Die Stimmung im Ort Zimmern unter der Burg war schon besser. Seit alle Gemeinderäte erklärt haben, dass sie am 25. Mai nicht mehr gewählt werden wollen, ist nichts mehr wie zuvor. Ein Lagebericht.

Region: Verena Mayer (ena)

Zimmer unter der Burg - Die Wege, die sich durch Zimmern unter der Burg schlängeln, sind so märchenhaft, dass der Spaziergänger hofft, sie hätten kein Ende. Der Wald grünt so zauberhaft, dass es verlockend erscheint, sich darin zu verlieren. Die Butterblumen auf den Wiesen strahlen so satt, als wären sie mit Gold kandiert. Und der Glockenturm der Marienkapelle markiert die Spitze dieses ländlichen Idylls. Gäbe es in Zimmern unter der Burg ein Hotel, der Ort dürfte sich ungeniert Urlaubsparadies nennen.

 

Aber: es gibt kein Hotel. Zimmern unter der Burg hat auch keinen Bäcker, keinen Lebensmittler, keinen Arzt und keine Schule. Nicht einmal die Burg, die dem Ort zwischen Rottweil und Balingen seinen Namen gab, steht noch. Statt Touristen sagen sich in Zimmern Fuchs und Has’ gute Nacht. Und die Einwohner, die sich alle kennen. Sind ja nicht mal 500. 479, um genau zu sein.

Die Stimmung im Ort war schon besser. Seit alle Gemeinderäte erklärt haben, dass sie am 25. Mai nicht mehr gewählt werden wollen, ist nichts mehr wie zuvor. Zum ersten Mal in der Geschichte von Zimmern unter der Burg gibt es hier einen richtigen Kommunalwahlkampf, weil in Zimmern unter der Burg zum ersten Mal eine richtige Kommunalwahl stattfindet. Am Anfang hatten die Bürger die Sorge, dass sich keine Kandidaten für das Ehrenamt finden. Doch nun gibt es sogar mehr Bewerber als Plätze im Gemeinderat. Weshalb im Paradies Zimmern unter der Burg nun die Ruhe gestört ist.

Die unruhige Zeit beginnt am 30. Januar. In ihrer ersten Sitzung des Jahres verkünden alle acht Gemeinderäte, dass sie bei der Kommunalwahl nicht mehr zur Wahl stehen. Sechs von ihnen begründen ihre Unlust mit der chaotischen Amtsführung des Bürgermeisters. Die anderen zwei hätten sich ohnehin zurückgezogen, doch das geht im allgemeinen Aufruhr unter. „Alle acht werfen den Bettel hin“, schreibt die Lokalzeitung. „Gemeinderat will wegen Kritik am Bürgermeister geschlossen abtreten“, druckt die Deutsche Presse-Agentur – und macht Zimmern unter der Burg schlagzeilenartig bundesweit bekannt. Ebenso Elmar Koch, den Bürgermeister.

Seit 18 Jahren Bürgermeister

Bürgermeister Elmar Koch Foto: Mayer
Elmar Koch ist ein nicht sehr großer Mann, der nicht ganz aufrecht geht. Sein Haar steht wild vom Kopf ab, sein Hemd ist nicht porentief rein, und die Frage, warum er Bürgermeister in Zimmern unter der Burg werden wollte, beantwortet er so: „Das hat sich so ergeben, weil die Stelle frei war.“ Elmar Koch hat diese Stelle seit 18 Jahren. Er macht das nebenberuflich und bekommt dafür rund 2000 Euro netto im Monat. Im Hauptberuf arbeitet der 56 Jahre alte Verwaltungswirt bei der Stadt Geislingen in der Nähe von Balingen. Die großen Aufgaben – die Planung des Haushalts, die Abrechnung der Löhne für die Bauhof- und Kindergartenmitarbeiter, das Versenden der Steuer- oder Abwasserbescheide – übernimmt der Gemeindeverwaltungsverband Oberes Schlichemtal. Alles andere macht die kleine Gemeinde selbst. Die Frage, die sich seit dem 30. Januar stellt, ist nur: Wie macht sie das?

Das Bild, das die Boykott-Räte von der Arbeit im Ort zeichnen, klingt nach Kuddelmuddel.

Wann die monatlichen Sitzungen im Bürgerhaus stattfinden, erfahren sie stets äußerst kurzfristig, oft sogar erst aus dem Amtsblatt. Und wenn sie dann stattfinden, ziehen sich die Zusammenkünfte über Stunden, weil der Bürgermeister Unterlagen vergessen oder nicht vorbereitet hat. Zum Beispiel: zwei Sitzungen lang dauerte die Diskussion über die passende Stelle für die neue Hinweistafel vor der Gemeindehalle. Weil sie dann trotzdem falsch platziert wurde, war eine dritte Zusammenkunft nötig.

In Zimmern kursieren viele solche Geschichten. Am meisten sagt wohl die von Elmar Kochs jüngster Wiederwahl vor zwei Jahren: Der Bürgermeister verteidigte sein Amt knapp, mit einer Mehrheit von fünf Stimmen. Vor dem Bürgerhaus wartete in klirrender Kälte der Musikverein und der Liederkranz darauf, dem Sieger ein Ständchen zu spielen. Wer erst kam, als die Musikanten stinksauer abgezogen waren, war Elmar Koch. Er wollte seinem Gegenkandidaten nicht begegnen.

Elmar Koch will über die Unruhe in seiner Gemeinde eigentlich nicht reden. Er sieht darin keinen Sinn. „Wenn die anderen sagen, ich bin nicht kompetent – soll ich dann etwa sagen, ich bin kompetent?“ Als sich Koch dann doch noch zum Reden entschließt, sagt er: „Ja gut, ganz unrecht haben die anderen vielleicht nicht. Manches könnte besser laufen.“

Der Feuerwehrkommandant fackelt nicht lange

Der Feuerwehrkommandant von Zimmern unter der Burg fackelt nicht lange, als er im Januar erfährt, dass die bisherigen Räte ihrer Gemeinde den Dienst versagen. Roland Wäschle, im Hauptberuf Maschinenbautechniker, macht sich auf die Suche nach Kandidaten. Er ahnt, wie die Wahl am 25. Mai sonst ausgehen wird: Gewählt werden die, die bei den Feschdle am längsten hocken bleiben. Weil man sie halt kennt. So war das schon immer in Zimmern. Mehrheitswahl eben: gibt es nur einen oder auch gar keinen Wahlvorschlag, können auch Bürger Stimmen erhalten, die gar nicht kandidieren. „Keine gute Ausgangssituation“, analysiert Roland Wäschle und beginnt, Klinken zu putzen.

Der 36-Jährige will mindestens 16 Kandidaten finden, die sich dann auf zwei Listen à acht Personen verteilen. Die Bürger sollen eine richtige Wahl haben, so wie das in anderen Kommunen üblich ist. Verhältniswahl heißt es dort. Drei Wochen lang zieht der Kommandant Abend für Abend durch Zimmern und sucht Mitstreiter. Mitte März muss Roland Wäschle allerdings erkennen: „Nur wenige sind bereit, so etwas spontan zu machen.“ Nur wenige heißt: sieben.

Schlechte Aussichten für die erste Zimmerner Wahl mit Auswahl.

Dann wird Gerhard Effinger aktiv. Der 69-Jährige ist Ehrenvorsitzender des Sportvereins und organisiert den Seniorenstammtisch. Von 1980 bis 1994 war er Gemeinderat des Ortes, in den er geradezu verliebt ist („Schöner geht’s kaum“). Nach der Rücktrittserklärung seiner Nachfolger will er sich selbst ein Bild von den Zuständen machen und besucht eine Ratssitzung. Was der Zuschauer Effinger an jenem Märzabend sieht, erinnert an die Geschichte mit der Hinweistafel vor der Halle.

Die Kommunalpolitiker sollen 50 000 Euro frei geben, damit die Gemeinde ramponierte Straßen und Wege sanieren kann. Doch niemand weiß, um welche Straßen und Wege es sich überhaupt handelt. „Das muss man sich mal vorstellen“, donnert Gerhard Effinger noch zwei Monate nach dieser Sitzung, die für ihn zum Erweckungserlebnis wird. „Du musst was tun“, befiehlt er sich nach einer schlaflosen Nacht und geht ebenfalls auf die Suche. Es dauert nicht lange, und der bestens vernetzte Gerhard Effinger präsentiert seine Truppe.

Kaum inhaltliche Unterschiede

Damit gibt es doch noch zwei Listen: Die Schwarzenbach-Liste von Roland Wäschle und die Liste Aktiv für Zimmern von Gerhard Effinger, der selbst allerdings nicht antritt. Als Anführer hat der Rentner den 48  Jahre alten Vermögensberater Bernd Mayer gewonnen. „Wenn du nicht mitmachst, darfst du nie wieder schimpfen“, redete er ihm ins Gewissen. Die Premiere für die erste Verhältniswahl von Zimmern unter der Burg ist gerettet.

Bei näherer Betrachtung sind die Unterschiede zwischen den beiden politischen Lagern allerdings nicht allzu groß. Was im Programm der Schwarzenbach-Liste „Suche nach einem geeigneten Raum für die Zimmerner Jugend“ heißt, nennt sich bei Aktiv für Zimmern „Engagement für Jugendraum“. Was bei der Schwarzenbach-Liste mit „Suche nach einem geeigneten Raum für Ältere“ skizziert ist, umschreibt Aktiv für Zimmern mit „Engagement für Seniorentreff“. Die Schwarzenbach-Liste verspricht „Bürgernähe und Mitbestimmung“, Aktiv für Zimmern kündigt „mehr Bürgerbeteiligung“ an. Und beide Listen wollen dem Bürgermeister einen „engagierten Gemeinderat an die Seite“ stellen.

Differenzen entstehen eher auf der persönlichen Ebene. Die Liste Aktiv für Zimmern etwa nimmt erstaunt zur Kenntnis, dass auf der Schwarzenbach-Liste viele nicht einheimische Namen stehen. Können sich Reing’schmeckte auskennen? Die Schwarzenbach-Liste hingegen ist aufgefallen, dass die Aktiv-Liste aus eng miteinander verbandelten Zimmerner Urgesteinen besteht. Machen die nicht nur ihr eigenes Ding? Und überhaupt: Warum kandidieren dort Personen, die einen Einsatz als Gemeinderat kategorisch ausgeschlossen haben, als Roland Wäschle sie rekrutieren wollte?

Information oder Intrige?

Am meisten Diskussionsstoff liefert jedoch der Anruf aus dem Landratsamt. Dort war die Information aufgelaufen, Wäschle rekrutiere gezielt bürgermeisterfreundliche Kandidaten – im Auftrag des Bürgermeisters. „So ein Quatsch“, schimpft Wäschle, der die Information als Intrige entlarven konnte. „Das kann man sich gar nicht vorstellen, dass so was in einem Ort mit nicht einmal 500 Einwohnern passiert.“

Seit Neuestem gibt es in diesem Ort noch viel mehr, was man sich nicht vorstellen konnte: Flyer, auf denen sich die Listen vorstellen. Veranstaltungen, bei denen erklärt wird, wie das mit dem Kumulieren und Panaschieren der Stimmen funktioniert. Kandidatenvorstellungen und – ganz was Besonderes – sogar Aufkleber mit Wahlwerbung.

Und Elmar Koch, wie findet der das alles? Der Bürgermeister sitzt hinter seinem Schreibtisch im Bürgerhaus, umarmt einen Ordner auf seinem Schoß und sagt: „Ja gut, man muss schauen, dass man mit den Leuten auskommt.“

Was wird werden?

Elmar Koch sagt auch, dass es natürlich schöner sei, wenn man keinen Anlass zur Kritik liefere. Dass man sich aber nicht von heute auf morgen ändern könne: „Man ist, wie man ist.“ Trotzdem will er daran arbeiten, dass die Zusammenarbeit mit den Räten künftig besser klappt. Er hat sich vorgenommen, die Termine für die Ratssitzungen früher bekanntzugeben. Er hat eine Besichtigung der ramponierten Straßen und Wege einberufen und will die Treffen mit dem Gemeinderat und sich selbst besser vorbereiten. Außerdem hat der Bürgermeister seinen Noch-Räten in der Sitzung am Gründonnerstag „Schöne Ostern“ gewünscht. Das ist deshalb erwähnenswert, weil er nach der Sitzung vor Weihnachten wunschlos aus dem Saal gehastet war – zum Entsetzen der Ratsrunde. „Das ist halt irgendwie untergegangen.“

Nach der Eruption im Januar hat der Landrat des Zollernalbkreises den Bürgermeister ins Gebet genommen. Der Landrat, berichtet Koch, habe ihm zu verstehen gegeben, dass er nicht ewig Bürgermeister von Zimmern sein müsse. Und? – „Darüber habe ich nicht weiter nachgedacht.“

Vor der Zimmertür brummt ein Horn und eine Trompete trötet. Der Musikverein probt im Bürgerhaus für sein großes Konzert am nächsten Tag. Er übt „Que sera, sera“. Was wird werden?