Der Verband Region Stuttgart kümmert sich um die S-Bahn, die Landkreise um die Busverbindungen. So lautet die Faustregel. Doch der Teufel steckt im Detail und hinter den Kulissen wird hart gerungen – manchmal aber auch ganz öffentlich.

Stuttgart - Manchmal sagen Kleinigkeiten viel aus über ein Verhältnis. Als sich der regionale Verkehrsausschuss vor Kurzem mit der teilweisen Integration des Kreises Göppingen in den VVS-Tarif befasste, setzte der ansonsten für seine Zurückhaltung bekannte Regionalpräsident Thomas Bopp (CDU) zur massiven Schelte an – und die Regionalräte schimpften lauthals mit.

 

Der VVS und dessen Aufsichtsratschef, Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn, der Göppinger Landrat Edgar Wolff und der Kreistag, die Rathauschefs im Filstal – alle hätten sich in den Medien dafür feiern lassen, dass seit Jahresanfang die Fahrscheine des VVS auch für den Schienenverkehr im Kreis Göppingen gelten. Nur der Verband Region Stuttgart sei bei den Elogen nicht erwähnt worden, obwohl „wir es sind, die sich seit Jahren dafür starkgemacht haben“, monierte der verärgerte Bopp. Als dann noch bekannt wurde, dass der Esslinger Landrat Heinz Eininger im Schulterschluss mit Kuhn eine gemeinsame öffentliche Unterzeichnung der Finanzierungsvereinbarung für die S-Bahn-Verlängerung nach Neuhausen auf den Fildern ablehnt, wuchs der Unmut weiter. „Ich habe kein Verständnis dafür, dass sich der Verband hinten anstellen muss“, polterte der CDU-Verkehrsexperte Rainer Ganske. Diese „Weigerung von dritter Seite“ könne nicht akzeptiert werden. Der Geschäftsführer des von der Stadt Stuttgart und den Kreisen dominierten Verkehrsverbunds VVS, Horst Stammler, meinte danach nur: „Was die sich wieder einbilden . . .“

Positionen prallen in aller Schärfe aufeinander

Region gegen die Stadt Stuttgart und die Landkreise – diese Gefechtslinie ist im Nahverkehr nicht neu. Seit der Gründung des Verbands vor nunmehr 20 Jahren wird beinhart über Kompetenzen gestritten. Zwar ist der Verband für regional bedeutsamen Verkehr zuständig – doch was genau darunter zu verstehen ist, hat das Land als Gesetzgeber nicht erläutert. Dieser Geburtsfehler und die historisch gewachsenen, sehr komplexen Kompetenz- und Finanzierungsverhältnisse verschärfen die gegensätzlichen Positionen, die in diesen Monaten aus zwei Gründen in aller Schärfe aufeinanderprallen. Zum einen geht es um die sogenannte Allgemeine Vorschrift, in der die Finanzierung und die Standards des Busverkehrs geregelt werden – wofür sowohl die Region als auch die Kreise die Zuständigkeit beanspruchen. Zum anderen hat sich Grün-Rot im Koalitionsvertrag dafür ausgesprochen, dass die Region im Nahverkehr eine größere Rolle spielen soll. Diese Vorlage hatte die Regionalversammlung aufgegriffen und eine Gesamtverantwortung für den ÖPNV in der Region gefordert. „Nahverkehr aus einem Guss“, lautet das Motto von CDU, SPD und Grünen im Regionalparlament. „Wir brauchen die Zuständigkeit für ein regionales Grundangebot“, forderten Ganske, Harald Raß (SPD) und Mark Breitenbücher (Grüne) unisono, also nicht nur wie heute die Verantwortung für die S-Bahn, sondern auch für kleinere Bahnstrecken und die Busse in den Kreisen. Nur Stuttgart (und andere Kommunen) mit eigenen Verkehrsbetrieben wie der SSB bleiben außen vor.

Der Verkehrsminister vermittelt seit Monaten

Die Landräte werten den Vorstoß der Region als Kriegserklärung: Sie reklamieren diese Zuständigkeiten für sich, vor allem im Bezug auf den Busverkehr in ihren Kreisen. Sie wollen deshalb selbst eine Allgemeine Vorschrift erlassen und sind entschlossen zu klagen, falls der Verband das Bus-Regelwerk ausgestalten oder gar vom Land mehr Kompetenzen erhalten sollte.

Um diese Eskalation zu verhindern, versucht der Verkehrsministier Winfried Hermann (Grüne) seit Monaten, die Streithähne zu einem Kompromiss zu bewegen und sie für ein gemeinsames Konzept zu gewinnen. Bis jetzt verharren Kreise und Region aber auf ihren Positionen. Die Lage ist so vertrackt, dass der Minister inzwischen offen droht, die Vermittlerrolle aufzugeben. Vermutlich Mitte Februar soll ein letztes Gespräch stattfinden, das zu einem klaren Ergebnis führen soll: Kompromiss oder Scheitern.

Ob es zu einer gemeinsamen Lösung kommt, ist völlig offen. „Wir sind kompromissbereit“, sagt zwar der Ludwigsburger Landrat Rainer Haas, der für die Kreise spricht, allerdings könne es nur eine gemeinsame Lösung geben, wenn die Kreise beim Busverkehr künftig das Sagen haben – sowohl bei den Standards (also beispielsweise beim Takt) als auch bei der Finanzierung. Nur bei den Kreisen gebe es die unverzichtbare örtliche Perspektive, das könne eine Regionalversammlung gar nicht leisten. Noch mehr geht es den Kreisen aber darum, bei der Verteilung der Ticketeinnahmen mit am Tisch zu sitzen. Sie sehen ihr Interesse, nämlich einen ausreichenden Finanzierungsanteil für die Busse zu erhalten, durch die Region nicht richtig vertreten. Zumal Haas, gutachterlich unterstützt, das Recht auf Seiten der Kreise sieht. „Es ist unbestritten, dass wir nach dem Gesetz dafür zuständig sind“, sagt er.

Bisher gibt es kaum Ansatzpunkte

Das mag unbestritten sein, wenn sich Haas mit seinen Landratskollegen aus Böblingen, Esslingen und Waiblingen unterhält, die Region hingegen widerspricht – und beruft sich ebenfalls auf ein Rechtsgutachten. Dadurch, dass der Verband die finanziellen Nachteile ausgleiche, die den Busunternehmen durch das gemeinsame VVS-Ticket entstehen, müsse er einerseits Partner bei der Verteilung der Einnahmen bleiben und andererseits die Vorschrift erlassen, die die Höhe dieses Ausgleichs beeinflusse. Ein Angebot der Kreise, dies gemeinsam zu tun, lehnt die Region ab. Aber auch der Regionalpräsident Bopp beteuert: „Wir sind bereit, einen Kompromiss zu finden.“

Bislang gibt es jedoch kaum Ansatzpunkte dafür, dass sich an den gegensätzlichen Positionen etwas ändern wird. So sind beide Seiten momentan vor allem damit beschäftigt, beim erwarteten Scheitern die Schuld beim jeweils anderen abzuladen für die weitere Entwicklung. Bei der Allgemeinen Vorschrift und den Busverkehren werden sich Region und Kreise dann wohl vor  den Gerichten wiedersehen. Politisch müssen die Fraktionen von Grünen und SPD im Landtag entscheiden, ob sie – wenige Wochen vor den Kommunalwahlen Ende Mai – auch gegen den Willen der Kreise der Region per Gesetz mehr Zuständigkeiten geben. Bis jetzt belassen sie es noch bei Appellen. Die Grünen-Abgeordneten Nikolaus Tschenk und Daniel Renkonen verbreiten per Pressemitteilung die Zuversicht, dass sich Region, Kreise und Stadt Stuttgart noch „zusammenraufen“.

Die Angesprochenen pflegen derweil ihre Befindlichkeiten. Haas erzählt gerne augenzwinkernd die Geschichte, dass die Region als Beispiele für eine Metrobuslinie die Verbindungen von Bietigheim nach Schwieberdingen und von Ludwigsburg nach Waiblingen nenne, obwohl die vom Kreis bereits angeboten werden. Und in der Region wundert man sich darüber, dass sich Kuhn in den Gesprächen im Ministerium mal vom SSB-Chef Wolfgang Arnold vertreten, mal vom VVS-Geschäftsführer Thomas Hachenberger beraten lasse – obwohl beide die Stadt politisch eigentlich nicht vertreten könnten.