Nach neuen Vorwürfen gegen den deutschen Geheimdienst äußerten Oppositionspolitiker den Verdacht, dass der BND und die NSA in Europa mehr als 40.000 Mal rechtswidrige Abhöraktionen betrieben haben könnten.

Berlin - Der Bundesnachrichtendienst (BND) ist nach neuen Erkenntnissen zu seiner Rolle bei den Spähaktionen des US-Geheimdiensts NSA unter massiven Druck geraten: Im Zusammenhang mit der Kooperation der beiden Geheimdienste habe das Bundeskanzleramt „technische und organisatorische Defizite beim BND identifiziert“, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert am Donnerstag in Berlin mit. „Das Bundeskanzleramt hat unverzüglich Weisung erteilt, diese zu beheben.“ Die Opposition forderte den Rücktritt von BND-Chef Gerhard Schindler.

 

Oppositionspolitiker äußerten den Verdacht, dass der BND und die NSA in Europa mehr als 40.000 Mal rechtswidrige Abhöraktionen betrieben haben könnten. Nach Informationen des „Spiegel“ lieferte die NSA über Jahre hinweg so genannte Selektoren an den BND. Dabei handelte es sich unter anderem um Handynummern oder Internet-IP-Adressen, die dann vom BND zur Überwachung in verschiedenen Weltregionen eingespeist worden seien.

Für den BND gelten strenge Regeln, wer überhaupt überwacht werden darf und wer nicht. Laut „Spiegel“ fiel BND-Mitarbeitern seit 2008 wiederholt auf, dass einige der Selektoren aus den USA dem Aufgabenprofil des BND zuwiderliefen; offenbar habe die NSA gezielt nach Informationen etwa über den Rüstungskonzern EADS, über Eurocopter oder über französische Behörden gesucht.

Aktivitäten der NSA nicht überprüft

Der BND habe dennoch nicht systematisch die Selektorenliste aus den USA überprüft; erst nach Aufdeckung des NSA-Spähskandals 2013 habe sich der BND gezielt mit den Suchbegriffen der NSA befasst. Die Ergebnisse seien aber nicht an das Bundeskanzleramt weitergeleitet worden; stattdessen habe ein BND-Abteilungsleiter die USA gebeten, solche Verstöße künftig zu unterlassen.

Laut „Spiegel“ wurde die Angelegenheit nun in der Folge eines Beweisantrags bekannt, den der NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags gestellt habe. Herausgekommen sei, dass etwa 40.000 NSA-Selektoren gegen westeuropäische und deutsche Interessen gerichtet gewesen seien. Das Bundeskanzleramt sei im März informiert worden, die Bundestagsparteien dann schließlich in dieser Woche.

Seibert erklärte, dass das Kanzleramt als zuständige Aufsichtsbehörde mit dem BND „seit mehreren Wochen in intensivem Kontakt“ stehe und den Dienst angewiesen habe, „den komplexen Sachverhalt vollständig aufzuklären“. Nach wie vor gebe es aber „keine Hinweise auf eine massenhafte Ausspähung deutscher und europäischer Staatsbürger“. Zur Frage, inwieweit „die öffentlich behaupteten Tatsachen zutreffen“, äußere sich das Bundeskanzleramt gegenüber den zuständigen Gremien.

Linken-Fraktionschef Gregor Gysi bezeichnete es als „einzigartigen Skandal“, dass der BND und die NSA in Europa mehr als 40.000 Mal rechtswidrige Abhöraktionen betrieben hätten. Gysi forderte den Generalbundesanwalt auf, ein sofortiges Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Landesverrat einzuleiten. Die Linken-Obfrau im NSA-Untersuchungsausschuss, Martina Renner, forderte den Rücktritt von BND-Chef Schindler. Dies wäre die „logische Konsequenz“ aus dem Skandal.

Auch bei den Grünen rief der Fall scharfe Kritik hervor. „Jetzt ist endgültig eine Grenze überschritten. Die Bundeskanzlerin muss erklären, was Sache ist“, sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Konstantin von Notz, der „Leipziger Volkszeitung“ (Freitagsausgabe). Er könne es sich „kaum vorstellen, dass das mit der Kontrolle beauftragte Kanzleramt bis vor kurzem von dieser jüngsten Entwicklung keine Ahnung hatte“.