Für Städte und Gemeinden ist es schwer, den Strom- und Gaskonzessionär zu wechseln. Die jüngsten Beispiele Freiberg und Korb zeigen: die großen Versorger liefern sich juristische Schlachten um jeden Meter Versorgungsnetz

Energie - Wie viel ist das Gasnetz einer mittelgroßen Gemeinde mit 10 000 Einwohnern wert? Üblicherweise werden solche Zahlen gehütet wie Staatsgeheimnisse. Anders bei öffentlichen Gerichtsverhandlungen: beim Rechtsstreit um die Frage, wer künftig das Gasversorgungsnetz der Gemeinde Korb (Rems-Murr-Kreis) betreibt, wurde am Donnerstagnachmittag zumindest eine Bandbreite bekannt: 1,8 Millionen Euro – sagt die Gemeinde Korb. 4,1 Millionen Euro sagt der Altkonzessionär Netze BW.

 

Die Gemeinde Korb hat vor drei Jahren mit dem Energieversorger Syna (eine Süwag-Tochter) eine Netzgesellschaft gegründet. Gemeinsam sollen das Strom- und das Gasnetz betrieben werden. Die Syna brachte ihr Stromnetz in die Gesellschaft ein. Doch die EnBW-Tochter Netze BW weigert sich standhaft, das Gasnetz herauszurücken. Dass beide Seiten in der Preisfrage so weit auseinander liegen, erstaunte auch die Vorsitzende Richterin am Landgericht Stuttgart. Sie hat darüber zu befinden, ob Korb und Syna Zugriff zum örtlichen Gasnetz erhalten – oder ob die Gemeinde das Vergabeverfahren wiederholen muss.

Zweiter Anlauf für den Rammbock?

Nach der mündlichen Verhandlung am Donnerstag erscheint letztere Variante wahrscheinlich. „Wenn man eine Burg erstürmen will, muss man manchmal mit dem Rammbock mehrmals rangehen“, sagte die Richterin. Sollte dies der Fall sein – das Urteil soll erst im Februar gefällt werden –, dann befände sich die Gemeinde Korb in bester Gesellschaft.

Bei der Vergabe ihrer Strom- und Gasnetze sind Städte und Gemeinden in jüngster Zeit immer weniger Herr des Verfahrens. Versuche, die Netze an neue Konzessionäre zu vergeben, scheitern regelmäßig an den hohen juristischen Hürden oder generell wegen mangelnder rechtlicher Klarheit (siehe Seite 2: „Gesetz mit Interpretationsbedarf“). Erst kürzlich musste die Stadt Freiberg ihre Verfahren für Strom- und Gasnetz erneut aufrollen. Die Stadt Bad Saulgau in Oberschwaben hat bereits einen zweiten Anlauf genommen – auch hier ergaben sich vor Gericht Probleme. Filderstadt (Kreis Esslingen) hat trotz eines sehr aufwendigen Vergabeverfahrens beim Versuch, die EnBW als Konzessionär durch die Fair-Energie Reutlingen zu ersetzen, Schiffbruch erlitten. In Freiberg ist die Konstellation ziemlich genau umgekehrt wie in Korb: hier ist die Syna Altkonzessionär, und die EnBW will mit der Stadt zusammen Netzbetreiber werden. Doch die Syna reichte Beschwerde bei der Landeskartellbehörde ein, die wiederum mit einem Mängelrügeverfahren drohte.

Landratsamt als Rückendeckung

Nachdem die Vorsitzende Richterin der Gemeinde Korb nahegelegt hatte, ihre Klage zurückzunehmen, ersann deren Anwalt eine neue Verhandlungsstrategie. Er berief sich auf das Landratsamt in Waiblingen, das den Konzessionsvertrag vor der Unterschrift geprüft habe. Er wurde „von der Rechtsaufsicht nicht beanstandet“, schrieb der Vizelandrat Bernd Friedrich. Gerichte seien an solche Expertisen von Behörden gebunden, argumentierte der Anwalt. Die Vertreter der Netze BW widersprachen.

Dass das Gericht dieser Argumentation folgt, erscheint unwahrscheinlich. Dennoch könnte die Gemeinde zumindest einen Punktsieg gegen die Netze BW erringen. Die Richterin äußerte den Verdacht, dass die Netze BW ihrer gesetzlichen Informationspflicht bezüglich der wirtschaftlichen Daten des Netzes nicht ausreichend nachgekommen sei. „Wir sind hier bewusst im Dunkeln stehen gelassen worden“, unterstrich der Anwalt der Gemeinde.

Gut möglich, dass das Unternehmen nun gerichtlich dazu verdonnert wird, der Gemeinde die Daten nachzuliefern – obwohl die Vertreter der Netze BW das unbedingt verhindern wollten. Wie auch immer das Verfahren ausgeht, scheint eines schon sicher: das letzte Wort wird wohl das Oberlandesgericht haben. „Ich will diesen Rechtsstreit in die nächste Instanz bringen“, sagte die Richterin.

Gesetz mit Interpretationsbedarf

Basis
: Die Grundlage für den Betrieb der kommunalen Energieversorgungsnetze ist das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG). Dort sind im einleitenden Paragrafen Grundsätze erwähnt, die der Versorger erfüllen soll. So soll die Energieversorgung beispielsweise stets „sicher, preisgünstig, verbraucherfreundlich, effizient und umweltverträglich“ sein, heißt es.

Umsetzung
: Das Problem: im Gesetz fehlen weitere Erläuterungen, wie diese Grundsätze in der kommunalen Praxis umzusetzen sind. Mehrere Anläufe, auf Bundesebene das EnWG entsprechend zu reformieren, scheiterten.

Gerichte:
Wegen mangelnder gesetzlicher Klarheit müssen die Gerichte verstärkt dieses inhaltliche Vakuum füllen. Das Ergebnis sind immer neue, meist strengere formale Vorgaben. Denn Richter können meist nur beanstanden, was Gemeinden falsch gemacht haben – nicht, wie sie es besser machen können.