In der Parallelgesellschaft Fifa gelten die Regeln des Chefs Joseph Blatter – und der baut auf Geld und die kleinen Verbände.

Stuttgart - Tag eins der neuen Zeitrechnung beim Fußball-Weltverband Fifa, die von Ethik geprägt sein soll, hat mit den üblichen Schlagzeilen begonnen. Der Präsident Joseph Blatter wurde hart attackiert – aus Deutschland. Uli Hoeneß, der Präsident des FC Bayern, hält den Fifa-Chef seit Langem für nicht mehr tragbar und hat seine Meinung nicht geändert. Ein Neuanfang in der Fifa gehe nur ohne Blatter, sagte Hoeneß der Zeitung „tz“. Der Ethikkodex, den Blatter am Dienstag in Zürich vorgestellt hat, sei „das Papier nicht wert, worauf er geschrieben ist“.

 

Es herrscht eine Kluft zwischen jenen Funktionären, die dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) zuzuordnen sind, und jenen, die für die Profivereine und die Deutsche Fußball-Liga (DFL) sprechen. Ob die Rücktrittsforderungen der Vereinsvertreter Reinhard Rauball (Präsident von Borussia Dortmund und DFL-Chef), Heribert Bruchhagen (Eintracht Frankfurt) und Uli Hoeneß nachhaltig oder nur auf Schlagzeilen angelegt sind, muss sich noch zeigen.

Zwitterposition

Dagegen halten der DFB-Präsident Wolfgang Niersbach, sein Vorgänger und Fifa-Exekutivmitglied Theo Zwanziger sowie die Gruppe um den WM-Organisator Franz Beckenbauer treu zum Fifa-Regenten aus dem Oberwallis. Der DFB will keine Aufarbeitung dubioser Vorgänge während der Bewerbung um die Fußball-WM 2006 – und Blatter erwartet, dass der DFB ihm keine Schwierigkeiten bereitet.

Reinhard Rauball gehört als DFL-Boss dem DFB-Präsidium an und befindet sich deshalb in einer Art Zwitterposition. Seine persönliche Meinung habe er nicht geändert, gab Rauball zu Protokoll – was das „Ohrenmerk“ auf das Nichtgesagte lenkt. Entscheidend wird also sein, ob Rauball im DFB-Präsidium einen Antrag auf Einberufung eines außerordentlichen Fifa-Kongresses und die Absetzung Blatters stellt.

Das Völkchen aus 209 Nationalverbänden

Allein dieser Kongress nämlich, darauf weist Blatter stets zurückgelehnt hin, könne über die Fifa-Präsidentschaft entscheiden. Und sein Völkchen aus 209 Nationalverbänden, unter denen der DFB genauso nur eine Stimme hat wie Tonga, Anguilla oder der gerade aufgenommene Südsudan, hat Blatter noch immer im Griff.

Das System Fifa ist ein System Blatter. Es wurde von Blatter in mehr als drei Jahrzehnten als Generalsekretär und Präsident auch dafür erschaffen, um ihm eine Herrschaftsperiode nach der anderen zu sichern. Die Hunderte von Millionen Dollar an Entwicklungshilfe, die 250 000 Dollar, die jeder Verband jährlich erhält (zuletzt bezahlte Blatter sogar zwei Prämien aus), betrachten viele Verbandsvertreter als Geschenke der Fifa-Gottheit aus Zürich. Es ist schon deshalb überhaupt keine neue Erkenntnis, dass Blatter 2015 noch einmal Präsident werden will. Für Uli Hoeneß wäre das „der Witz des Jahres“.

Außer einem Vorstoß des englischen Verbandes (FA) beim Kongress 2011 hat es zuletzt kaum Widerstand gegen den Fifa-Präsidenten gegeben. Der FA-Boss David Bernstein forderte, erst alle Korruptionsvorwürfe aufzuklären und die Wahlfarce zu verschieben: „Eine Krönung ohne Gegner ist kein Mandat.“

„Lassen Sie die Fifa-Familie in Ruhe!“

Der DFB dagegen lobte Blatter. Zusammen mit den bestellten Jublern aus Haiti, Kongo, Benin und Fidschi, die einer nach dem anderen Blatter in den Himmel hoben – und die Engländer verdammten. Das ging so weit, dass der Fifa-Vizepräsident Julio Grondona aus Argentinien an die Falklandkrise erinnerte und Bernstein zurief: „Lassen Sie die Fifa-Familie in Ruhe!“ Doch David Bernstein gibt nicht auf. Er erklärte jetzt, alles zu tun, um Blatters Wiederwahl 2015 zu verhindern.

In der Parallelgesellschaft Fifa gelten Blatters Regeln. Im Exekutivkomitee „hat er Leute um sich geschart, die er abhängig gemacht hat“, kritisiert Hoeneß. „Von denen konnte er nicht erwarten, dass sie ihn attackieren. Das werden sie auch weiterhin nicht tun.“ Niemand von denen werde Blatter „das Messer reinstoßen“. Dazu zählt auch Theo Zwanziger. Der hat sich als Chef der Statutenkommission um Reformen in der Fifa bemüht, bleibt aber stets treu an Blatters Seite, auch wenn die beiden nie Freunde werden. Zwanzigers Problem ist unauflösbar: Redet er über Reformen, gibt es nur einen, der ihm zuhört – Blatter.

Der 76-jährige Fifa-Chef begriff, dass es so nicht weitergehen konnte in seinem Verband. Andererseits will er seine Macht erhalten und wird es kaum zulassen, dass die  neuen Chefs der beiden Ethikkammern, der Münchner Richter Hans-Joachim Eckert und der amerikanische Staatsanwalt Michael Garcia, zu gründlich in der Historie wühlen. Es geht um Blatters Ära – um sein Vermächtnis.

1,3 Milliarden Dollar Rücklagen

Wird Michael Garcia aber wirklich unabhängig ermitteln, Strukturen und Skandale aufklären können? Und welche Ressourcen werden ihm zur Verfügung gestellt? Die Fifa protzt damit, über angeblich 1,3 Milliarden Dollar Rücklagen zu verfügen. Dieses Geld wurde bisher stets auch dafür eingesetzt, Enthüllungen zu verhindern, etwa als Millionen an die Schweizer Justizkasse gezahlt wurden, um Details aus dem Korruptionssystem des Sportvermarkters ISL und die Namen der Schmiergeldempfänger zu verheimlichen.

Viele Millionen wurden auch in Lobbyisten und PR-Arbeiter investiert. Da heuert und feuert Blatter nach Belieben. Schlagzeilen, die er als positiv erachtet, dürfen teuer sein. Blatter hat 2011 sogar eigenmächtig die größte Spende ausgelöst, die die internationale Kriminalbehörde Interpol je erhielt: 20 Millionen Euro.