Seit der Wechselkursfreigabe in der Schweiz klingeln auf deutscher Seite die Kassen noch stärker. Doch ist zwischen all dem Kommerz noch Platz für Kultur? Diese Frage treibt in Konstanz die Menschen auf die Straße.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Konstanz - Es sind ganz persönliche Erinnerungen, die Douglas Wolfsperger mit dem Scala-Kino in Konstanz verbindet. Frisch aus der Schule entlassen, hatte er hier seine erste professionelle Aufführung. Den Super-Acht-Film über Martin, einen Verkäufer in der Herrenkonfektion eines Kaufhauses, der einen Tag lang alles anders macht als er soll, hatte er mit Freunden gedreht. „Damals ging ein Traum für mich in Erfüllung“, sagt der mittlerweile in Berlin wohnende Filmemacher.

 

Ob Wulf Wössner das Scala wegen solcher Raritäten besuchte oder wegen der Blockbuster, die dort außerhalb des Programmkinos auch immer gezeigt wurden, ist ungewiss. Dass er aber in seiner Zeit als Student für Bauingenieurwesen an der Fachhochschule viele Abende in dem Kino verbracht hat, darauf legt er Wert. Jetzt gilt der Projektentwickler aus Freiburg als Totengräber des Filmtheaters an der Marktstätte. Er werde mit Hassmails überhäuft, klagte er jüngst. Auf 30 Jahre hat er sich die Generalpacht für das Gebäude gesichert. Jetzt will er es sanieren und sechs Millionen Euro investieren. Mit einer Quadratmetermiete von 5,60 Euro sei das aber nicht zu finanzieren. Den Kinobetreiber drängte er deshalb zu einer Auflösung des Pachtvertrags.

Wie viel Shampoo braucht der Mensch?

Ein neuer Mieter steht schon bereit. Die Drogeriemarktkette dm dürfte locker 25 Euro pro Quadratmeter bezahlen. Sie plant eine weitere Filiale, die fünfte in der Stadt. Gleich gegenüber betreibt der Konkurrent Müller ein dreistöckiges Kaufhaus.

Baby-Windeln statt Ben Hur? Viele Konstanzer sind fassungslos. „Die Innenstadt verödet. Überall sind bloß noch Filialisten“, sagt Lutz Rauschnick, der Sprecher einer Bürgerinitiative, die sich die Rettung des Kinostandorts auf die Fahnen geschrieben hat. 6000 Unterschriften wurden in den vergangenen Monaten gesammelt, am vergangenen Samstag zog ein langer Demonstrationszug durch die Straßen.

Das Thema erregt. Doch „dm“, ein Unternehmen, das Wert auf ein positives Image legt, ficht das nicht an. „Wir sind ja nicht die Auslöser für die Schließung des Kinos“, betont der Regionalverantwortliche Christian Harms und fügt trotzig hinzu: Selbst wenn 6000 Konstanzer den dm-Markt aus Protest boykottieren sollten, sehe er in den anderen 74 000 noch ein ausreichendes Käuferpotenzial.

Überall grüne Ausfuhrzettel

Das ist vermutlich nur die halbe Wahrheit. Natürlich ist es vor allem die Schweizer Kundschaft, die den Standort attraktiv macht. Den kleinen Grenzverkehr gab es schon immer. Doch seit die Schweizer Nationalbank den Wechselkurs freigegeben hat, werden die Innenstädte entlang der Grenze regelrecht geflutet, gehen grüne Ausfuhrzettel täglich zu Tausenden über die Ladentheken. Viele Einheimische haben kapituliert. „Wir Konstanzer gehen samstags ja gar nicht mehr in die Stadt“, sagt Rauschnick. Manche beginnen aber auch zu kämpfen. In Konstanz ist es ein Kino, im benachbarten Singen geht es gegen den Bau eines riesigen Einkaufszentrums.

Verkommt die historische Innenstadt zu einem großen Billigdiscounter oder bleibt auch Platz für Kultur und Aufenthaltsqualität? Das ist die Frage, die Christoph Nix umtreibt. Der streitbare Intendant des Stadttheaters gilt als Kopf der Bürgerinitiative und legt sich durch sein Engagement mal wieder mit seiner Rathausspitze an, die sich auffallend zurückhält. „Das Scala ist mein Lieblingskino“, sagt Nix. Das Cineplex, angesiedelt ausgerechnet im Lago, dem größten Einkaufszentrum der Stadt, hält er für keine gute Alternative. Dabei hat der Scala-Betreiber längst versichert, sein Programmkino künftig in einem der dortigen Säle unterzubringen.

Die Politik befürchtet eine Entschädigungsklage

So dürfte zum Jahresende die 80-jährige Filmgeschichte des Scala zu Ende gehen. Nur der Gemeinderat kann noch helfen. Am Donnerstag berät er auf Antrag der Freien Grünen Liste über eine Veränderungssperre für das Gebäude. Es dürfte knapp werden. Projektentwickler Wössner hat für diesen Fall schon einmal eine saftige Entschädigungsklage angekündigt. Wolfsperger bereitet derweil einen Dokumentarfilm über das drohende Ende eines der mutmaßlich ältesten Lichtspieltheater in Süddeutschland vor. Mit zwei Stammkundinnen hat er schon Probeaufnahmen gemacht. „Ich ziehe weg“, droht eine auf Schwiizerdütsch. Auch die Kinos leben von der Kundschaft aus dem Nachbarland.