Die Regierung will Bestechlichkeit im Gesundheitswesen hart bestrafen. Im StZ-Interview begrüßt Niklas Schurig, Sprecher der Ärzte-Organisation Mezis (Mein Essen zahl ich selbst) die Novelle.

Stuttgart – - Der Arzt Niklas Schurig gilt manchem Kollegen als Nestbeschmutzer. Er kämpft für ein sauberes Gesundheitswesen. Er glaubt, dass Pharmafirmen auch künftig mit Tricks manchen Ärzten Vorteile zuschanzen werden.

 
 
Herr Schurig, hat sich die Aufgabe Ihres Verbandes, für Unbestechlichkeit in der Medizin zu sorgen, mit dem Kabinettsbeschluss vom Mittwoch erledigt?
Niklas Schurig von der Ärzteorganisation Mezis – Mein Essen zahle ich selbst. Foto: privat
Das Bundeskabinett hat einen wichtigen Punkt endlich umgesetzt. Die klassische Bestechlichkeit ist nun gut definiert. Aber es besteht Nachholbedarf bei der Vorteilsannahme. Nach wie vor werden Ärzte in Spitzenpositionen von der Pharmaindustrie hofiert, sie werden auf interkontinentale Reisen zu Konferenzen eingeladen oder erhalten gut dotierte Beraterpöstchen für wenig Gegenleistung. Diese Grauzone bleibt und wird vom Gesetz nicht abgedeckt. Da hätten wir uns mehr gewünscht.
Sind Verhaltensregeln nicht Sache der ärztlichen Standesvertretungen?
Ja, sicher. Wir haben dazu in den Berufsordnungen auch Paragrafen drin. Aber die werden nicht immer durchgesetzt. Die Kammern sind überfordert mit der Aufgabe, ihnen fehlen die Kapazitäten. Das sehen wir als Problem. Denn es führt indirekt zu schlechteren Leitlinien für ärztliches Handeln – die von den großen Fachgesellschaften festgelegt werden – und damit zu einer schlechteren Patienten- und Arzneimittelversorgung. Letztlich brauchen wir auch bei der Vorteilsannahme eine strafrechtliche Handhabe.
Aber ist Korruption wirklich ein brennendes Problem in den Heilberufen?
Laut dem Lagebericht des Bundeskriminalamtes gehört das Gesundheitswesen zu den Top 3-Branchen in Sachen Korruption. Aber es ist schwierig, Daten zu erfassen, mit Ausnahme vielleicht des stationären Kliniksektors. Das meiste sehen wir nicht, da wir keine direkten Geldflüsse haben. Es funktioniert so: Eine Pharmafirma sucht sich einen Arzt heraus, der viel verordnet und hofiert ihn mit Angeboten, die über ein adäquates Maß hinausgehen. Dadurch gewinnt sie loyale Fürsprecher, die in ihrem Sinne entscheiden.
Die Zeit der Geschenke der Pharmareferenten in Arztpraxen ist doch längst vorbei.
Richtig. Koffer, Laptops und Kulis – die gibt es eigentlich nicht mehr, die sind zum Teil verboten. Doch es ist schwer nachweisbar, ob ein Gutachterposten der Pharmaindustrie für einen Arzt wirklich den Gegenwert hat, der im Vertrag steht und ob dafür wissenschaftliche Arbeit erbracht wird. Oder ob es nur Blendung ist. Nehmen Sie die sogenannten Anwendungsbeobachtungen: Da erhält ein Arzt Geld dafür, dass er über die Anwendung eines Arzneimittels Daten über einen gewissen Zeitraum aufschreibt. Das ist oft korrupt, da fließt zuviel Geld, oder es fehlen wissenschaftliche Hintergründe.
Die Fortbildung ist eine Pflicht für Ärzte. Ist es okay, wenn die Ärzte im Seminarhotel auf Kosten der Pharmaindustrie wohnen?
Fortbildungsmaßnahmen werden oft von der Pharmaindustrie gesponsort. Wir sehen da einen Zielkonflikt. Es geht gar nicht so sehr darum, dass der Arzt gratis im Hotel wohnt oder ein Essen erhält und dadurch korrumpiert wird. Schlimmer ist, dass die Pharmaindustrie Einfluss auf die Inhalte der Fortbildung nimmt und für sich selbst eine positive Meinung rüberbringt. Das ist ein größeres Problem als die Bestechlichkeit. Fortbildung sollte eine Aufgabe der Ärzteschaft und von unabhängigen Institutionen sein.
In welchem Land ist das Gesundheitswesen denn sauber?
In den USA sind die Richtlinien für Transparenz strenger als hier. Dort ist der sogenannte Physicians Payments Sunshine Act verabschiedet worden, wonach alle Zahlungen der Pharmaindustrie transparent gemacht werden müssen. Bei uns ist das nicht der Fall. Es gibt nur eine Absichtserklärung der Pharmaindustrie, dass sie dies 2016/17 auf freiwilliger Basis einführen will. Bei uns können Pharmareferenten für Bestechung bestraft werden, aber nicht die Firmen. In den USA müssen Firmen mit Milliardenklagen rechnen.
Verärgert Ihr selbstkritischer Ansatz nicht die eigene Kollegenschaft?
Einige Kollegen kritisieren uns als Nestbeschmutzer. Das hängt vielleicht mit der Altersstruktur in der Ärzteschaft zusammen. Aber bei jüngeren Ärzten stoßen wir auf Zustimmung. Wir haben viele positive Rückmeldungen erhalten – auch von medizinischen Fachgesellschaften – für unsere Vorschläge für die Erstellung ärztlicher Leitlinien. Da wollen wir den Einfluss der Pharmafirmen zurückdrängen. Das kommt gut an bei Medizinern. Da haben wir einen Prozess angestoßen.