor dem Rathaus weht, sagt Michl. Rund um die Großveranstaltung, deren Höhepunkt die Politparade ist, gebe es „keinerlei Probleme“. Ob Ordnungsamt, Polizei oder Rettungskräfte – mit allen arbeite man harmonisch zusammen.

Dass die Gemeinderatsfraktionen dem Thema sexuelle Vielfalt offen gegenüberstehen, macht Michl auch daran fest, dass es gar kein Problem gewesen sei, für den Wahlcheck der Community im schwul-lesbischen Zentrum Weissenburg am 7. Mai Vertreter der Parteien zu gewinnen. Letztlich zählten aber nicht nur gute Absichten, sondern, dass etwas herauskommt.

Kommunalomat zur Wahl in Stuttgart

Öffentliche Beratungsstelle für Schwule und Lesben notwendig

Hier nennt Michl einige Aspekte, die neben einer größeren Toleranz seitens der kirchlichen Träger als Arbeitgeber wichtig wären: So gebe es bis heute keine offizielle Beratungsstelle für Schwule und Lesben, die mitten in ihrem Coming-out stecken. Gerade für Menschen mit Migrationshintergrund sei solch eine Institution aber wichtig, meint der CSD-Vorstand. Im Zentrum Weissenburg werde zwar ehrenamtlich Beratung geleistet, aber eine hauptamtliche Kraft arbeite dort nicht.

Ebenfalls ein Thema, das der Community am Herzen liegt: die künftige Gedenkstätte Hotel Silber. Der Gebäudeabriss wurde bekanntlich von einer Bürgerbewegung verhindert. Auch die IG CSD war an den Protesten beteiligt – und will nun einbezogen werden, wenn es um die inhaltliche Ausgestaltung geht. Das Schicksal der Homosexuellen dürfe in der Gedenkstätte nicht nur am Rande gestreift werden, sagt Michl: „Ich sehe aber positive Tendenzen.“

So denken die Grünen über sexuelle Vielfalt

Die Grünen wollen das gesellschaftliche Klima der Anerkennung und der Toleranz in Stuttgart verteidigen. Eine weltoffene, liberale Stadt zeige sich besonders im Umgang mit vielfältigen Lebensformen und Identitäten. So habe die Diskussion über die Bildungsplanreform gezeigt, „dass in unserer Gesellschaft der Umgang mit sexueller Vielfalt noch nicht selbstverständlich und Engagement für Gleichstellung und Diskriminierungsfreiheit weiter erforderlich ist“.

Deshalb setzt sich die Kreispartei ein für Initiativen und Vereine, die sich für Akzeptanz und gleiche Rechte von Homosexuellen, Bisexuellen, Transgendern und Intersexuellen engagieren. Zudem strebe man auch für Stuttgart einen Aktionsplan an, in dem Konzepte und Maßnahmen entwickelt werden, die Intoleranz weiter abbauen helfen und Benachteiligungen entgegenwirken.

So denkt die CDU über sexuelle Vielfalt

Die CDU ist prinzipiell auch der Ansicht, dass die sexuelle Identität eines Menschen nicht vorgeschrieben werden kann „und soll“. Dies müsse Grundkonsens in einer liberalen Gesellschaft sein. Diskriminierung aufgrund der individuellen sexuellen Ausrichtung dürfe darin keinen Platz finden. Bezüglich gelebter Toleranz sieht sich die CDU Stuttgart als gutes Vorbild.

Kritik äußert die Partei aber am Entwurf des Bildungsplans der Landesregierung: Darin sei der Stellenwert, der dem Thema sexuelle Vielfalt beigemessen wird, überzogen: „Wir lehnen es ab, den Toleranzbegriff auf dieses Thema zu reduzieren. Die Werteerziehung ist zudem in erster Linie Aufgabe der Eltern.“ Die Kreispartei plädiert für eine umfassende Diskussion des Bildungsplans, die auch andere Aspekte wie etwa Kompetenzen und Stundentafeln umfasst. Dabei sollen alle gesellschaftlich relevanten Gruppen eingebunden werden.

So denkt die SPD über sexuelle Vielfalt

Für die SPD sind der gegenseitige Respekt, Solidarität und Toleranz die Basis für den Zusammenhalt einer Stadtgesellschaft: „Wir stehen als Stuttgarter Sozialdemokraten daher für eine weltoffene Stadt, die geprägt ist von Vielfalt und respektvollem Miteinander.“ Man trete dafür ein, dass Alter, Geschlecht, Herkunft, Glaube und sexuelle Orientierung keine Rolle spielen dürfen.

Zwar solle Stuttgart eine Stadt sein, in der Familien gerne leben, denn eine gute Zukunft sei ohne Familien mit Kindern und mit Großeltern nicht vorstellbar. Klar ist für die Sozialdemokraten aber, „dass wir niemandes persönlichen Lebensstil infrage stellen. Familie ist da, wo Menschen persönlich füreinander Verantwortung übernehmen.“ So sehr die Akzeptanz sexueller Vielfalt für die SPD eine Selbstverständlichkeit ist, so bedürfe es steter Anstrengung, dafür in der Gesellschaft zu werben.

So denken die Freien Wähler über sexuelle Vielfalt

Die Freien Wähler machen es beim Thema sexuelle Vielfalt kurz. „Das ist für uns selbstverständlich“, lautet das politische Kredo der Wählervereinigung.

So denkt die FDP über sexuelle Vielfalt

Die FDP ist bei diesem Thema ähnlich wie die Freien Wähler eher kurz angebunden: „Vielfalt und Toleranz sind für uns selbstverständlich. Wir glauben daran, dass die Menschen selber entscheiden können, wie sie glücklich werden wollen“, so die Liberalen.

So denken SÖS/Linke über sexuelle Vielfalt

Die SÖS bekennt sich zur Vielfalt: „Benachteiligungen aufgrund Alter, Herkunft, Geschlecht, Religion, Behinderung oder sexueller Identität dürfen wir in unserer Stadt nicht dulden“, heißt es. Es gebe keinen Grund, Heterosexuelle in irgendeinem Bereich anders zu behandeln als Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, Transgender, Intersexuelle und Queers. Alle Träger, die von der Stadt gefördert werden, und dazu gehören auch die kirchlichen Träger, müssten sich an das Gleichbehandlungsgesetz halten.

Ziel der Linken ist ein vorurteilsfreier und wertschätzender Umgang mit allen Menschen, ungeachtet ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität. Die Partei fordert, im Hotel Silber einen Schwerpunkt zur Erforschung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit einzurichten. Zudem müsse ein umfassenden Diskriminierungsschutz überall dort her, wo städtische Zuschüsse an Einrichtungen fließen.