Noch immer gibt es im Stuttgarter Gemeinderat ideologische Grabenkämpfe zwischen Autofetischisten und Fahrradfanatikern. Nachhaltige Lösungen der Verkehrsprobleme sind gefragt.

Stuttgart - Der jüngste politische Streit im Gemeinderat um die temporäre Sperrung der Hofener Straße hat noch einmal gezeigt, wo im Rathaus die Konfliktlinien in der Verkehrspolitik verlaufen. Während die ökosoziale Mehrheit mit OB Fritz Kuhn (Grüne) an der Spitze einen grundlegenden Wandel weg vom Auto und hin zu ÖPNV, Rad- und Fußgängerverkehr einleiten will, plädieren CDU, FDP und Freie Wähler dafür, dem Bürger selbst die Wahl aus einem Mix von verschiedensten Verkehrsträgern zu überlassen. Dabei sind beide Seiten bemüht, sich nur ja nicht dem Vorwurf auszusetzen, man setze einseitig nur aufs Auto oder nur aufs Fahrrad. Schnittmengen ergeben sich etwa bei Themen wie Elektromobilität und dem weiteren Ausbau des ÖPNV.

 

Fakt ist: Die Landeshauptstadt als „Wiege des Automobils“ hat wie kaum eine andere Großstadt unter der Belastung durch Feinstaub und Stickoxiden zu leiden. Bis Mitte April wurden an der Messstation Neckartor die Grenzwerte für Feinstaub schon an 44 Tagen überschritten. Erlaubt sind 35 – wohlgemerkt im Jahr.

Kommunalomat zur Wahl in Stuttgart

Die Luftverschmutzung bleibt die große Herausforderung

Das hat vor allem mit der geografischen Lage im Talkessel zu tun, die zugleich auch eine Herausforderung für Radfahrer und Fußgänger darstellt. Eine Verbesserung der Situation sei nicht von Mittwoch auf Donnerstag zu haben, stellte OB Kuhn jüngst fest – Kritiker der Verkehrspolitik wie das Klima- und Umweltbündnis Stuttgart konterten prompt, es sei bereits Freitag. Doch so einfach ist die Sache nicht. Um die Bürger vermehrt zum Umstieg vom Auto auf umweltfreundlichere Fortbewegungsmittel zu bringen, bedarf es eines Bündels von Maßnahmen, die zum Teil kostspielig, zum Teil technisch aufwendig und zum Teil politisch umstritten sind wie das Bahnprojekt Stuttgart 21.

Der Ausbau des ÖPNV in Form neuer Strecken und Taktverdichtung ist teuer, leistet aber einen Beitrag zur Verflüssigung des Straßenverkehrs. Auch das sogenannte Jobticket, mit dem die die Stadt ÖPNV-Fahrten für ihre Beschäftigten subventioniert und das sie privaten Unternehmen schmackhaft machen will, ist für staugeplagte Autofahrer in der Landeshauptstadt ein Anreiz, ihr Heilixblechle in der Garage zu lassen. Dass sich mit einfachen Mitteln, etwa Tempo 40 an Steigungsstrecken, zumindest der Ausstoß von Stickoxid reduzieren lässt, hat der Versuch an der Hohenheimer Straße gezeigt. Der Einsatz elektronischer Tempolotsen wie etwa auf der B 14 ist nur dann sinnvoll, wenn die Geschwindigkeit konsequent kontrolliert und Verstöße rigoros geahndet werden. Der von der ökosozialen Ratsmehrheit forcierte Ausbau des Radwegenetzes ist als ergänzende Maßnahme ebenfalls sinnvoll – wenngleich ideologisch umstritten.

Elektromobilität ist keine massentaugliche Alternative

Weitgehender Konsens herrscht dagegen im Rat über die Sinnhaftigkeit des sogenannten Parkraummangements, das vom Westen aus auf alle Innenstadtbezirke und Bad Cannstatt ausgedehnt werden soll. Auch der Einsatz von Autos mit alternativen Antriebstechniken wie etwa Elektromotoren ist unumstritten. Doch auch die batteriebetriebenen Kleinfahrzeuge taugen wegen ihres hohen Preises, fehlender Ladestationen und der Endlichkeit des Batterierohstoffs Kobalt nicht als langfristige Massenalternative zum herkömmlichen Kraftfahrzeug, dessen Treibstoffressourcen ebenfalls zur Neige gehen.

Die intelligente Vernetzung aller Verkehrsmittel haben sich fast alle Parteien auf die Fahne geschrieben. Allein mit der Sanierung maroder Straßen, die sich die Stadt nach Jahren der Stagnation nun jährlich Millionen Euro kosten lässt, ist es nicht getan – auch der Bau des Rosensteintunnels schützt nur manche Anlieger, ziehe dafür aber mehr Verkehr an, monieren Kritiker. Und auch noch so viele Radwege werden nicht verhindern, dass das Fahrrad dem Auto den Rang als bevorzugtes Verkehrsmittel abläuft. Hinzu kommt die in Stuttgart chronisch unpünktliche S-Bahn, die auf viele Pendler eine geradezu abschreckende Wirkung ausübt.

Citymaut und kostenlose ÖPNV-Nutzung sind noch tabu

Von Maßnahmen wie der Einführung einer Citymaut oder einer kostenlosen Nutzung des Stadtbahn- und Busnetzes hält die große Mehrheit des Rates bisher nichts. Das könnte sich ändern, wenn es nicht rasch gelingt, dem Feinstaub- und Stickoxidproblem Herr zu werden und Bürger massenhaft vor Gericht ziehen, um die Umsetzung der entsprechenden EU-Verordnungen zu erzwingen – und Recht bekämen. Mit der Parole „Freie Fahrt für freie Bürger“ wäre dann endgültig Schluss.

Die unterschiedlichen Sichtweisen der Parteien in der Verkehrspolitik machen es fraglich, ob nach der Wahl eine Koalition der Vernunft die richtigen Weichen stellt. Man kann aber auch mit dem Linken-Politiker André Brie zu dem Schluss kommen: „Es ist schon viel zu viel Verkehr. Man sollte nicht auch noch die Hoffnung fahren lassen.“