Exklusiv Am Herzzentrum in Konstanz und Kreuzlingen sollen seit Jahren über eine Tochterfirma millionenschwere Insidergeschäfte zu Lasten der Krankenkassen und anderer Kostenträger laufen.

Konstanz/Kreuzlingen - Ihren jüngsten Besuch stattete die Ordnungsmacht dem deutsch-schweizerischen Herzzentrum einen Tag vor Allerheiligen ab – erst auf der deutschen Seite in Konstanz und danach in Kreuzlingen. Um 18.05 Uhr passierten acht Beamte des Hauptzollamtes Singen das Hauptportal, zwei ihrer Leute postierten sich am Haupteingang. Gut viereinhalb Stunden lang durchsuchten Beamte die Verwaltungsräume und die der Klinikleitung sowie den OP-Trakt. Sie beschlagnahmten umfangreiche Aktenbestände und offenbar auch PC-Sticks.

 

Erst um 22.45 Uhr war die Aktion beendet. Kurz danach begann in Kreuzlingen eine Mitternachtsrazzia im Auftrag der Staatsanwaltschaft Konstanz, bei der die Beamten der Kantonalpolizei Thurgau neben den Verwaltungsräumen nach Augenzeugenberichten auch in die Operationssäle der Herzchirurgie und der Elektrophysiologie vordrangen. Staatsanwaltschaft und der Zoll schweigen über die näheren Umstände der Durchsuchung.

Der Verdacht, dem die Ermittler nachgehen, lautet auf Sozialversicherungsbetrug. Die Verantwortlichen der beiden Kliniken sollen unter anderem in großem Stil Beiträge nicht gezahlt haben. Die Staatsanwaltschaft Konstanz hat erst vor Kurzem Ermittlungen aufgenommen, nachdem sie zuvor schon in zwei anderen Fällen gegen die Kliniken vorgegangen war.

Angestellt in der Schweiz, aber in Deutschland gearbeitet

Das grenzüberschreitende Herzzentrum Konstanz und Kreuzlingen ist in privater Hand und firmiert unter dem Dach der CHC Holding in Kreuzlingen. Die Kliniken gegründet hat der aus Hildesheim stammende Herzchirurg Dierk Maass. 1992 begann er in Kreuzlingen, 1997 folgte Konstanz, auf jenseits der Grenze. Maass agiert auch als Ärztlicher Direktor der Klinken und Verwaltungsratspräsident der CHC Holding. Zusammen mit dem Geschäftsführer der Kliniken, Martin Costa, und dessen Ehefrau Antoinette Airoldi steuert er das Konstrukt.

Von den 300 Mitarbeitern sind gut 180 am Kreuzlinger Herz-Neuro-Zentrum Bodensee angestellt. Tatsächlich aber tun viele dieser Mitarbeiter und die meisten der gut 50 Ärzte in Deutschland ihren Dienst. So hatten nur zwei Ärzte Anstellungsverträge mit Konstanz. Seit dem 1. November sollen es vier sein. Für die aus der Schweiz ausgeliehenen Mitarbeiter sollen keine Abgaben bezahlt worden sein. Die Bilanz für 2011 weist den Sachverhalt der „Konzernleihe“ von Mitarbeitern offen aus. So hat Konstanz von den 6,38 Millionen Euro an Personalkosten rund 2,57 Millionen Euro für „Fremdpersonal“ entrichtet.

Über die Tochterfirma Proventis Millionen gemacht?

Es stellt sich die Frage, ob dieses Vorgehen rechtlich einwandfrei war und ob die Kliniken für diese Gehälter auch Sozialversicherungsabgaben zahlen hätten müssen. 2011 verbuchte das Herzzentrum Konstanz 811 000 Euro noch als „Rückstellungen“ für Quellensteuer. Die Kliniken hingegen verweisen darauf, sie hätten stets die Abgaben „auf der Grundlage der bestehenden rechtlichen Bestimmungen geleistet“. Das gelte auch für die in der Schweiz angestellten und in Deutschland tätigen Mitarbeiter. Deren Versicherungspflicht habe man „unter Beizug externer Fachexperten geprüft und entsprechend umgesetzt“.

Doch es gibt weitere Verdachtsmomente gegen die Kliniken: Nach Informationen der Stuttgarter Zeitung und des Südwestrundfunks (SWR) werden seit Langem innerhalb des Klinikverbundes über eine Tochterfirma im steuerbegünstigten Kanton Zug hohe Millionengewinne generiert – wie es scheint zum Nachteil der Kliniken und der Kostenträger, den Krankenkassen und privat Versicherten. Es geht um den Einkauf und Weiterverkauf medizinischer Produkte. Diese beziehen die Kliniken über die Firma Proventis, die wiederum von der CHC und damit von denselben drei Personen kontrolliert wird. Für Stents, Herzkatheter oder Herzklappen soll nach internen Unterlagen oft Preise verrechnet worden sein, die bis zum Vierfachen über dem marktüblichen Niveau liegen.

Ein Stent, der bei dem Hersteller Boston Scientific für 600 Schweizer Franken (rund 480 Euro) bestellt wird, kostet die Klinik am Ende mehr als 2500 Schweizer Franken (rund 2000 Euro). Dabei wird er vom Krankenhaus bestellt und auch direkt an die Klinik geliefert – Proventis dient dabei als reine Rechnungsadresse. Aufgefallen war Kennern schon länger, dass die sonst enorm lukrativen Kliniken einen vergleichsweise geringen Gewinn ausweisen. Beim Herzzentrum Konstanz waren es 2011 nur 1,2 Millionen Euro Gewinn bei 21 Millionen Euro Umsatz.

Nicht zugelassene Herzklappen aus Tschechien importiert

„Fünf bis sechs Millionen Gewinn wären bei diesen Kliniken normal“, behaupten Branchenkenner. Auch der Umstand, dass die Materialkosten höher als die Personalkosten ausgefallen sind, erscheint als eher ungewöhnlich. Außer natürlich, wenn die Materialkosten nach oben getrieben worden wären.

Die Klinikverantwortlichen hingegen geben an, dass die Firma Proventis nur ein Partner neben „hundert weiteren Lieferanten“ sei und der Bezug „durchwegs zu Marktpreisen oder darunter“ vonstattengehe. „Marktpreise“ werden von den Klinikchefs dabei als „unterhalb der Listenpreise“ definiert. Diese sind in der Tat noch höher als die Preise von Proventis, nur würden die Listenpreise angeblich im Markt nie wirklich bezahlt.

Die Staatsanwaltschaft Konstanz prüft derzeit nicht diese Preisstruktur, sondern die Verwendung nicht zugelassener Herzklappen, die aus Tschechien importiert wurden. „Die Herzklappen hatten nicht die nötige Zulassung des Paul-Ehrlich-Instituts“, sagt der Oberstaatsanwalt und Behördensprecher Christoph Hettenbach.

Die Staatsanwaltschaft geht derzeit nicht davon aus, dass die Klappen minderwertig waren oder auf unzuverlässige Weise eingepflanzt worden sind. Aber auch das werde man prüfen. Zunächst wolle man „behutsam“ auf ehemalige Patienten zugehen. Die Klinikverantwortlichen geben an, dass die Klappen von der Universitätsklinik Prag stammen und ihr Bezug „primär medizinische Gründe“ habe.

Ärzte ohne Approbation, nur ein Notfallteam für beide Kliniken

Außerdem untersuchen die Fahnder den Fall zweier Ärzte, die angeblich ohne Approbation tätig gewesen sein sollen. Nach der ersten Razzia am 5. Juni war bekannt geworden, dass offenbar eine falsche Ärztin Dienst in einem Rettungswagen getan hatte. Die 51-jährige Anästhesie-Krankenschwester aus Bayern hatte zuvor in den Kantonen Zürich, Zug und Aargau an fünf Kliniken gearbeitet. Auch ein Chefarzt der Herzchirurgie soll ohne Approbation in Deutschland operiert haben.

Interne Dienstpläne, die der StZ und dem SWR vorliegen, scheinen diesen Vorwurf zu erhärten. Einer der Betroffenen war der Hauptschuldige im Züricher Herzskandal von 2004, bei dem einer Patientin ein Herz eingepflanzt wurde, obwohl sie die Blutgruppe des Spenderherzens nicht vertrug. Die Patientin starb. Alle drei beteiligten Ärzte wurden zu wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Der Chefarzt, der immer noch an der Klinik tätig ist, sei eine „ in jeder Hinsicht ausgewiesenen Fachkapazität“, der „Vorfall“ ändere daran nichts.

Damit nicht genug. Obwohl das grenzüberschreitende Herzzentrum einen Notfallversorgungsauftrag sowohl des Kantons Thurgau als auch einen des Landes Baden-Württemberg hat, wird in beiden Kliniken offenbar nur ein Notfallteam bereitgehalten. Nachts tut nach Aussagen von Medizinern nur ein Assistenzarzt an beiden Herzkliniken Dienst. Mit der Folge, dass Notfallpatienten im Zweifel schnell dorthin transportiert werden müssen, wo sich der Mediziner gerade aufhält. Diese Vorhaltungen bestätigen die Kliniken weitgehend. Bisher sei eine „leistungsfähige und ausreichende Notfallversorgung gewährleistet“ worden und auch die Regelung mit nur einem Arzt in der Nacht habe sich als „ausreichend erwiesen“, teilen sie mit.

Konstanz/Kreuzlingen -