Einen bunten Politikzirkus mit schillernden Darstellern sieht Sibylle Krause-Burger beim Konflikt um Stuttgart 21. Ein Gastbeitrag.  

Stuttgart - Unsere Sorgen möchte die Welt haben. In Arabien schießen Tyrannen auf ihre Völker. Die amerikanische Tea Party setzt blindwütig die finanzielle Stabilität rund um den Globus aufs Spiel. Am Horn von Afrika verhungern die Kinder. Doch zu Stuttgart, am lieblichen Neckarstrande, wo Milch, Honig, Benzin und Wasser reichlich fließen, zerfleischt sich das Volk im Streit über den Bau eines neuen Bahnhofs. Wo hat man je ein derart wirres Politiktheater gesehen?

 

Am Anfang standen die Wut-Massen gegen Basta-Mappus. Der christdemokratische Ministerpräsident, der den Schlamassel doch nur geerbt hatte, sah sich plötzlich in den Chef eines Vereins mit Namen Lügenpack verwandelt. Er musste weg, und siehe, er kam tatsächlich weg. Die Angst nach Fukushima schoss ihn ins politische Aus. Der Bürgerprotest half nach. Da weilt er nun fern der Politik, herzlichst aufgefangen von einem wirtschaftlichen Elysium. Er wird nicht wiederkehren zu stärken die Freunde der Bahnhofssünde. Ruhe seiner politischen Asche.

Vorhang auf und hereinspaziert!

Doch was hat's geholfen? Rein gar nichts, so wenig wie die sogenannte Schlichtung des großgreisen Heiner. Denn ein genehmigtes und durch alle Instanzen gepauktes Projekt hat im Rechtsstaat ein verbrieftes Recht. Die selbst ernannten Kritiker, Stuttgart-Retter, Parkschützer, Weltverbesserer haben es nicht - auch wenn sie gebetsmühlenhaft auf das Einhalten der Augenhöhe pochen. Weshalb es auch nichts zu schlichten, nichts auszugleichen, sondern allenfalls die Leute anzuhören und die Gemüter zu besänftigen gilt. Darauf warten wir vergebens. Folglich ist auch nach dem Stresstest, auf den so große Hoffnungen gesetzt wurden, die Vorstellung nicht beendet, ganz im Gegenteil.

Vorhang auf also und hereinspaziert, meine Damen und Herren! Erleben Sie das Stuttgart-21-Ensemble. Schauen Sie auf den Schlichter, der im vergangenen Herbst gute Arbeit geleistet hatte, der es aber dabei nicht belassen konnte. Er wollte halt noch einmal auf die Bühne, wollte noch einmal den Applaus hören, wollte auch im 82. Lebensjahr sein füchsisches Lächeln über alle Kanäle in die Wohnzimmer der Nation senden. An so etwas kann man sich gewöhnen. Heiner Geißler ist öffentlichkeitssüchtig. Dafür opferte er den Frieden, der ihm angeblich am Herzen liegt. Hätte er geschwiegen, er wäre ein Weiser geblieben.

Nichts zu tun in Tübingen?

Manege frei auch für Boris Palmer. Wir hielten ihn für gescheit und ausreichend begabt, um die Szene zu beruhigen. Doch mittlerweile ist er unversehens zum Guru mutiert, ein Bahnhofsheiliger im holden Scheine, der Jesus vom Nesenbach, der zum Predigen ins Stuttgarter Rathaus einzieht, als ob dies sein Tempel sei. Dabei ist er doch Oberbürgermeister der Universitätsstadt Tübingen. Hat er in seinem Haus denn nichts zu tun? Gibt es dort keine Säle, wo seine Gläubigen ihn anbeten dürfen? Warum um Gottes willen muss er den Verkehrsexperten mimen, der er gar nicht sein kann, wie ihm der Stuttgarter Professor Heimerl bescheinigt? Treibt auch ihn die Eitelkeit oder doch das vom Vater überkommene Remstalrebellen-Gen?

Boris Palmer hat sich verrannt, zeiht die Bahn der Lüge und hätte doch viel mehr sein können als nur das intellektuelle Aushängeschild für den so wichtigtuerischen Protest. Auch SMA-Chef Stohler bleibt unter seinen Möglichkeiten. Er ist der Diener zweier Herren in diesem Spiel, der dem geplanten Tiefbahnhof optimale Wirtschaftlichkeit bescheinigt und gleichzeitig die nicht geplante, nicht genehmigte, nicht finanzierte Variante eines Bikini-Bahnhofs, der das Oben und das Unten abdeckt, eine dreimal bessere Lösung nennt. Ja was denn nun? Hü oder hott?

Volksnähe als Placebo gegen Bahnhofsleid

Und welche Kunststückchen zeigt uns der Ministerpräsident? Er will die Demokratie neu erfinden, will aus der herrschaftlichen Villa Reitzenstein ausziehen und fürderhin drunten im dumpfen Tal regieren - also näher bei den Leuten. Als ob nicht gerade oben, auf der vielzitierten Halbhöhenlage, seine lieben Wutbürger lebten. Eine nette, vermutlich aber teure Geste. Herzlichen Glückwunsch! Volksnähe als Placebo gegen das zu erwartende Bahnhofsleid. Ob's wirklich hilft?

Womit das Spitzenpersonal im Stuttgart-21-Zirkus fast vollständig vorgestellt wäre, zumindest das auf der Seite der Guten. Aber es gibt ja auch, wie in jedem ordentlichen Theater, einen bösen Gegenpart. Den spielt die Bahn, die schreckliche, mit dem stoischen Herrn Kefer als ihrem Sprecher. Bohren und Bauen will sie für künftige Generationen. Igitt! Abscheulich! Dabei wird ganz vergessen, dass sie zu hundert Prozent dem Bund gehört. Sie ist also keineswegs des Teufels, sondern unsere Bahn. Was wären wir ohne sie? Doch nicht nur mancher Kontrahent, auch ein letzter Hauptdarsteller im Stuttgarter Verwirrspiel weiß nichts von diesem Segen. Ihm haften keine Widersprüche an, ihn treiben keine Eitelkeiten. Noch hockt wenigstens der Juchtenkäfer stinkzufrieden im Rindenmulch - noch.