Die Zeit läuft rückwärts, die Dinosaurier kehren wieder: Am Dienstagabend lockten die Progressive-Rocker von Yes ihr Publikum im Hegelsaal noch einmal in ihr Reich der Fantasie und spielten ihre Alben „Fragile“ und „Drama“ in voller Länge.

Stuttgart - „Tempus fugit“ heißt eines der Stücke, die Briten für ihr Album „Drama“ aufnahmen - und in der Tat: Die Zeit flog dahin, 36 Jahre sind vergangen, seitdem dieses Album erschien, 44 Jahre, seitdem „Fragile“ veröffentlicht wurde, das zweite Album, das Yes am Dienstagabend im Hegel-Saal der Liederhalle in voller Länge spielen. Die Tickets für diese Zeitreise sind nicht eben günstig, aber der Saal ist voll; das Publikum zeigt sich zunächst skeptisch gegenüber einer Band, die von vielen Besetzungswechseln verändert wurde, ist zuletzt aber doch begeistert von der gekonnt inszenierten Vermischung von zarter Melodie und instrumentalem Donner.

 

Gitarrist Steve Howe ist heute der letzte Musiker der Originalbesetzung von Yes – und er ist der heimliche Mittelpunkt dieser Show: Ein spindeldürrer Mann mit langem weißen Zopf, 69 Jahre alt, wechselt er fliegend zwischen seinen Gitarren. Howes Spiel, die Leichtigkeit, mit der er unwahrscheinliche Momente aus Country und Bluegrass in den Bombastsound von Yes integrierte, war ein wichtiges Kennzeichen der Band. Heute ist er allein es, der die Grenzen der Vorlagen sprengt, mit einem schrägen Grinsen seine blitzschnellen Läufe, hämmernden Riffs und überraschenden Sounds spielt. Der Hegelsaal bietet ein sehr differenziertes Klangbild, Steve Howes Gitarrenspiel tritt nur diskret hervor: Er liebt es, zu glänzen und sich dann zurückzuziehen.

Davidson statt Anderson, Sherwood statt Squire

Der Amerikaner Jon Davidson indes ist vor allem Darsteller seines Vorbildes Jon Anderson, bis hin zum blümchenverzierten Hemd und zur esoterischen Attitüde. Davidson füllt seinen Rolle gut aus, singt mit Überzeugungskraft; seinem Falsett allerdings fehlt die Schärfe und Klarheit von Anderson, das sentimentale Moment wirkt manchmal allzu stark. Billy Sherwood hat den Part des 2015 verstorbenen Bassisten Chris Squire übernommen; Geoff Downes löste Rick Wakeman bereits 1980 an den Keyboards ab und gründete mit Howe später „Asia“. Alan White schließlich stieß 1972 zu Yes, als Bill Bruford zu King Crimson wanderte - sie alle sind heute geübte Darsteller in einem rockmusikalischen Historienfilm, in dem sie allerdings mit spürbarem Vergnügen agieren.

Hinter ihnen leuchtet eine digitale Bildwand, die das Publikum durch die nebelhaften Fantasy-Welten fliegen lässt, die der Künstler Roger Dean für die Cover der Yes-Alben schuf. Die Show beginnt mit einem Film, der Bilder aus der Bandgeschichte, Erinnerungen an Chris Squire und Peter Banks, den ersten Gitarristen der Band bringt – dazu der Song „Onwards“, der erst jüngst in einer verblüffend schönen Coverversion, gesungen von Mark Kozelek, im Soundtrack zu Paolo Sorrentinos Film „Ewige Jugend“ wiedergeboren wurde.

„Drama“ und „Fragile“ mit viel Energie

„Drama“ und „Fragile“ werden von Yes mit akkurater Energie aufgeführt – bei dem Vokalstück „We have Heaven“ glaubt man, Davidson mit Duett mit einem Sample von Jon Andersons Stimme zu hören; Sherwoods Basssolo in „Long Distance Runaround“ ist eine Erinnerung an den Malstrom, den Chris Squire entfesselte; Alan White hat bei Bill Brufords sehr kurzen „Five Per Cent For Nothing“ seinen besten Auftritt. In die Pause verabschiedet sich die Band mit „Siberian Khatru“ von „Close to the Edge“; die zweite Hälfte des Konzertes beginnt sie mit den Pop-Hits „Don’t kill the Whale“ und „Owner of a lonely Heart“. Und zuletzt dann, bei „Starship Troopers“, kreist Steve Howes Gitarre einmal mehr mit schwerem Schwung durch ferne Galaxien. Die Fans von Yes bleiben zurück auf der Erde und erwachen – im Jahr 2016.