Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Der Plochinger Bürgermeister Frank Buß ist in der schwierigsten Bewährungsprobe seiner Amtszeit. Er sammelt jeden Verbündeten, den er kriegen kann. Der ehemalige Landtagsabgeordnete und Stadtrat Gerhard Remppis (SPD) nutzt seine Kanäle, der Altbürgermeister Eugen Beck steht ihm zur Seite, der Gemeinderat ist komplett hinter ihm. Drei Stunden rennen die Plochinger bei der Bürgerversammlung in der Stadthalle gegen die Zahlen an. Der Oberarzt Grossmann hat Fallzahlen, die eine viel positivere Rechnung ergeben. Die Ärzte der Region verkünden den Boykott der Kreiskliniken. Doch der Landrat kämpft mit Verve für die Schließung. „Ich kann mir doch auch keine andere Zahlen machen“, sagt er.

 

Als eine Katastrophe empfindet es der Gemeinderat, dass der Ärztliche Direktor Bernhard Hellmich nicht da ist. Statt seiner ist seine Ehefrau gekommen. Als sie menschliches Handeln fordert, verleitet es den Landrat zu einem Anflug von Galgenhumor: „Wie ist Ihr Name?“ fragt Eininger zweimal. „Hellmich? Manches versteht man hier oben nicht so gut.“

Bis ein Uhr nachts sitzt der Bürgermeister noch mit Fraktionsvertretern zusammen. Buß weiß, er muss den Economedic-Zahlen andere Zahlen entgegenstellen: etwa seine 16 000 Unterschriften und die 70 000 Menschen im Versorgungsgebiet. Der Gemeinderat hat kein Gegengutachten in Auftrag gegeben, weil er glaubt, dass sich Winkler nicht in die Karten schauen lässt.

Während die Tage vergehen, wird der Kampf härter. Winkler lässt das Defizit von Plochingen von 200 000 auf eine Million Euro wachsen. Frank Buß braucht jetzt die Unterstützung der Bürgerschaft. Ganzseitig ruft das Amtsblatt zur Demonstration auf. Denn, stirbt die Klinik, befürchtet er, wird auch der Stadtteil sterben. Im überalterten Stumpenhof haben es die Geschäfte ohnehin schwer. Der Lebensmittelladen ist schon zu, die Apotheke auch.

Protestzug zum Stumpenhof

Die öffentliche Diskussion beginnt am 16. Februar. Zu diesem Zeitpunkt informiert Klinikchef Winkler die Presse von seinen Schließungsplänen. Das unschöne Wort „Schließung“ wird dabei tunlichst vermieden, man redet von „Zukunftsstrategie“. In dem 30-seitigen Papier ist ein bezeichnender Satz zu lesen: „Im Zentrum steht außerdem das Wohl das Patienten.“ Außerdem – ein Wort, das aufhorchen lässt. Im Kampf um die Krankenhausmillionen wird der Patient offenbar zur Nebensache.

Franz Winkler gilt in Personalfragen nicht gerade als zimperlich. Auch fachlich ist er umstritten: Im Jahr 2009 investiert der Landkreis 51 Millionen Euro in das ebenfalls kreiseigene Paracelsus-Krankenhaus in Ostfildern-Ruit. Die teure Ruiter Privatstation mit 40 Betten steht weitgehend leer und trägt den Spitznamen „Geisterstation“. 2010 stellt sich heraus, dass der Hubschrauberlandeplatz vergessen wurde. Für drei Millionen wird nachgerüstet, obwohl man den Landeplatz inzwischen gar nicht mehr braucht. Ebenfalls 2010 drängt Winkler einen Arzt aus dem Vertrag, der einen Linksherzkathetermessplatz anbietet, um dann selbst einen Messplatz einzurichten. Winkler wird kritisiert, weil er die Verhandlungen am Kreistag vorbei geführt hatte. Vergangenes Jahr engagiert Winkler einen bedeutenden Kieferchirurgen, der allerdings in der Ruiter Klinik nicht operieren darf, weil Winkler gar keinen Versorgungsauftrag vorweisen kann. Der Aufsichtsrat sieht tatenlos zu. Winkler rechtfertigt sich mit Gesetzesänderungen und anderen äußeren Umständen, die niemand habe voraussehen können.

Selbst im eigenen Kreis wartet die Konkurrenz

Winkler muss konsolidieren, sonst wäre er ein schlechter Geschäftsführer. Schon wachsen mächtige Nachbarn heran. Das Universitätsklinikum Tübingen bricht im Süden des Kreises ein, im Norden richtet Winnenden mit 600 Betten begehrliche Blicke auf Esslinger Patienten, die Stuttgarter Krankenhäuser expandieren. Es ist der nackte Überlebenskampf aller gegen alle. Die Kliniken buhlen um jeden Krebs, um jeden Bandscheibenvorfall, möglichst teuer soll die Krankheit sein, die der Patient mitbringt, und möglichst teuer wird sie gemacht, argumentieren die Krankenkassen. Selbst im eigenen Kreis wartet die Konkurrenz: Der Esslinger Oberbürgermeister Jürgen Zieger hat das feste Ziel, sein Städtisches Klinikum in die Gewinnzone zu bringen.

Zieger (SPD) und Landrat Heinz Eininger (CDU) sind die politischen Schwergewichte in der Kreispolitik. Sie haben schon oft die Klingen gekreuzt, am heftigsten, wenn es um Krankenhäuser geht. Ein Beispiel: dem Linksherzkathetermessplatz im Städtischen Klinikum Esslingen stellte das benachbarte kreiseigene Paracelsus-Krankenhaus Ruit einen eigenen entgegen. Die Esslinger eröffneten eine Palliativstation, die Ruiter zogen nach. Ruit wollte eine Strahlentherapie, die Esslinger waren aber schneller, warben den Chefarzt ab und eröffneten ein eigenes Zentrum. „Wettrüsten“, nennt das Dieter Kress, der Geschäftsführer der AOK Neckar-Fils. Um Patienten zu halten, unterzeichnet Franz Winkler Kooperationsverträge mit einweisenden Ärzten. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“, das den Vorgang aufgedeckt hat, spricht von einer „Kopfprämie“.

Economedic stellt seinen Schließungsplan am Abend des 16. Februar im Esslinger Kreistag vor. Der Betriebsrat Michael Gleichenfeld hat seine Belegschaft in die Sitzung mitgenommen. Die 330 Mitarbeiter kämpfen allein. Die Belegschaften der Schwesterkliniken regen sich nicht, die Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats hält sich raus. Pfleger und Schwestern sitzen auf den Zuschauerbänken und erleben, wie die politischen Rädchen einzurasten scheinen: Der Landrat will die Schließung empfehlen. Die SPD ist vehement dagegen, die CDU-Fraktion tendiert zur Meinung des Landrates. Die Grünen reden von „wirtschaftlich tragfähigen Strukturen“. Von den Freien Wählern hört man, dass viele nur dann für Plochingen stimmten, wenn sie sicher sein können, dass die Mehrheit dagegen ist. Es sieht nicht gut aus.

Die Hoffnung währt nur wenige Tage

Dann mischt sich der AOK-Chef Dieter Kress ein. Ihm missfällt es schon lange, dass er zwar zahlen, aber nicht mitreden darf. „Das Gutachten ist strukturpolitisch falsch und unternehmenspolitisch zu kurz gesprungen“, sagt er. Er plädiert für ein Konzept, das alle sechs Kliniken im Kreis einbezieht, also auch die anthroposophische Filderklinik in Bonlanden und das Städtische Klinikum Esslingen. Auf seiner Seite weiß er den OB Zieger, der ebenfalls eine umfassende Sicht auf den Kreis fordert. Esslingen ist der Hauptzahler der Kreisumlage, mit der die Kreiskliniken teils finanziert werden.

Die Hoffnung in der gebeutelten Belegschaft währt nur wenige Tage. Nach einem Gespräch mit Kress verkündet der Landrat, man sei sich einig, das Plochinger Krankenhaus zu schließen, erst dann werde mit der Stadt verhandelt. Kress hat das Gespräch aber anders in Erinnerung. „Da grätsche ich noch mal rein“, droht er am Telefon.

Die Luft ist dick im Versammlungssaal des Schwesternbaus, am 6. März wenige Stunden vor der Bürgerversammlung. Nicht alle haben Stühle. Bernhard Hellmich, der Ärztliche Direktor, ist nicht da. Wo er sein müsste, sitzt Detlef Kollmeier, sein Vorgänger, der vor fünf Jahren die Leitung abgab und schon bei den vergangenen Standortdiskussionen heftig mitmischte. Er und der Oberarzt Christian Grossmann zermartern sich das Hirn nach Argumenten und versuchen, die Diskussion zu strukturieren. Die Krankenschwestern werden hektisch, ein Tacker wird gesucht, aber nicht gefunden. Sie tüfteln noch an den Spruchbändern. „Wir brauchen unser Krankenhaus“, sagt Kollmeier, „wir müssen aus Patientensicht argumentieren.“ Margarete Fauser wirkt zum ersten Mal überfordert in diesem Kampf, in den sie hineingezogen wurde. Es geht ihr alles viel zu rasch. „Mir ist eine Hängepartie immer noch lieber als eine schnelle Entscheidung mit falschen Zahlen“, sagt sie zornig.

Der Landrat kämpft für die Schließung

Der Plochinger Bürgermeister Frank Buß ist in der schwierigsten Bewährungsprobe seiner Amtszeit. Er sammelt jeden Verbündeten, den er kriegen kann. Der ehemalige Landtagsabgeordnete und Stadtrat Gerhard Remppis (SPD) nutzt seine Kanäle, der Altbürgermeister Eugen Beck steht ihm zur Seite, der Gemeinderat ist komplett hinter ihm. Drei Stunden rennen die Plochinger bei der Bürgerversammlung in der Stadthalle gegen die Zahlen an. Der Oberarzt Grossmann hat Fallzahlen, die eine viel positivere Rechnung ergeben. Die Ärzte der Region verkünden den Boykott der Kreiskliniken. Doch der Landrat kämpft mit Verve für die Schließung. „Ich kann mir doch auch keine andere Zahlen machen“, sagt er.

Als eine Katastrophe empfindet es der Gemeinderat, dass der Ärztliche Direktor Bernhard Hellmich nicht da ist. Statt seiner ist seine Ehefrau gekommen. Als sie menschliches Handeln fordert, verleitet es den Landrat zu einem Anflug von Galgenhumor: „Wie ist Ihr Name?“ fragt Eininger zweimal. „Hellmich? Manches versteht man hier oben nicht so gut.“

Bis ein Uhr nachts sitzt der Bürgermeister noch mit Fraktionsvertretern zusammen. Buß weiß, er muss den Economedic-Zahlen andere Zahlen entgegenstellen: etwa seine 16 000 Unterschriften und die 70 000 Menschen im Versorgungsgebiet. Der Gemeinderat hat kein Gegengutachten in Auftrag gegeben, weil er glaubt, dass sich Winkler nicht in die Karten schauen lässt.

Während die Tage vergehen, wird der Kampf härter. Winkler lässt das Defizit von Plochingen von 200 000 auf eine Million Euro wachsen. Frank Buß braucht jetzt die Unterstützung der Bürgerschaft. Ganzseitig ruft das Amtsblatt zur Demonstration auf. Denn, stirbt die Klinik, befürchtet er, wird auch der Stadtteil sterben. Im überalterten Stumpenhof haben es die Geschäfte ohnehin schwer. Der Lebensmittelladen ist schon zu, die Apotheke auch.

Protestzug zum Stumpenhof

Der Demonstrationszug zum Stadtteil Stumpenhof ist etwa einen Kilometer lang. Unter Pfiffen marschieren am 10. März fast 3000 Bürger vom Stadtzentrum zum Krankenhaus. Die Belegschaft hat sich T-Shirts drucken lassen, die Vereine marschieren mit, der Rettungsdienst demonstriert, das Rote Kreuz ist dabei, die örtliche Rheumagruppe hält Schilder hoch, die Feuerwehr hat ihren ganzen Fuhrpark aufgeboten. Margarete Fauser spürt Hoffnung. Zum ersten Mal.

Eine Stunde sind die Bürger unterwegs, machen sich Mut und lassen Dampf ab. „Es ist unglaublich, dass man heutzutage in Deutschland wegen so etwas Selbstverständlichem wie einem Krankenhaus auf die Straße gehen muss“, schimpft einer. Nach der Kundgebung lässt die Belegschaft in der Ambulanz die Korken knallen. Es tut gut zu wissen, dass man nicht allein ist.

Hinter den Kulissen beginnt ein erbittertes Tauziehen. Handbreit um Handbreit bewegt sich der Landrat. Esslingens Oberbürgermeister Zieger lässt wissen, dass er nicht verhandelt, sollte er mit der Schließung vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Der Landrat schlägt ein gemeinsames Klinikkonzept vor, das, wenn möglich, bis Juni stehen soll. Er will eine Entscheidung vor der Sommerpause.

Der Beschlussvorschlag für die nächste Kreistagssitzung am kommenden Donnerstag soll jetzt so aussehen: Die Gremien verhandeln über eine Kooperation der Kliniken, und flankierend dazu gibt es möglicherweise ein gemeinsames Gutachten. „Vor einem Gutachten haben wir keine Angst“, sagt der frühere Ärztliche Direktor Detlef Kollmeier. Margarete Fauser ist verhalten optimistisch. Sie weiß, die Zahlen werden siegen. Sie siegen immer.