Bernd Gottschalk leitet die Korntaler Blaukreuzgruppe. Vor Jahren war er selbst alkoholabhängig, heute versucht er, mit seinen Erfahrungen anderen auf ihrem Weg aus der Sucht zu helfen.

Korntal-Münchingen - Dass sich der Leiter einer Selbsthilfegruppe für Suchtkranke und Angehörige über mangelnde Nachfrage beklagt, klingt erst einmal komisch. Schließlich könnte das gesunkene Interesse bedeuten, dass weniger Menschen ein Problem mit Alkohol haben. Es kann jedoch auch zeigen, dass viele das Problem gar nicht erst angehen. „Der erste Schritt ist der schlimmste“, sagt Bernd Gottschalk – und meint damit den Schritt, sich einzugestehen, dass man ein Problem hat.

 

Seit 2007 leitet Gottschalk die Blaukreuz-Gruppe in Korntal, ehrenamtlich, dienstags nach der Arbeit als Maschinenbautechniker. Der 52-Jährige weiß, wovon er spricht: Um die Jahrtausendwende war er selbst alkoholabhängig. „Ich hatte ein massives Problem“, gibt Gottschalk offen zu. Im Jahr 2002 suchte er in der Selbsthilfegruppe, die er heute leitet, Hilfe. Seitdem ist er nach eigener Aussage trocken.

Mit der Sucht groß geworden

Mit der Sucht ist Gottschalk quasi groß geworden, er sagt, er komme aus einer Alkoholikerfamilie. Vielen Suchtkranken gehe es ähnlich. „Es ist erwiesen, dass auch die Gene darüber entscheiden, ob jemand zum Alkoholiker wird“, sagt er. Außerdem seien Eltern immer Vorbilder – positive oder negative. Auch das soziale Umfeld sei entscheidend dafür, wie viel jemand trinke. „Viele schlittern rein in die Abhängigkeit“, sagt Gottschalk. Bei den meisten entwickele sie sich „vielleicht mit Ende 30“, wenn die Ausbildung oder das Studium beendet, die Familie gegründet sei. „Dann schleicht es sich oft langsam ein, etwa, wenn jemand mit der Erziehung überfordert ist oder Stress im Beruf hat.“

Gottschalk sieht die Lebensbedingungen und Situationen, die eine Sucht begünstigen können. „Viele sind der Meinung, bestimmte Umstände zwängen sie dazu, zu trinken.“ Dieses Argument lässt er nicht gelten. „Schuld ist am Ende immer derjenige, der trinkt.“

Oft sei die Sucht das Ventil eines anderen schwerwiegenden Problems. „Gerade im Alter ist das ein Thema“, sagt Gottschalk – Trinken sei dann oft Ausdruck der Einsamkeit, unter der viele ältere Menschen litten. Auch Depressionen könnten hinter einem Suchtproblem stecken. Der Alkohol fungiere hier als eine Art „flüssiges Antidepressivum“. Hier sieht sich Gottschalk jedoch nur bedingt in der Lage, Ratschläge zu geben: „Ein Psychotherapeut bin ich nicht.“

„Viele wachen erst auf, wenn die Frau weg ist“

Die meisten, sagt Gottschalk, würden erst wach gerüttelt, wenn die Frau weg sei oder der Job auf der Kippe stünde. Den ersten Schritt raus aus der Sucht zu machen kann bedeuten, in einer Gruppe wie der von Bernd Gottschalk zu sitzen. In Korntal, sagt Gottschalk, sind die Teilnehmer bunt gemischt, was ihr Alter und ihren persönlichen Hintergrund angeht. In zwanglosen Gesprächen sollen die Probleme aufgearbeitet werden.

Eigentlich seien es meist zwischen zehn und zwölf Personen gewesen, die sich dienstagabends im Gemeindezentrum getroffen hatten. „Mittlerweile“, sagt Gottschalk, „sind wir oft nur zu dritt.“ Über die Gründe für das rückläufige Interesse in Korntal kann der Gruppenleiter nur spekulieren. „Vielleicht haben einige Angst, sich offen zu zeigen“, sagt der 52-Jährige – dabei gilt ein striktes Stillschweigen nach außen über die Dinge, die die Gruppe beredet. „Wir haben auch überlegt, ob es an der Brüdergemeinde liegt“, sagt Gottschalk – und spielt auf den Missbrauchsskandal an. „Wir wollen ganz bestimmt nicht missionieren.“

Das Ziel: „zufriedene Abstinenz“

Überhaupt, der christliche Grundgedanke des Blauen Kreuzes tritt in der Korntaler Gruppe in den Hintergrund. Als das Ehepaar Witteck die Gruppe 1981 gründete, sei für die beiden der pietistische Gedanke wichtig gewesen. Gottschalk hingegen gehört der Brüdergemeinde nicht an, auch wenn er evangelisch ist. Das einzig christliche Element sind kurze Geschichten zu Beginn jedes Treffens, die einen biblischen Hintergrund haben. Gottschalk stellt aber klar, dass man weder evangelisch noch überhaupt gläubig sein muss, um das Angebot des Blauen Kreuzes in Anspruch nehmen zu können.

Strikte Kriterien, wer teilnehmen kann und wer nicht, gibt es für ihn ohnehin nicht: „Ich schicke keinen weg.“ Selbst wer noch trinke, sei willkommen. Gottschalk erzählt von einem Obdachlosen, der eine Zeit lang dabei war. Er habe immer eine Alditüte dabei gehabt, einmal sei Weißwein daraus ausgelaufen. „Trotzdem kam der immer eisern zu jedem Treffen.“

Bernd Gottschalks Ziel ist es, neben der Abstinenz an sich, dass die Menschen damit auch zufrieden sind. „Viele, gerade diejenigen, die keine Therapie machen, wollen eigentlich trinken. Es gibt aber Schlimmeres, als keinen Alkohol zu konsumieren.“ Gottschalk ist es auch wichtig, Illusionen zu nehmen. „So etwas wie kontrolliertes Trinken gibt es nicht“, sagt er.