Nach dem Skandal in der Silvesternacht sieht sich die CDU noch mehr unter Handlungsdruck als bisher in der Flüchtlingspolitik. Wie verwundbar die Union ist, verrät die zunehmende Gereiztheit im Diskurs mit dem Koalitionspartner SPD.  

Stuttgart - Für Angela Merkel hätte das Jahr kaum schlechter beginnen können. Die Vorfälle am Kölner Bahnhof schüren das Gefühl der Verunsicherung, das gerade Unionsanhänger in Zeiten einer fortwährenden, jedenfalls kaum gedrosselten Völkerwanderung umtreibt. Zum Kontrollverlust an den Landesgrenzen, den Merkel-Kritiker der Kanzlerin anlasten, kommt nun offenbar ein Kontrollverlust in den Städten. Das muss die CDU, die für sich das Etikett „Partei der inneren Sicherheit“ reklamiert, in Alarmstimmung versetzen.

 

Exakt dies lässt sich an den Reaktionen ablesen: zum Beispiel ab Zeile 218 der sogenannten Mainzer Erklärung, die der Bundesvorstand am Samstag in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt beschließen wird. Dort ist formuliert, was Merkel und ihre Parteispitze unter einer „harten Antwort des Rechtsstaats“ auf den Kölner Mob und Gleichgesinnte verstehen.

Vor nicht einmal vier Wochen hatte die CDU-Chefin auf ihrem Parteitag in Karlsruhe über ein ähnliches Papier abstimmen lassen. Dessen Zweck war es, die Kritiker der Merkel’schen Flüchtlingspolitik mit markigen Ansagen zum Thema Asylrecht, Sicherheit und Integration zu besänftigen. Der jetzt vorgelegte „10-Punkte-Zukunftsplan für Deutschland“ klingt noch markiger. Unter dem Eindruck der Kölner Silversternacht haben Merkels Strategen weitere Reizworte benannt, um ja nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, wie in der Flüchtlingspolitik solle auch in der inneren Sicherheit das Prinzip „Laisser-faire“ gelten.

Merkel muss harte Linie deutlich machen

Je hartnäckiger Merkel auf ihrer humanitären Willkommenspolitik beharrt und sich demonstrativen Abschottungsmaßnahmen an der deutschen Grenze verweigert, desto mehr muss ihr daran gelegen sein, deutlich zu machen, dass sie gegenüber unberechtigten oder gar kriminellen Asylbewerbern eine harte Linie vertritt und bei der Integrationspolitik für Neuankömmlinge die Latte hoch legt. Diesem Muster folgt die „Mainzer Erklärung“.

Das Thema Sicherheit wird dort gleichwohl nachrangig behandelt – die unionsinternen Debatten, öffentlichen Erklärungen führender CDU-Politiker und der Beifall bei Wahlkampfreden sprechen freilich eine andere Sprache. Merkels Partei sieht sich unter Handlungsdruck, nicht zuletzt wegen der drei Landtagswahlen, die im Frühjahr anstehen und wegen des Auftriebs, den sie der politischen Konkurrenz rechts der CDU verschaffen könnten – von den anhaltend hohen Flüchtlingszahlen und Merkels offenkundiger Ohnmacht in einschlägigen Debatten auf europäischer Ebene mal ganz abgesehen. Wie verwundbar die Union bei diesem Thema ist, verrät auch die zunehmende Gereiztheit im Diskurs mit dem Koalitionspartner SPD.

Uneinigkeit bei den Sozialdemokraten

Die Sozialdemokraten reagieren ebenfalls nervös auf die neue Lage, wenngleich die Bundestagsfraktion nicht unvorbereitet in ihre Klausur zum Jahreswechsel startete. Schon vor den Kölner Vorfällen war ein Papier ausgearbeitet worden, in der die SPD klar stellt, dass sie die öffentliche Sicherheit nicht der Union überlassen will.

Die Partei wird dabei von der Einschätzung getrieben, dass gerade die potenziellen Wähler der SPD – Arbeiter, einfache Angestellte – Angst vor Terror und Alltagskriminalität haben. Fraktionschef Thomas Oppermann sagte deshalb, nur ein starker Staat könne auch die Schwachen schützen und forderte deutlich mehr Polizei und bessere Ausstattung. 12 000 neue Polizisten sollen bis 2019 eingestellt werden, 6000 vom Bund und 6000 von den Ländern. Die „ideologisch motivierte Schwächung des Staats“ müsse ein Ende haben. Dumm nur, dass in zahlreichen Ländern die SPD regiert und dass sie vielerorts, so auch in Nordrhein-Westfalen, den Innenminister stellt. Auch der Kölner Polizeipräsident ist ein Genosse. Die Brisanz der aktuellen Ereignisse für die SPD liegt deshalb auf der Hand.

Das erklärt auch die ungewöhnliche Wortmeldung von Parteichef Sigmar Gabriel aus dem fernen Kuba. Es ist äußerst ungewöhnlich, dass Spitzenpolitiker auf Auslandsreisen vor Journalisten innenpolitische Vorgänge in Deutschland bewerten. Gabriel blies so heftig ins Horn, als wolle er anderes übertönen. Auch er forderte schnellere Abschiebungen, so wie es zuvor schon Innenminister Thomas de Maizière und Kanzlerin Angela Merkel getan hatten. Man müsse dazu „alle Möglichkeiten des internationalen Rechts“ ausloten.

Keine Entwicklungshilfe für Verweigerer

Gabriel ging aber noch weiter. Wenn afrikanische Staaten es ablehnen, „abgeurteilte und abgelehnte Asylbewerber“ zurückzunehmen, dann will er ihnen die Entwicklungshilfe kürzen. Denen müsse man sagen, „ihr könnt nicht von uns Entwicklungshilfe verlangen und gleichzeitig in solchen Fällen euch verweigern“, sagte er. Gabriel schloss dabei nicht aus, dass auch Abschiebungen nach Syrien möglich sind. „Wer hier Schutz bekommt, der darf nicht die deutsche Bevölkerung angreifen.“ Zu prüfen sei auch, wie der Grundsatz der Haft im Heimatland durchgesetzt werden könne. „Warum sollen deutsche Steuerzahler ausländischen Kriminellen die Haftzeit bezahlen?“ fragte der Wirtschaftsminister.

Der SPD-Chef lieferte damit zwar wieder einmal eine unabgestimmte Schlagzeile, korrigierte und verärgerte damit aber zugleich Genossen, die am Rande der Fraktionsklausur darauf verwiesen hatten, dass die Gesetze zur Ausweisung erst kürzlich verschärft wurden und man erst abwarten solle, wie sich dies auswirke, bevor neue Forderungen aufgestellt werden. Zumal man aufgrund internationaler Verpflichtungen gar nicht in der Lage sei, Straftäter in Staaten abzuschieben, in denen ihnen Tod oder Folter drohen. Auch Fraktionschef Thomas Oppermann äußerte sich so und riskierte damit offenen Widerspruch: „Die Drohung, die Entwicklungshilfe zu reduzieren, ist möglicherweise nicht so hilfreich, wie eine feste Vereinbarung, mit der man Anreize schafft, dass abgelehnte Asylbewerber zurückgenommen werden.“ Er sehe „im Augenblick keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf“, sondern ein „Handlungs- und Vollzugsdefizit“.