Die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts: Madame Marguerite hat viel Geld, ein großes Haus und liebt die Musik. Regelmäßig lädt sie die feinen Kreise zu Kulturabenden ein. Sie will dann auch selbst Arien schmettern. Es gibt da nur ein kleines Problem: sie kann so gut singen wie ein Schwein klettern.

Stuttgart - Eine ganz schön feine Gesellschaft hat sich da versammelt, jene Art reicher Leute, die sich noch etwas zugutehält auf ihre Verehrung klassischer Hochkultur. Wir befinden uns in der Zwischenkriegszeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die Dienerschaft wuselt noch fest angestellt und nicht für den Abend angemietet zwischen der Pariser Oberschicht umher, und etwas ganz Großes scheint ja noch bevorzustehen. Nicht nur geladene Opern- und Kammersänger sollen etwas zum Besten geben, sondern die Hausherrin selbst, Madame Marguerite. Die flattert aufgeregt umher, aber wenn diese Amateurin könnte, wie sie träumt, wäre das wohl keinen Film wert.

 

So aber kann Xavier Giannolis schöne Tragikomödie „Madame Marguerite oder Die Kunst der schiefen Töne“ vom Verranntsein in die Kunst erzählen, von der verzweifelten Sehnsucht einer Talentlosen nach Talent, von der Selbstkritiklosigkeit einer Unglücklichen. Madame Marguerite (Catherine Frot) kann singen wie ein Pfau mit Magenschmerzen oder wie eine Kreissäge, die auf einen harten Nagel trifft.

In ihren eigenen Ohren klingt das wie die höchste Kunst, und die Upper Class macht gute Miene zum scheußlichen Gekreische. Marguerites Kaviarhäppchen schmecken auch so, und ihr Geld für gemeinsame Mäzenatenprojekte nimmt man gerne.

Unter Dadaisten

Giannoli aber, der sich vom realen Fall der von Eitelkeit auf Bühnen und vor Mikrofone getriebenen Florence Foster Jenkins inspirieren ließ, spitzt die Lage zu. Ein paar junge Kritiker, Zyniker, Dadaisten hören Marguerites absurde Darbietung und grinsen nicht still in sich hinein. Sie laden die Stimmgestörte zu Performance-Abenden ein, deren Natur – die bürgerliche Weihekultur wird ad absurdum geführt – sie nicht begreift. Marguerites gesellschaftlicher Zirkel aber versteht das sehr wohl und verstößt die Verräterin.

Was leicht eine pechschwarze Satire oder eine schrille Gaudi hätte werden können, bliebt ein rührendes Charakterstück über den unerfüllten Traum, Schönes zu produzieren, aber eines mit wachem Blick für Klassenkampfelemente. Manchmal denkt man, Marguerites ohrenmarternde Stimme sei das ideale Instrument einer tiefen Frustration.

Madame Marguerite. Frankreich, Tschechien, Belgien 2015. Regie: Xavier Giannoli. Mit Catherine Frot, André Marcon. 129 Minuten. Ab 12 Jahren.