Einem 74-Jährigen ist nach langjähriger Ehe offensichtlich der Geduldsfaden gerissen. Er griff zu einer Pistole und erschoss seine Frau. Jetzt wird ihm der Prozess gemacht.

Kornwestheim - Am 4. Januar dieses Jahres steht ein 74-Jähriger morgens zur üblichen Zeit auf. Er geht ins Bad und macht sich frisch. Er zieht sich Jeans und Shirt an und geht in den Keller. Dort sucht er einen Revolver, den er vor längerer Zeit gekauft hat, er lädt die Waffe mit sechs Patronen. Dann geht er wieder in die Wohnung im ersten Stock und schießt seiner schlafenden Frau in den Kopf. Mehrfach. Sie stirbt am nächsten Tag im Krankenhaus.

 

Warum der Kornwestheimer das tat? Das war die große Frage, die am Dienstag die Prozessbeteiligten vor dem Landgericht in Stuttgart beschäftigte und auf die es – trotz ausführlicher Befragung des Angeklagten – am ersten Tag des Hauptverfahrens keine wirkliche Antwort gab.

Der Staatsanwalt wirft dem 74-Jährigen, der mit seiner Frau in der Goerdelerstraße gewohnt hat, heimtückischen Mord vor. Er sei der ehelichen Streitigkeiten überdrüssig gewesen und habe die wehrlose Gattin, mit der er noch zwei Jahre zuvor goldene Hochzeit gefeiert hatte, getötet. Auch der Anklagevertreter wollte aber herausfinden, was in dem Kornwestheimer bei seiner Tat und in den Tagen zuvor vor sich gegangen war. Was er empfunden hat. Ob er wütend, gekränkt, frustriert, traurig gewesen sei. Er erntete ein: „Ich weiß nicht, ich erinnere mich nicht. Wütend war ich nicht.“Tatsächlich? Noch am Vorabend hatte es zwischen den Eheleuten wieder gekracht. Es ging um den Sohn, der Nebenkläger ist. „Er rief an, um uns ein gutes neues Jahr zu wünschen“, sagte der Rentner, doch seine Frau habe im Hintergrund gefordert, ihn zu beschimpfen. Er habe aber gar nicht gewusst, was der 51-Jährige, Vater von zwei Kindern, angestellt haben sollte. Also habe er mit dem Sohn nicht geschimpft.

Frau zetert im Hintergrund

Die Frau, die über die Freisprechanlage mitgehört hätte, habe daraufhin selbst mit dem Sohn gestritten. Bis jener auflegte. Danach habe die 72-Jährige ihn verbal attackiert, berichtete der Angeklagte. Von „Streit“ wollte er aber nicht sprechen. „Ich streite nicht“, stellte er klar. Wenn seine Frau ihm Vorwürfe gemacht habe, habe er stets zurückgesteckt. „Sonst wäre sie ja noch wütender geworden“, sagte er. Nach zwei, drei Stunden sei er schließlich ins Bett gegangen. Was er gefühlt habe? „Nichts Besonderes.“ Er schlief schnell ein. Und am nächsten Tag griff er zur Waffe.

Ursprünglich hatte der geständige 74-Jährige zum Prozessauftakt keine Aussage machen wollen, aber auf den sanften Druck der Richterin redete er. An jenem Morgen im Januar sei alles wie ein Tunnel gewesen, er habe nichts rechts und nichts links gesehen. Er habe auch keinen bewussten Beschluss gefasst, seine Frau zu töten, als er sich auf die Suche nach dem Revolver machte. Bevor er die fatalen Schüsse abgab, setzte er sich allerdings an einen Tisch in einem Nebenzimmer und schrieb an seinen Sohn, seine Schwiegertochter und die beiden Enkel: „Bitte verzeiht mir, was ich jetzt tue, ich kann nicht mehr.“

Waffe funktioniert nicht richtig

Außerdem listete der frühere Landmaschinenmechaniker, der in Ostpreußen zur Welt kam und in Bayern aufwuchs, penibel auf, was in der Wohnung ihm und seiner Frau gehörte und fügte an: „Wir beide wollen verbrannt werden.“ Er habe auch sich selbst töten wollen, berichtete der Angeklagte, allerdings habe die Waffe schon bei seiner Frau nicht gut funktioniert. Nach dem ersten Schuss in ihre Schläfe habe sie sich sogar noch aufgerichtet und gefragt, was das für ein Knall gewesen sei. Da habe er erneut abgedrückt, die Waffe aber nicht mehr gegen sich selbst gerichtet.

Vor der geplanten Selbstrichtung wählte er noch die Notrufnummer, damit die Polizei ihn und seine Frau finde – und nicht der Sohn. Am Telefon ließ er sich bereitwillig überreden, die Waffe beiseite zu legen und mit erhobenen Händen vors Haus zu gehen. Dort wurde er, ohne Widerstand zu leisten, festgenommen. Die Tonaufnahme von dem Anruf wurde im Landgericht vorgespielt. Der Angeklagte wirkt während des Gesprächs völlig kontrolliert. In der Justizvollzugsanstalt versuchte er nach wenigen Tagen, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Daraufhin wurde er ins Justizvollzugskrankenhaus Asperg verlegt.

Brief mit Drohung

Eine zentrale Rolle spielte vor Gericht ein Brief des späteren Opfers vom November 2016 an den Angeklagten. Darin droht die 72-Jährige damit, Schritte zu ergreifen, die vielen – auch ihrem Mann – wehtun würden. Und sie ließ ihn wissen, dass er ein „guter Mann“ sei, aber „schwach, unentschlossen, feige und ungerecht“. Mit seinen „dummen, unangebrachten Sprüchen“ werde er nicht weit kommen. Wenn sich nichts ändere, werde sie sich notfalls das Leben nehmen, hatte sie angekündigt.