DB-Vorstand Volker Kefer gibt zu, dass sich der Konzern den Bau aus heutiger Sicht „gut überlegen“ würde. Das Unternehmen dementiert aber konkrete Ausstiegspläne.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Stuttgart - Nach der erneuten Kostenexplosion bei Stuttgart 21 verschärft sich auch innerhalb der Bundesregierung und bei der Deutschen Bahn der Streit darüber, ob das Projekt fortgeführt werden sollte. Der Staatskonzern dementiert gleichwohl konkrete Ausstiegspläne. Inzwischen wird über Gesamtkosten von bis zu 10 Milliarden Euro und große Bauverzögerungen spekuliert.

 

Für Kritik und Verwirrung sorgte schon am frühen Freitagmorgen der Auftritt des zuständigen DB-Vorstands Volker Kefer im Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages. Die SPD hatte kurzfristig eine Sondersitzung durchgesetzt, am Nachmittag folgte eine Aktuelle Stunde im Parlament auf Antrag der Grünen. In beiden Sitzungen hagelte es Kritik an der Bahn, die Mitte der Woche eingestanden hatte, dass bei Stuttgart 21 Mehrkosten von bis zu 2,3 Milliarden Euro zu erwarten sind und sich das Vorhaben damit auf bis zu 6,8 Milliarden Euro verteuern könnte. In der nicht-öffentlichen Sondersitzung ging Kefer nach Angaben mehrerer Teilnehmer spürbar auf Distanz zu dem umstrittenen Projekt. Demnach räumte der DB-Manager ein, aus heutiger Sicht würde man sich wohl „sehr gut überlegen“, ob man das Projekt anpacken würde. Als Begründung nannte er die stark gesunkene Wirtschaftlichkeit. Kefer widersprach im Ausschuss einem StZ-Bericht vom Donnerstag, wonach der Aufsichtsrat ein Gutachten zu persönlichen Haftungsrisiken in Auftrag gegeben habe.

Der Konzernvorstand um Rüdiger Grube will den Eigenanteil der Bahn an den Kosten von 1,7 auf 2,8 Milliarden Euro erhöhen, obwohl die Kapitalrendite dieser Investition den Angaben zufolge nur noch zwei Prozent betragen würde und damit weit unterdurchschnittlich wäre. Zuvor hatte der Konzern mit knapp acht Prozent Rendite kalkuliert. Zudem räumte Kefer ein, dass die Bahn ihren hohen Schuldenberg von netto mehr als 16 Milliarden Euro weniger rasch abbauen könnte.

Im DB-Aufsichtsrat, der die 1,1 Milliarden Euro Mehrausgaben bisher nicht genehmigt hat, wachsen deshalb nach Informationen der Stuttgarter Zeitung die Bedenken. Kefer betonte im Verkehrsausschuss mit Blick auf hohe Ausstiegskosten und mögliche Schadenersatzklagen aber, die DB habe eine „Ausführungsverpflichtung“. In der Tat enthalten die Verträge mit Stadt, Land und Region zwar keine Klausel zum Ausstieg, ein außerordentliches Kündigungsrecht – etwa für den Fall, dass das Projekt unwirtschaftlich wäre – wird in der Finanzierungsvereinbarung allerdings an keiner Stelle ausdrücklich bestritten.

Anmerkung sorgt für Aufregung

Deshalb sorgte eine weitere Anmerkung Kefers für einige Aufregung. Falls Stuttgart 21 von der Bahn nicht umgesetzt werde, müsse „die Zusage stehen, dass nicht geklagt wird von Stadt oder Land“, wurde der Manager im Onlineauftritt des Magazins „Stern“ zitiert. „Stern.de“ nannte als Quelle Mitglieder des Ausschusses. Ein Bahnsprecher wies auf Anfrage diese Darstellung allerdings ausdrücklich zurück. Der Vorsitzende des Ausschusses, Anton Hofreiter (Grüne), bestätigte die Äußerungen Kefers aber auf StZ-Nachfrage. Es sei offensichtlich, dass der Bahn das Prestigeprojekt zur Last werde. Nach Informationen Hofreiters kursieren in Konzernkreisen weit höhere Kostenschätzungen von bis zu 10 Milliarden Euro. Die Grünen forderten im Bundestag erneut eine „Verkehrswende“ weg von teuren Prestigeprojekten hin zum Erhalt der bestehenden Infrastruktur.

Auffällig distanziert äußerte sich auch die SPD-Fraktion im Bundestag zu S 21. Falls die DB die weiteren Mehrkosten übernehme, fehle dieses Geld bundesweit „für den barrierefreien Ausbau von Bahnhöfen , für Lärmschutz und für mehr Güterverkehr auf der Schiene in ganz Deutschland“, kritisierte der Fraktionsvize Florian Pronold. Der SPD-Verkehrsexperte Sören Bartol kritisierte Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) scharf, der bei beiden Sitzungen nicht anwesend war. Der Bund sei zu 100 Prozent Eigentümer der Bahn. Deshalb müsse der Minister den Menschen erklären, warum wegen der Ausgaben für S 21 im Rheintal kein ausreichender Lärmschutz oder in Niedersachsen die Y-Gütertrasse zu den Häfen später gebaut werde.

Der Stuttgarter CDU-Bundestagsabgeordnete und Kreisvorsitzende Stefan Kaufmann erklärte bei der von den Grünen beantragten aktuellen Stunde im Parlament: „Leider hat die Deutsche Bahn kein Weihnachtsgeschenk für uns parat. Eher eine schöne Bescherung.“ Die Bahn besitze offenbar eine „gewisse Gabe, Projektbefürworter zu Projektgegnern zu machen“. Für ihn selbst gilt das allerdings nicht. Er halte das Projekt mangels belastbarer Alternativplanungen auch weiterhin für sinnvoll.

Kaufmann forderte die Bahn auf, absolute Kostentransparenz herzustellen. Der Landesregierung von Baden-Württemberg und dem designierten Stuttgarter OB Fritz Kuhn (Grüne) warf er vor, das Projekt aus parteitaktischen Gründen verzögern zu wollen. Die mitregierende FDP räumte ein, das Vertrauensverhältnis zur DB sei „ein Stück weit gestört“, wie es ihr Verkehrsexperte Oliver Luksic ausdrückte. Sein Fraktionskollege Werner Simmling sprach von einem „schweren Reputationsschaden für den Standort Deutschland“ durch die Kostenexplosion.Die Bahnexpertin der Linken, Sabine Leidig, kritisierte die „planmäßigen Kostenlügen“ und forderte den anwesenden Fritz Kuhn auf: „Machen Sie dem Spuk Stuttgart 21 endlich ein Ende!“