In Karlsruhe überwachen 700 Lotsinnen und Lotsen den größten gemeinsamen Luftraum in Europa, der von Malmö über die Ostsee bis nach Padua reicht – und zwar grundsätzlich nach dem Vier-Augen-Prinzip.

Karlsruhe - Frankfurt, Fulda und Würzburg – das sind die drei geografischen Sektoren, die Nadine Menga kontrolliert. Seit 2013 überwacht die gebürtige Frankfurterin im badischen Karlsruhe den Flugverkehr über Hessen. Im Kontrollraum der Deutschen Flugsicherung (DFS) koordiniert sie Maschinen in einer Flughöhe über 7500 Metern. 17 solcher geografischen Kontrollsektoren überwacht Karlsruhe. Im voll klimatisierten Großraumbüro von Rhein-Radar gibt es Dutzende Bildschirmarbeitsplätze. Die Temperatur ist niedrig, hier kommt es vor allem auf hoch konzentriertes Arbeiten an.

 

Im „Operation Service-Room“ (OPS), wie man den Kontrollraum hausintern nennt, arbeiten 700 Lotsen in Wechselschichten rund um die Uhr. Hessen, Teile Nord-Ost-Württembergs und Nord-Bayerns sind die drei Sektoren, die Nadine Menga zugeteilt sind, dort fliegen stündlich zwischen 60 und 100 Maschinen. „Manchmal habe ich mit 15 Piloten gleichzeitig Kontakt“, sagt sie. In einer Stunde sind das schnell mal bis zu 600 Kontakte.

In höchster Konzentration im Großraumbüro

Als Radarlotsin gibt Menga Anweisungen zur Verkehrsabwicklung und prüft eingehende Konfliktwarnungen. Etwa wenn sich zwei Maschinen im „Upper Airspace“, dem Flugraum für Fernflüge, vermeintlich oder tatsächlich zu nahe kommen. Dann gibt sie, wenn notwendig, Anweisungen durch: vor allem wenn eine Maschine auf eine andere Flughöhe ausweichen muss. Das Großraumbüro mit etwa 1800 Quadratmetern ist überraschend leise: In Böden, Wänden und Decken wurden schallschluckende Elemente verbaut, denn hier wird oft in höchster Konzentration gearbeitet.

Nadine Menga hat ihre Ausbildung 2012 in der Akademie der Deutschen Flugsicherung im hessischen Langen begonnen, nachdem sie das Auswahlverfahren in Hamburg bestanden hatte. Seit 2015 ist sie Lotsin, ihr „absoluter Traumberuf“, wie sie sagt. „Ich möchte nichts mehr anderes machen“. In einer Schicht im Karlsruher Kontrollraum arbeiten gleichzeitig bis zu 120 Kollegen, und zwar immer paarweise: der Radarlotse – der Funkkontakt mit dem Piloten hält, und der Koordinator, der mit den Begegnungsfliegern Kontakt hält. Auch nachts seien es mindestens zehn Leute, versichert Boris Pfetzing, bei der DFS für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. „Einer allein kann nicht vorkommen“, sagt er. Die Acht-Stunden-Schicht erfolgt in Einheiten „von maximal zwei Stunden am Stück“, zwei Stunden Pause inklusive.

Den Notruf Mayday fürchten alle Fluglotsen

Der schlimmste mögliche Fall ist der Mayday-Ruf, das internationale Notsignal im Sprechfunkverkehr. Einen solch vermeintlichen Unglücksfall sah Mengas Kollegin Manuela Pach in der Ausbildung vor Augen: „Ich dachte, da brennt ein Flugzeug“. Das zumindest glaubte sie anhand der Signale am Bildschirm und der Funkzeichen zu erkennen. Doch das ganze löste sich in Wohlgefallen auf: der Flieger habe nur landen wollen, erzählt sie Jahre später lachend. Die einfachste Variante eines Mayday-Rufs sei der „sick passenger“, ein kranker Passagier, für den am Flughafen ein Krankenwagen geordert werden muss. Obligatorische Lotsensprache: Englisch.

Manuela Pach arbeitet seit 2003 in Karlsruhe. Nach 2001, als sie begann, habe man bei der Ausbildung noch zwischen der Tower-Ausbildung für einen Flughafen, und der Center-Lotsen-Ausbildung wie für Karlsruhe erforderlich wählen können. Den Rhein-Radar fand sie freilich von Anfang an „viel spannender“. Auch wenn da Flugzeuge nur als kleine Punkte auf dem Radarschirm erscheinen. Seit 2016 ist sie für die Alpen, mit Teilen des Allgäus und Österreichs, und für Chiem zuständig – das im wesentlichen München und Oberbayern umfasst. „Auch die Airforce One des amerikanischen Präsidenten muss sich bei uns melden“, sagt Pach grinsend. Meist hätte sie dann Sonderwünsche, etwa wenn die Linienflieger mehr Abstand halten sollten. „Wir behandeln jeden gleich“, sagt sie.

2014 trugen die Lotsen auch mal WM-Trikots

Manchmal gebe es auch richtig was zu lachen: als der Siegerflieger der WM 2014 mit den Fußballern in die Kontrollzone von Rhein-Radar eindrang, stand rund ein Dutzend Lotsen – teilweise in WM-Trikots – hinter dem Bildschirm des diensthabenden Lotsen-Duos und mimte eine La-Ola-Welle. „Rhein-Radar kontrolliert den Rückflug der Fußballweltmeister“, heißt es in einem Vermerk von 15. Juli 2014.

Vom Operation Service-Room aus wird der zurzeit größte gemeinsame Luftraum in Europa kontrolliert: von Malmö in Südschweden über die Ostsee bis nach Padua in Norditalien, erläutert Boris Pfetzing. Er betont: „Bei uns gilt grundsätzlich das Vier-Augen-Prinzip“. Und zwar nicht erst seit dem dramatischen Flugzeugunglück im Juli 2002 bei Überlingen am Bodensee, als eine russische Passagier- und eine deutsche Frachtmaschine aufgrund eines Lotsenfehlers in der Luft zusammenstießen und alle 71 Insassen starben. „In jedem dieser kleinen Vierecke auf dem Bildschirm des Lotsen sitzen Menschen“, sagt Pfetzner. Da stumpfe man nicht ab. Man müsse stets präsent sein für den Notfall, versichert auch Manuela Pach. Den Notfall, den sich niemand wünscht, der aber doch eintreten kann. Pach und Menga haben bisher Glück gehabt – ein Mayday-Ruf hat sie noch nicht erreicht.

Die Deutsche Flugsicherung ist in Besitz des Bundes


Die Deutsche Flugsicherung (DFS) GmbH mit Sitz im hessischen Langen ist für die Flugverkehrskontrolle in Deutschland zuständig. Sie ist ein privatrechtlich organisiertes Unternehmen, das zu 100 Prozent dem Bund gehört. Das Unternehmen wurde im Januar 1993 gegründet und löste damit die überörtliche militärische Flugsicherung (üMilFS) und die Bundesanstalt für Flugsicherung (BFS) als Kontrollinstanz des zivilen und militärischen Flugverkehrs in Deutschland ab. Bereits 1990 wurden die Flugsicherungsdienste der „Interflug“ in der einstigen DDR eingegliedert. Erst 1955 erlangte die Bundesrepublik die volle Souveränität und eigene Lufthoheit. Seit 1977 besteht in Karlsruhe das Lotsensystem Rhein-Radar. Es ist die derzeit mit Abstand größte eigenständig wirkende Radarlotseneinheit in Europa. Seit 1993 ist Rhein-Radar Bestandteil der privatrechtlich organisierten „Deutschen Flugsicherung“ (DFS). Das Flugzeugunglück in Überlingen im Juli 2012, bei dem 71 Menschen starben, zog Diskussionen rund um die Flugsicherung und Sicherungssysteme nach sich. Auch die Deutsche Flugsicherung hatte sich an einem 180 Seiten umfassenden Unfallgutachten beteiligt – und nach dem Unfall alle internen Arbeitsabläufe auf den Prüfstand gestellt.