Der Streit zwischen Türken und Kurden eskaliert. In Stuttgart und Ludwigsburg muss die Polizei massiv Personal einsetzen, fast täglich gibt es Gewalttaten. Die Fontlinien sind oft unklar.

Ludwigsburg/Stuttgart - Montagabend am Ludwigsburger Bahnhof. Das Entree zur malerischen Barockstadt mit Schloss und Blühendem Barock erlebt eine hässliche Szene: 30 dunkel gekleidete Männer schlagen auf einen Kurden ein, der mit zwei Frauen unterwegs ist. Schlagstöcke kommen zum Einsatz, der 24-Jährige wird brutal zu Boden gerissen. Zum Glück ist die Polizei schnell zur Stelle. Ein Teil der Schläger lässt sofort von dem Opfer ab. Später flieht der Rest in ein Parkhaus.

 

Es ist ein neuer Höhepunkt in einem Konflikt, der seit Anfang November die Stadt Ludwigsburg und die Polizei so sehr in Atem hält, dass sie eine zehnköpfige Ermittlungsgruppe eingesetzt hat. Bis zu 200 Beamte werden zusätzlich angefordert, um die verfeindeten Gruppen auseinanderzuhalten. Nahezu täglich gibt es neue Zwischenfälle: Am vergangenen Sonntag wurde das Auto eines türkischstämmigen Pizzeria-Inhabers in der Oststadt angezündet. Gruppen bis zu 30 Personen versuchen, Ludwigsburg mit Aufmärschen als Revier zu markieren. Es gibt Rangeleien, Schlägereien, Pöbeleien.

Null-Toleranz-Politik der Polizei

Die Polizei setzt auf massive Präsenz. „Wir verfolgen eine Null-Toleranz-Politik“, sagt der Sprecher Peter Widenhorn. Jeden Tag werden Autos an den Einfallstraßen kontrolliert, am letzten Dienstag wurden in einem Kofferraum Schlagstöcke, Gaspistolen, Macheten und Schlagringe gefunden. Das Landeskriminalamt (LKA) hat bei landesweiten Kontrollen sogar scharfe Schusswaffen sichergestellt. Die Szene ist mobil und reist aus dem ganzen Land an.

Offenbar ist Ludwigsburg zur Spielwiese geworden, ein Aufmarschgebiet für Migrantengruppen, die dort politische Konflikte ausfechten. Während in Stuttgart die Ordnungshüter binnen 15 Minuten da sind, dauert es hier länger, bis die Streifen ankommen. Das nutzen die jungen Männer aus, die sich blitzschnell per Whatsapp verabreden.

Was steckt hinter dieser Auseinandersetzung, die in abgeschwächter Form auch in Stuttgart in Unwesen treibt? Nur auf den ersten Blick gibt es klare Frontlinien. Sie verlaufen entlang von rockerähnlichen Gruppierungen, die seit Ende der 2000er Jahre als Alternative zu Hells Angels oder Bandidos entstanden. Die Black Jackets auf türkischer Seite und die Red Legion mit Verbindungen zur Terrororganisation PKK sind allerdings inzwischen Geschichte. Red Legion wurde 2013 verboten, die Black Jackets sind nach Verhaftungswellen dezimiert – ein großer Prozess gegen ihre Anführer findet derzeit am Ellwanger Landgericht statt.

Nachfolgegruppe für Black Jackets und Red Legion

Doch die Anhänger sammeln sich in neuen Gruppierungen. Auf nationaltürkischer Seite sind das die Osmanen Germania, die sich selbst als Boxclub bezeichnen. Sie wurden 2015 in Frankfurt gegründet. LKA-Experte Sigurd Jäger geht von etwa 200 Anhängern im Südwesten aus, die in zehn sogenannten Chaptern organisiert sind – in Pforzheim, Mannheim, Heilbronn, am Bodensee und im Raum Karlsruhe. „Der Schwerpunkt liegt aber in der Region mit Stuttgart und Ludwigsburg“, so Jäger.

Die Osmanen werben in Youtube-Videos mit martialischen Sprüchen und Sequenzen aus Historienfilmen, die Osmanenkrieger auf galoppierenden Pferden zeigen. „Wir kommen und übernehmen das ganze Land“, heißt es in dem offiziellen Video der Gang, „Männer, die bis zum letzten Tropfen Blut für ihre Brüder auf dem Schlachtfeld stehen.“ Offen wird dabei mit Waffen posiert. Die Organisation lehnt sich an etablierte Rockerclubs an – es gibt Chapter, hierarchische Strukturen und schwarze Kutten mit rot-weißem Logo. Auf Facebook präsentieren sich die Chapter Stuttgart und Ludwigsburg – es werden Aufmarschbilder gepostet, um den Machtanspruch zu untermauern.

Die Gegenseite ist weniger gut organisiert. Nach dem Verbot der Red Legion firmierte sie als „Stuttgarter Kurden“, nun sammelt sie sich unter dem Banner „Bahoz“, was auf Kurdisch „Sturm“ bedeutet. „Es gibt keine festen Strukturen“, so Jäger. Etwa 50 Anhänger konnten der eher losen Gruppierung zugeordnet werden, die sich nach Einschätzung der Ermittler deutlich weniger als die Vorgänger an die PKK anlehnt.

Eskalation beginnt am 6. November in einer Pizzeria

Schon in der Vergangenheit war der Konflikt immer wieder hochgeschwappt – so im März 2015, als nach der Langen Nacht der Museen in Stuttgart 50 Polizisten bei Großaufmärschen verletzt wurden. Oder in diesem Frühjahr – mit nichtigen Anlässen wie einem Video, auf dem eine Kutte verbrannt wird. Die Auseinandersetzung verlagerte sich in beiden Fällen nach Ludwigsburg. Die aktuelle Eskalation nahm ihren Anfang am 6. November, als eine Gruppe von Kurden, die wohl Bahoz nahestand, in der Ludwigsburger Pizzeria Passione aufmarschierte. „Es gab ein Bedrohungsszenario“, sagt Polizeisprecher Peter Widenhorn. Zwei Wochen später brannte der Range Rover des Ladeninhabers, der den Osmanen nahestehen soll. Was die Ursache war, ist unklar. Seitdem gibt es täglich Stunk. Auch in Stuttgart wurde im „Türkenviertel“ in Feuerbach ein Auto angezündet.

Vermischung mit kriminellen Interessen

Schwierigkeiten macht der Polizei, dass die Frontlinien schwer nachzuvollziehen sind. Meistens handelt es sich auch nicht um geplante Organisationen. „Man sitzt zusammen, raucht Shisha und trinkt Tee“, erzählt Widenhorn, „plötzlich läuft eine andere Gruppe vorbei, und es gibt Stress.“ Immer wieder gibt es auch in Ludwigsburg Streitigkeiten unter Türken – vor allem seit dem Putschversuch vom 15. Juli bekämpfen sich Erdogan- und Gülen-Anhänger. Die Carl-Friedrich-Gauß-Schule, die Gülen nahesteht, wurde mit Graffiti und Boykottaufrufen angegriffen. Doch auch die Kurden sind sich oft uneins. Ein weiteres Problem ist, dass sich der ethnisch-religiöse Konflikt mit handfesten kriminellen Interessen vermischt.

Zwar sind weder Osmanen Germania noch Bahoz systematisch im Rotlicht- oder Drogenmilieu tätig, um sich zu finanzieren – wie man es von etablierten Rockerclubs kennt. Doch einzelne Mitglieder steigen in dieses Geschäft ein – auch über die Frontlinien hinweg. „Oft arbeitet der eine mit dem anderen plötzlich zusammen, obwohl man sich gestern noch spinnefeind war“, sagt Widenhorn. Dazu kommt eine Art Omerta, ein Schweigegesetz – die jungen Migranten gehen lieber ins Gefängnis, als mit der Staatsmacht zu kooperieren oder auszusagen.

Das LKA konzentriert seine Kapazitäten

Die Polizei nimmt den Konflikt sehr ernst, nicht nur in Ludwigsburg. „Die Zuspitzung bereitet uns große Sorge“, erklärt LKA-Experte Jäger, „es kann jeden Tag etwas Schlimmes passieren.“ Der politische Konflikt in der Türkei, von den Massenverhaftungen bis zur Debatte um die Todesstrafe, wirkt als Treibmittel und führt zu einer hohen Emotionalisierung. Dementsprechend konzentrieren die Ermittler ihre Kapazitäten landesweit auf das Problem – und setzen auf massive Präsenz. „Wir nutzen jeden Ansatz, Aufmärsche oder Schlägereien zu verhindern“, sagt Jäger. Man greife auf alle Instrumente zurück, einschließlich verdeckter Ermittlung. Sprich: Das LKA versucht, die Jugendbanden zu infiltrieren.

Auch in Ludwigsburg setzt man auf Abschreckung und konsequente Strafverfolgung. „Wir werden eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit nicht tolerieren“, erklärt Polizeipräsident Frank Rebholz. Man will schnell vor Ort sein, Drohgesten unterbinden, gleichzeitig Straftaten schnell verfolgen und anklagen. Hinzu kommt: Die Gruppen bekriegen sich vor allem untereinander. Der Normalbürger ist bisher nicht im Rocker-Visier.