Etwas abseits des Volksfesttrubels gibt es ein Kuriositätenkabinett: Händler der ganz alten Schule bieten allerlei Mittelchen feil. Auf dem Krämermarkt ticken die Uhren anders. Eine Zeitreise in die Einzelhandelsvergangenheit.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Die wunderbare Warenwelt des Krämermarkts auf dem Cannstatter Wasen hält Produkte bereit, von denen man gar nicht wusste, dass man sie ganz dringend benötigt. Die Neuheit Diabetikersocken scheint der letzte Schrei im Textilbereich zu sein. Gute Nachrichten für Marsmenschen: Burghart’s Strumpfwaren wirbt mit dem bescheidenen Claim „Der Sockenspezialist im gesamten Universum“. Und wer es richtig dreckig mag, ist bei Emma Richardt aus Burladingen genau richtig.

 

Von allen Verkaufsprofis auf dem Krämermarkt ist die „Emma von der Alb ra“ die unterhaltsamste. Sie bringt ein wahres Wunderprodukt an die Frau: das Reinigungstuch aus Bambuskristall. Mit einem Tuch bekommt man 30 Quadratmeter sauber, angeblich, obendrein gibt es fünf Jahre Garantie auf das feine Stöffchen – das alles selbstverständlich für einen Spottpreis. „Das ist hier eigentlich kein Verkauf, sondern eine Wohltätigkeitsveranstaltung“, klärt sie zwei Kundinnen auf, die sich allzu zögerlich verhalten. In einer eindrucksvollen Vorführung wischt Emma einen Spiegel und ein Fenster sauber, das sie kurz zuvor so dreckig gemacht hat, dass „jede echte Hausfrau einen Herzkasper bekommt. Und sehen Sie jetzt? Da ist nichts mehr nebelfeucht.“

Nach 20 Uhr nur noch Besoffene

Emma Richardts Aufgabe ist ein Knochenjob, für den man Durchhaltevermögen braucht. „Ich mache das seit 42 Jahren. Seit dem Euro ist alles viel schlechter geworden. Die Leute haben überhaupt kein Geld mehr“, sagt Richardt und zündet sich eine Marlboro an. Von 10 bis 23.30 Uhr steht Richardt jeden Tag auf dem Volksfest und preist neben den Putztüchern auch sehr vorzeigbare Gemüsereiben an. „Nach 20 Uhr könnte ich aber eigentlich dichtmachen. Da sind nur noch die Besoffenen unterwegs.“

Der Krämermarkt stellt ein Stückchen Einzelhandelsvergangenheit dar und will zum Rest des Wasens mit seinen vollen Bierzelten und seinem jungen Partypublikum nicht recht passen. Gerhard Schleif verkauft seit 1958 auf Krämermärkten, seit 1964 hat er sich auf Kosmetikprodukte spezialisiert. Der Renner: Pferdebalsam, „belebt und erfrischt ungemein“. Schleif sorgt sich um die Füße seiner Kunden. „Zähne putzen wir alle zweimal am Tag, die Füße aber nicht. Dabei sind sie die Träger des Lebens!“ Wie Emma Richardt betont auch Gerhard Schleif die Härte seines Jobs. „Das Reisegewerbe ist schwere Arbeit. Ein 17- oder 18-Stunden-Tag ist während des Wasens bei mir die Regel.“

Probleme mit dem Nachwuchs

Der 73-Jährige klagt, dass seiner Zunft der Nachwuchs ausgehe. „Die Jungen haben keine Lust mehr, die Strapazen eines Werbeverkäufers auf sich zu nehmen. Dabei ist die Aufgabe spannend und geht sogar ein bisschen ins Künstlerische.“ Unterhaltungskünstler müsse man sein und flotte Sprüche draufhaben, dann erreiche man die Kunden. Letzte und alles entscheidende Frage angesichts der benachbarten Bierzelte: Hat Schleif eine Geheimrezeptur gegen Kater parat? „Dieses japanische Pflanzenöl hier, das ziehen Sie die Nase hoch, da wissen Sie anschließend, was los ist.“

So gestärkt geht es zur letzten Station auf dem Krämermarkt, zum aufregendsten Nachbarschaftsverhältnis. Der Bibelstand befindet sich direkt neben dem Kondommobil, Motto: Links behüte mich, rechts verhüte dich. Schwester Annegret kommt gut mit ihrem Nachbarn aus. Seit zehn Jahren verkauft sie auf dem Wasen Bibeln, Kalender oder christliche Musik. „Viele bekommen von uns ihre erste Bibel“, sagt Schwester Annegret von den Aidlinger Schwestern. „Manche kaufen bei uns ein, um im Zelt anschließend etwas zu lesen zu haben.“ Das klingt wiederum sehr vernünftig: Gottes Beistand dürfte noch in keinem Bierzelt auf dem Wasen geschadet haben.