Gastspiel der Ludwigsburger Schlossfestspiele in Stuttgart: Laurie Anderson, Nik Bärtsch und Eivind Aarset geben im Kunstmuseum ein hinreißendes Konzert.

Stuttgart - Etwas kokett spielte der Intendant Thomas Wördehoff zur Begrüßung mit der Wahrnehmung der räumlichen Distanz zwischen Ludwigsburg und Stuttgart beim ersten Auswärtsspiel der Ludwigsburger Schlossfestspiele im Kunstmuseum der Landeshauptstadt. Schließlich sollte auch das kundige Publikum in Stuttgart längst realisiert haben, welch künstlerische Bereicherungen jenseits des Nur-Konventionellen dort „überm Berg“ in der kleineren Residenzstadt kredenzt werden.

 

Bestes Beispiel: die ausverkaufte „Song Conversation“ am Donnerstagabend mit mit Laurie Anderson, Nik Bärtsch und Eivind Aarset. Eine Premiere – und eine exklusive Begegnung dreier Musiker aus unterschiedlichen Welten: Andersons grenzgängerische Performancekunst trifft Bärtschs „Ritual Groove Music“ trifft Aarsets klangmalende „Dream Logic“, so der Titel seines ECM-Albums. Der Konzertabend – schon auf dem Papier eine unerhörte Delikatesse – gewährte einen Blick auf aktuelle Entwicklungen zeitgenössischer elektronischer Improvisationskunst, wo im Stuttgarter Konzertalltag für gewöhnlich noch nach den traditionellen Rezepten des 20. Jahrhunderts handgemacht gejazzt und gegroovt wird.

Zum Konzept der „Song Conversation“ gehört der inspirierte wechselseitige Austausch über eigenes und fremdes Song-Material. Insofern durfte man schon deshalb auf das Konzert gespannt sein, weil keiner der drei Eingeladenen für traditionelle Songs steht. Die Violinistin Laurie Anderson ist eine Erzählerin, der Pianist Bärtsch ordnet seine instrumentalen Kompositionen als nummerierte Module und der E-Gitarrist Aarset interessiert sich eh mehr für klangliche Texturen als für Texte. Konsequent wurde kurzerhand der Song-Begriff erweitert zu einer szenischen Folge von Impressionen mit reichlich Raum für den Zuhörer, um sich darin zu bewegen.

Witz und Sinn fürs Abgründige

Erste Überraschung: Laurie Andersons Charisma, gepaart mit koboldhaftem Witz und Sinn fürs Abgründige und Doppeldeutige, schlägt noch immer binnen kürzester Zeit in den Bann – etwa wenn sie beginnt, von fluoreszierenden Tiefseefischen, weißen Walen, ratlosen Vögeln, befußten Schlangen, entsetzten Engeln oder Hänsel und Gretel in Berlin zu erzählen. Zweite Überraschung: der Abend verwandelt sich in einen nie abreißenden Fluss aus dunkel poetischen Bildern und vielfach elektronisch manipulierten und modulierten Tönen, die das Trio bald in ein String Trio, bald in eine kommunizierende Walfischherde morphte.

Anderson, die deutlich und souverän als Mittelpunkt des Geschehens agierte, wusste wahrlich Wundersames zu berichten. Wie man die Aufgabe löst zu lernen, traurig zu sein, ohne deshalb traurig zu sein. Oder von der Geburt des Gedächtnisses aus der Not einer jungen Lerche, die vor der Schaffung der Erde den verstorbenen Vater bestatten will und schließlich dafür nur den eigenen Hinterkopf zur Verfügung findet.

Hinreißende Version von Leonard Cohens „Bird On A Wire“

Buchstäblich ging es an diesem Abend immer wieder um Magie und Verlust, um „Magic and Loss“, wie ein spätes Album von Andersons jüngst verstorbenen Lebensgefährten Lou Reed betitelt ist, aus dem auch ein Song gespielt wurde. Und auch für Alban Berg oder für Walter Benjamins Engel der Geschichte, der mit starrem Blick auf die sich türmenden Trümmer früherer Katastrophen von einem Wind aus dem Paradies in die ungewisse Zukunft geweht wird, war an einem Abend Platz, der fast schon absehbar in eine hinreißende Version von Leonard Cohens „Bird on a Wire“ und minutenlange Ovationen mündete.

Dass die im Programm angekündigte Pause zu Gunsten eines durchgängigen Sets entfiel, war zudem ein Glück. Eine vorzeitige Rückkehr in den Alltag der Alkoholbeschaffung und des gewitzten Smalltalks hätte den reflektierten Zauber des Abends wohl beschädigt.