CDU und CSU haben am Sonntag eine gemeinsame Linie zur Flüchtlingspolitik vereinbart. Viele Fragen bleiben jedoch offen.

Berlin - Es ist kurz nach 19 Uhr am Sonntagabend, als sprichwörtlich schon einmal ein Feuer entzündet wird, um alsbald weißen Rauch aufsteigen zu lassen. Verkündet wird nicht die Einigung auf einen neuen Papst, sondern auf eine gemeinsame Flüchtlingspolitik von CDU und CSU nach mehr als zwei Jahren Streit. „Im Grundsatz ist man sich einig, an den Details wird derzeit noch gearbeitet“, heißt es aus dem Konrad-Adenauer-Haus. Dort haben die Spitzen der Schwesterparteien über Stunden darüber debattiert, wie sie ihre Differenzen überwinden und die richtigen Lehren aus den Bundestagswahlverlusten ziehen können. Gegen 22 Uhr wird das Konsenspapier verbreitet.

 

Zwölf Stunden zuvor ist vor der Berliner Parteizentrale ein riesiges Transparent aufgestellt worden. Der Verein Mehr Demokratie warb so für Volksentscheide auf Bundesebene. Auch dieses Thema gehörte, weit weniger beachtet als die von den Bayern geforderte Obergrenze bei der Aufnahme von Schutzsuchenden, zu den strittigen Punkten. Die CSU ist bislang dafür, die potenziellen grünen Partner für die sogenannte Jamaikakoalition auch, die FDP skeptisch und die CDU entschieden dagegen. Und so ist den Kämpfern für mehr direkte Bürgerbeteiligung vor der Tür durchaus klar gewesen, dass ihr Anliegen Teil einer Paketlösung sein könnte, die Angela Merkel und Horst Seehofer anstrebten.

Ihre beiden Delegationen hatten sich gründlich vorbereitet, um nach dem Treffen mit einer gemeinsamen Verhandlungslinie in die Gespräche mit Grünen und Liberalen gehen zu können. Seehofer war am Vorabend beim Italiener in Berlin-Mitte mit seinem Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, Bayerns Innenminister Joachim Hermann, Generalsekretär Andreas Scheuer und Landtagsfraktionschef Thomas Kreuzer zusammengekommen. Merkel scharte zu einem Frühstück am Morgen Kanzleramtschef Peter Altmaier, Noch-Finanzminister Wolfgang Schäuble, Fraktionschef Volker Kauder und Generalsekretär Peter Tauber um sich, ehe sie sich um 11 Uhr zu einem Gespräch unter vier Augen mit Seehofer traf. Eine Stunde später trat die große Runde zusammen. Zwischenzeitlich zogen sich die Mannschaften von CDU und CSU separat zurück, ein weiteres Tête-à-Tête der beiden Vorsitzenden folgte.

Ein existenzbedrohender Familienkrach

Nach außen drang bis zum frühen Abend kaum ein Wort. Auch die sonst gut informierten Kreise mussten diesmal vor dem Besprechungsraum im fünften Stock des Adenauerhauses warten und bekamen keine Informationen. Über die Verhandlungslinie von CDU und CSU soll vorab nicht zu viel bekannt werden. Als zu ernst wurde die Lage der Union eingeschätzt, als dass sie mit Zwischenständen noch zusätzlich verkompliziert werden sollte. Schließlich hatte Merkel schon am Samstag mit Blick auf die bayerische Schwester gelobt, „alles dafür zu tun, dass es diese Union für Deutschland auch weiter gibt“ – und damit indirekt eingeräumt, wie existenzbedrohend sie den politischen Familienkrach bewertete.

Gesagt hatte sie das in Dresden, wo sie bei einem Treffen der Jungen Union (JU) einen Vorgeschmack bekommen hatte, unter welch großem internem Druck beide Parteien stehen und wie schwer eine Annäherung daher werden würde.

Nach der für die Union so enttäuschenden Bundestagswahl stellte sie sich dort erstmals ausführlich der Kritik der Basis und diskutierte zwei Stunden mit dem Parteinachwuchs über die Konsequenzen aus den klaren Verlusten, die Merkel „auch ein Stück geschockt“ haben. Die Kanzlerin sah sich genötigt zu versprechen, dass es bei der Aufarbeitung des Ergebnisses „keine Tabus“ geben werde und es auch ihr Ziel sei, „dass rechts der Union keine Partei sein sollte“. Sie kündigte an, dass ein CDU-Sonderparteitag über einen möglichen Koalitionsvertrag mit Liberalen und Grünen werde abstimmen dürfen. Wirklich zufriedenstellen konnte sie den Parteinachwuchs damit aber nicht. Jenovan Krishnan, Bundeschef der christdemokratischen Studentenschaft, hatte im Anschluss bedauert, dass Merkel „verpasst hat, klare Kante zu zeigen“.

Das Wort Obergrenze taucht nicht auf

In der Flüchtlingspolitik hatte sie da immerhin bereits Kompromissbereitschaft gegenüber der CSU angedeutet: „Mit etwas gutem Willen sollte es gehen.“ Zusätzlich erschwert dürfte die Sitzung jedoch dadurch worden sein, dass Seehofer mit einem Zehn-Punkte-Strategiepapier angereist war. Darin fanden sich mehrere Breitseiten gegen Merkel, aber immerhin auch ein mögliches Zugeständnis. Die Obergrenze tauchte nur als Überschrift auf, gefordert wird im Text nur „eine klare Begrenzung der Zuwanderung“. Es war wohl die Formulierung, die am Ende eine Einigung möglich gemacht hat.

Der zentrale Satz lautet wie folgt: „Wir wollen erreichen, dass die Gesamtzahl der Aufnahmen aus humanitären Gründen die Zahl von 200 000 Menschen im Jahr nicht übersteigt.“ Angeben ist darin auch die Berechnungsgrundlage. Flüchtlinge und Asylbewerber, subsidiär Geschützte und nachziehende Familienmitglieder sowie nach dem europäischen Verteilungsschlüssel in Deutschland Aufgenommene sowie direkt aus Flüchtlingslagern ausgeflogene Schutzsuchende sollen dazu zählen, abzüglich zurückgeführter und freiwillig ausgereister Flüchtlinge.

Damit sich eine Situation wie im Herbst „2015 nicht wiederholen wird und kann“, verpflichten sich die Unionsparteien zu konkreten Maßnahmen. Zugleich legen sie in Merkels Sinne ein Bekenntnis zum grundgesetzlichen Asylanspruch sowie zur Genfer Flüchtlingskonvention. Das Wort Obergrenze taucht nicht auf – nur eine Art Gesetzesautomatismus für den Fall, dass mehr als 200 000 Menschen kommen: „Sollte die oben genannte Zahl wider Erwarten durch internationale oder nationale Entwicklungen nicht eingehalten werden, werden die Bundesregierung und der Bundestag geeignete Anpassungen des Ziels nach unten oder oben beschließen.“