Bisher steht Berlin im Konflikt mit Erdogan fast alleine. Die EU hat keine gemeinsame Linie, die Nato bisher kein großes Interesse an einer eigenen Rolle. Das muss sich ändern, meint unser Berliner Korrespondent Christopher Ziedler.

Berlin - Es geht immer noch ein bisschen schlimmer. Wer am vergangenen Freitag dachte, nach Recep Tayyip Erdogans Aufruf zum Wahlboykott von CDU, SPD und Grünen könne nicht mehr viel kommen, sah sich schon am Wochenende eines Besseren belehrt. Da ließ der türkische Präsident über seine Sicherheitsbehörden im Zusammenspiel mit Interpol einen missliebigen deutschen Schriftsteller mit türkischen Wurzeln in Spanien verhaften. Beides sind unglaubliche Vorgänge, die harte Reaktionen in Deutschland hervorrufen mussten. Die Beziehungen zu Ankara steuern unaufhaltsam einem Abgrund entgegen. Besonders verstörend ist, dass hier nicht vom Verhältnis zu Nordkorea die Rede ist, sondern zu einem Mitglied einer sicherheitspolitischen Schicksalsgemeinschaft namens Nato. Statt sich zu verteidigen, greift ein Land das andere an – nicht militärisch, aber mit Worten und Taten.

 

Besserung ist nicht in Sicht. Erdogan, der die Eskalationsspirale in Gang gesetzt hat, dürfte an seinem Kurs festhalten. Im Kanzleramt werden bereits die türkischen Wahlen 2019 als Termin ins Auge gefasst, bis zu dem er die nationalistische Stimmung weiter anzuheizen versuchen werde, um an der Macht zu bleiben. Ein Einlenken erwarten deutsche Regierungskreise auch nicht dadurch, dass die Reisewarnung des Auswärtigen Amtes den Türkei-Tourismus zum Teil lahmlegen wird und Export- sowie Investitionsbürgschaften eingeschränkt werden sollen – obwohl diese bisher nur angekündigt, aber nicht umgesetzt worden sind. Als zu wenig vernunftgeleitet wird Erdogan mittlerweile eingeschätzt.

Viele Nationen machen sich einen schlanken Fuß

Wie also kann es im bilateralen Verhältnis weitergehen? Gar nicht – lautet derzeit die Antwort. Das Verhältnis ist so zerrüttet, dass eine Reparatur aus eigener Kraft schwer vorstellbar erscheint. Es ist an der Zeit, dass EU und Nato eine größere Rolle spielen. Bisher machen sich viele Mitgliedstaaten beider Clubs einen schlanken Fuß, wenn es darum geht, Erdogan einzuhegen.

Im Clinch mit Erdogan liegen auch die Niederlande, Schweden und Österreich, das als bisher einziges EU-Land die Beitrittsgespräche mit Ankara offiziell beenden will. Eine wirklich einheitliche Linie aber gibt es nicht. Im Verhältnis Frankreichs zur Türkei etwa scheinen die militärischen Interessen in Syrien eine größere Rolle zu spielen als der Fall eines inhaftierten französischen Studenten. Dabei bräuchte es dringend klare gemeinsame Haltungen, etwa dazu, welche Bedingungen Erdogan erfüllen muss, damit Brüssel mit ihm über die Ausweitung der für die türkische Wirtschaft so wichtigen Zollunion verhandelt.

Der Konflikt ist nicht im Sinne der Nato

Die Nato war bisher vor allem darauf bedacht, Ärger zu vermeiden. Begründet wurde die Zurückhaltung stets damit, dass die militärische Zusammenarbeit von den atmosphärischen Störungen im deutsch-türkischen Verhältnis nicht tangiert ist. Aber auch dieses Argument sticht nicht mehr so recht, seit die Türkei deutschen Abgeordneten den Besuch von Bundeswehrsoldaten im Syrieneinsatz untersagt hat, weshalb diese nun nach Jordanien umziehen müssen. Dass sich zwei ihrer größten Mitglieder derart beharken, kann nicht im Sinne der Allianz sein. Sie könnte daher am ehesten der Rahmen sein, um den deutsch-türkischen Konflikt zu entschärfen.

Das ist bisher aus mehreren Gründen nicht geschehen: Zum einen flirtet Erdogan so intensiv mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin, dass das westliche Bündnis Sorge hat, er könne das Lager wechseln. Intern wiederum haben die beiden Führungsmächte USA und Großbritannien vor allem mit sich selbst zu kämpfen. Der Druck auf die Verbündeten, Stellung zu beziehen oder vermittelnd tätig zu werden, wird jedoch wachsen. Das nämlich ist seit gut einem Jahr die einzige Konstante in den deutsch-türkischen Beziehungen: Es geht immer noch ein bisschen schlimmer.