Rund 160 Schüler aus 26 Staaten messen sich in dieser Woche in Stuttgart auf einer Internationalen Konferenz für Nachwuchsforscher. Eine Jury bewertet die Vorträge in den Bereichen Mathematik, Physik, Biologie, Medizin und Informatik.

Stuttgart - Google und Spaghetti bolognese bilden an diesem Mittag eine untrennbare Einheit. Nikodem Kernbach googelt nach Methoden des maschinellen Lernens und vor allem nach den korrekten englischen Fachausdrücken dafür und schiebt dabei eine Gabel Pasta nach der anderen in den Mund. In einer Stunde kommt es drauf an: Der Elftklässler des Lörracher Hans-Thoma-Gymnasiums wird einer internationalen Jury seine Software vorstellen, die Aufsätze automatisch bewertet. Der Schüler ist einer von sechs deutschen Kandidaten bei der International Conference of Young Scientists (ICYS), die in diesem Jahr am Evangelischen Heidehof-Gymnasium in Stuttgart ausgerichtet wird.

 

Nikodem Kernbach hat am Vormittag Informatikvorträge seiner Konkurrenten besucht und inzwischen ordentlich Respekt vor der internationalen Jury, die alle wissenschaftlichen Vorträge bewertet. Er will für jede Nachfrage gewappnet sein. Die nach dem Sinn seiner Erfindung ist dabei die einfachste: Er hat sich schon oft geärgert, wie lange Deutschlehrer bisweilen brauchen, um einen Aufsatz zu korrigieren. „Einmal hat es drei Monate gedauert!“, ruft er aus. Zusammen mit zwei Mitschülern hat er eine Software entwickelt, die anhand bereits bewerteter Beispielaufsätze lernt, wie Lehrer Noten geben – und sich daran anpasst. „Am schwierigsten war es, die benoteten Aufsätze zu bekommen“, berichtet Nikodem. Die Lehrer hatten wenig Verständnis für sein Anliegen. Im Internet fand er schließlich 600 bereits benotete Briefe von Achtklässlern aus den USA. Mit zwei Dritteln davon trainierte er seinen Algorithmus, der schließlich das letzte Drittel selbst bewerten sollte. In 60 Prozent der Fälle errechnete dieser die gleiche Note wie der Lehrer. Angesichts von sechs möglichen Noten eine recht gute Zahl. Durchschnittlich wich die Software lediglich um 0,4 Notenpunkte ab.

Schüler sollen ordentliche wissenschaftliche Arbeit lernen

Während Nikodem Kernbach noch bange wartet, präsentiert Jonas Gaiser von der Sindelfinger Gottlieb-Daimler-Schule seine Indoor-Navigation für Roboter. Mittels diverser Ultraschallsensoren im Raum weiß sein kleiner fahrbarer Roboter stets, wo er sich befindet. Souverän erklärt Jonas Gaiser auf Englisch seine Idee, den Juroren überreicht er seine Prototypen: „Hier schauen Sie sich das gerne an: Sie hatten sicher schon mit Arduino-Robotern zu tun – jetzt können Sie diese im Raum steuern, ganz einfach.“

Seine Forschung professionell zu präsentieren, das ist eines der Ziele des Wettbewerbs, erklärt Helmut Ruf, der Betreuer des deutschen Teams: „Sie lernen ordentliche wissenschaftliche Arbeit.“ Der Tuttlinger Lehrer hat lange bei SAP gearbeitet und investiert nun 20 Prozent seines Stundenkontingents in das Schülerforschungszentrum Südwürttemberg und in Wettbewerbe wie diesen.

In allen Ecken des Heidehof-Gymnasiums üben an diesem Tag kleine Grüppchen ihre Vorträge. Und während auf wissenschaftlichen Konferenzen manches Referat schlecht vorbereitet ist, sind hier alle Präsentationen durchdacht und spannend. „Ich glaube an Wettbewerbe“, sagt ICYS-Vizepräsident Hans Jordans aus dem niederländischen Groningen – wichtig sei eben, dass der Spaß nicht zu kurz kommt. Seit 25 Jahren organisiert er die nationale Physikolympiade in den Niederlanden, seit knapp zehn auch die internationale Physikolympiade. Beim ICYS beobachtet er durchaus kulturelle Unterschiede: „Manche Teamleader müssen mit guten Ergebnissen nach Hause kommen.“ Sprich: möglichst viele Medaillen mitbringen. Unter der Hand hört man immer wieder, dass die osteuropäischen Teilnehmer besonders ehrgeizig sind – offiziell bestätigen will er das nicht.

Im Physikraum wird es bunt

Kurz vor der Pause wird es bunt im Physikraum: Fiona Seger wirft zu Beginn ihrer Präsentation einen Gummiball unter den Lehrertisch. Der prallt auf den Boden, gegen den Tisch, wieder auf den Boden und zack: zurück in ihre Hand. Gekonnt fängt sie ihn auf. Die Lörracher Elftklässlerin beschäftigt sich mit der Frage, warum sich die Hüpfbälle so sonderbar verhalten. Zum Vergleich wirft sie einen Tennisball. Der springt zwischen Tisch und Boden hin und her, bis er liegen bleibt. Fiona Seger präsentiert eine Reihe von Gleichungen und Grafiken, die jene Kräfte zeigen, die hier wirksam werden. „Hier, fühlen Sie“, sagt sie der verblüfften Jury, „wie fühlt sich der Tennisball an?“ Während der Flummi leicht auf dem Boden kleben bleibt und dadurch in Rotation kommt, rutscht der filzige Tennisball ein bisschen, was die Rotation ausbremst, einfach ausgedrückt. Die physikalischen Gleichungen sind komplizierter, Fiona Seger wirft mit englischen Fachbegriffen um sich, als hätte sie nie etwas anderes getan, und berechnet Kräfte, von denen mancher Student nie gehört hat.

„Ich weiß nicht, wofür das gut sein soll“, murmelt eine iranische Jurorin. „Einfach um es zu wissen“, kontert Fiona Seger, „und für den Spaß an der Forschung.“ Und den hatten sie und ihre beiden Freundinnen, wie sie strahlend berichten. Auch wenn es nicht immer einfach war, sich durch die wissenschaftlichen Publikationen zu arbeiten. „Aber als wir gemerkt haben, dass wir das verstehen können, war das super!“ Freilich gehe es nicht nur um angewandte Forschung, kommentiert der Betreuer Ruf den Einwurf der Jurorin: „Wenn wir immer erst die Frage nach dem Nutzen stellen würden, würden wir heute noch in der Steinzeit leben.“ Oft ergebe sich der Nutzen von Grundlagenforschung erst später. So sei die Suche nach der höchsten Primzahl jahrelang ein Spiel unter Mathematikern gewesen – und nun sind diese Zahlen gefragt wie nie für die Verschlüsselung.

Nikodem Kernbachs Aufsatz-Bewertungs-Software hingegen ist auf den ersten Blick nützlich. Am Ende des Vortrags kopiert er das Begrüßungsschreiben des ICYS in ein Textfenster. Nach wenigen Sekunden ist die Note berechnet. „Das hat leider nur für eine Vier gereicht“, sagt er. Damit hat er schon mal die Lacher auf seiner Seite. „Jetzt werden wir auch noch wegrationalisiert“, flüstert ein Lehrer im Publikum. Doch er grinst dabei.