Das Drama „Onkel Wanja“ von Anton Tschechow gibt es nun auf Schwäbisch. In der Komödie im Marquardt werden die Probleme der sonst russischen Figuren ins Ländle übertragen. Die Maultaschen dürfen dabei natürlich nicht fehlen.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Termindruck, Zeitnot, Stress, gar Burn-out? Für Sonja, Walter und Helene sind das Fremdwörter. Sie schlagen die Tage tot und können nachts nicht schlafen. Sie saufen, jammern, lästern und klammern sich an alberne Liebeleien. Nichts als Langweile, Leere, Tristesse. „Das Lebe isch dreckig“, heißt es da, „läuft so vor sich na, des Lebe.“ Und ehe man sich versieht, hat man dieses bisschen Leben auch schon vergeudet.

 

In „Onkel Wanja“, einem Drama von Anton Tschechow, trifft man auf eine ewig klagende Notgemeinschaft, auf den alten Professor mit seiner viel zu jungen Frau, auf den saufenden Wanja und die fleißige Sonja. Sie fristen ihr Dasein zusammengepfercht auf einem Gutshof mitten auf dem Lande in der . . . – nein, nicht in der russischen Provinz, sondern im Schwabenländle. Denn die Komödie im Marquardt und die Kulturgemeinschaft Stuttgart haben sich etwas Ungewöhnliches ausgedacht und „Onkel Wanja“ auf Schwäbisch herausgebracht. Da köchelt der Tee nicht im Samowar, sondern essen die Gutsbewohner Maultaschen. Da träumt man nicht vom Leben in der Großstadt Moskau – sondern sehnt sich nach Pforzheim oder Reutlingen. Und vor allem schwätzt man nicht Russisch, sondern grottenbreites Schwäbisch mit Dialogen wie „Du saufsch“ – „Ja, so isch’s“. Fragt man diese kauzigen Gesellen, ob sie glücklich sind, würden sie allesamt mit einem lauten „noi“ antworten.„Müßiggang und Langeweile ist ansteckend“ – deshalb fürchten alle Wanja (Andreas Klaue), der im Bademantel durch die Wohnstube schlurft, eine Flasche nach der anderen leert und Reden schwingt. Er liebt die junge Frau des Professors, die wiederum ein Auge auf den Doktor geworfen hat, weil sie die Liebe zum Professor, diesem „gelehrten Kauz“ und „alten Dackel“ für echt gehalten hatte – „das war falsch“. Der Doktor (Michael Gerlinger) ist der Einzige in dieser Truppe, der noch Ideale hat. Er ist ein Umweltapostel, pflanzt Birken, um etwas gegen das Baumsterben getan zu haben. Die Frauen hängen an seinen Lippen, auch wenn er längst versoffen und depressiv ist. „Innedrinne elles stumpf und hohl.“

Nicht alles lässt sich ins Ländle übertragen

Aber Tschechow auf Schwäbisch, kann das gutgehen? Stefanie Stroebele hat den Text kräftig gekürzt und ins Schwäbische übertragen und dabei manch lustiges Lamento formuliert wie „Des isch ogeschickt, dass i noch am Lebe bin.“ Es blitzen auch immer wieder einige durchaus geistreiche Sätze heraus wie „Hängen Sie Ihre Ohren an den Nagel der Aufmerksamkeit“ oder „I ben so wie früher, nur schlechter“.

An sich ist es ganz sicher ein ehrenwertes Unterfangen, dem Komödienpublikum außerhalb des Abonnements die Scheu vor hoher Literatur nehmen zu wollen und den großen Ehrfurcht gebietenden Russen Tschechow runterzubrechen auf das Niveau von „Des macht doch nix, mei Schätzle“. Der Regisseur Udo Schürmer hat „Onkel Wanja“ flüssig inszeniert, und zugespitzt auf schwäbisches Gebruddel hat Tschechow seine amüsanten Momente. Es ist wohltuend, ausgefeiltere Charaktere auf der Marquardt-Bühne anzutreffen in einem sorgfältig komponierten Stück, in dem die Atmosphäre, die Tages- und Jahreszeiten die Launen der Menschen spiegeln, die mal unter der Schwüle leiden, mal die Kälte des nahenden Winters fürchten.

Mundarttheater mit Maultaschen

Bei Tschechow sind die Jahreszeiten aber auch Indikator für den Niedergang der Gesellschaft. Die Welt, die er skizziert, ist aus den Fugen. Und hier gerät die schwäbische Fassung schnell an ihre Grenzen. Ob in der Tundra oder auf der Schwäbischen Alb – Bauern mögen Bauern sein. Aber in „Onkel Wanja“ steckt mehr Lokalkolorit, als der Text explizit verrät. Die Verlorenheit der Figuren, die in der Einöde fernab der Städte ihr Dasein fristen, lässt sich eben nicht eins zu eins von der endlosen Weite Russlands ins kleine Schwabenländle übertragen. Am Ende reisen der Professor und seine Frau wieder ab in Richtung Stadt – nicht Moskau, sondern eben Pforzheim.

In der Komödie im Marquardt ist der schwäbische Dialekt so zentral, dass er sich vor den Text schiebt – und Tschechow ins Hintertreffen gerät. Die Figuren sind nicht glaubhaft, sondern ihr ewiges Lamento wirkt nur kokett, wie fröhliches Gejammer, weil man gerade nichts Besseres zu tun hat. Tschechow hat durchaus seine amüsanten Seiten, aber eben auch seine Abgründe. Wenn der Fokus aber auf schwäbischen Formulierungen liegt, kann sich die existenzielle Dimension nicht entfalten. „Was sollen wir machen?“, heißt es am Ende. „Wir müssen leben.“ Eines Tages aber werden sie sterben und „im Jenseits sagen, dass wir gelitten haben“. Davor aber gibt es, wie es sich für schwäbisches Mundarttheater gehört, erst einmal eine große Portion Maultaschen.