Die posthume Beschneidung seiner Ehre hat Theodor Eschenburg, Wächter über die Demokratie, nicht verdient – meint Kolumnistin Sibylle Krause-Burger.

Stuttgart - Theodor Eschenburg, das war einmal ein großer Name. Die Brunnenstraße 30 zu Tübingen, von wo aus der Professor für Wissenschaftliche Politik – so hieß das damals – allzeit pfeiferauchend als „praeceptor germaniae“ in die ganze Bundesrepublik hinein wirkte, galt uns Studenten als ein magischer Ort. Und wenn er am Tag des Studium generale in der Neuen Aula seine Vorlesungen über „Moderne Typen der Herrschaftsordnung“ hielt, dann faszinierte seine bühnenreife, witzige und anekdotenreiche Darstellung des politischen Alltags auch die Hörer aus anderen Disziplinen. Der Saal quoll über, wir hockten auf Treppen und Fenstersimsen, wir lernten, wie die Demokratie funktioniert und was die Freiheit sichert oder bedroht.

 

Allwöchentlich war auch in einer Kolumne der „Zeit“ nachzulesen, wie der Tübinger Demokratielehrer die politische Praxis mitsamt dem Handeln der verantwortlichen Personen analysierte und kritisierte. Viele Themen, die uns heute noch beschäftigen, tauchen in Eschenburgs scharfsinnigen Überlegungen bereits auf. So die Probleme der Parteienfinanzierung, der Ämterpatronage oder auch der Neigung von Regierungen, Wahlgeschenke zu verteilen. Seine Begriffe von der „Herrschaft der Verbände“ oder dem „Gefälligkeitsstaat“ treffen heute wie damals den Kern kritikwürdiger Zustände. Theodor Eschenburg saß gleichsam als Beobachter im Zentrum des Räderwerks der Republik, und wo die Zähnchen nicht nach den Regeln des Grundgesetzes ineinandergriffen, meldete er sich zu Wort. Er war ein Wächter, war auch Befürworter des Gemeinschaftskundeunterrichts und der Lehrerfortbildung. Die Mächtigen in Bonn zogen ihn zurate. An der Gründung des Südweststaates hatte er einen maßgeblichen Anteil.

Eine ungewöhnliche Person: einfallsreich, aber nicht einfach

Das alles gelang ihm nicht nur aufgrund seiner Erfahrungen in der Weimarer Republik, als einem, der dem Außenminister Stresemann nahegestanden und den Niedergang des Systems leidvoll erfahren hatte. Theodor Eschenburg war auch als Person ungewöhnlich: schlagfertig, einfallsreich, unterhaltsam und originell, freilich nicht immer angenehm. Sprachen andere, so schlief er gern ein. Nach Widerreden konnte er cholerisch und bisweilen ungerecht aufbrausen. Doch wäre er nicht gewesen, so hätte der jungen Bundesrepublik eine wesentliche Farbe gefehlt.

Deshalb hat die Deutsche Vereinigung für Politische Wissenschaft vor Jahren zu Recht einen Theodor-Eschenburg-Preis ausgelobt. Den erhielt in diesem Herbst Claus Offe, ein emeritierter Politologe, für sein Lebenswerk. Eine schöne Gelegenheit für den Professor aus Berlin, dem seit 13 Jahren toten und somit wehrlosen Namengeber posthum die Ehre abzuschneiden. In seiner Dankesrede machte sich der Preisträger zum einen über Eschenburgs Vergangenheit im Dritten Reich her, monierte dessen kurze Mitgliedschaft in der Motor-SS, die der Geschmähte freilich nie verschwiegen hatte. Zum anderen ging es um ein Arisierungsverfahren, mit dem Eschenburg als Angestellter eines Wirtschaftsverbandes am Rande befasst war, allerdings ohne am Ende dem Betroffenen zu schaden, eher im Gegenteil. Eine etwas undurchsichtige Sache gleichwohl, in welcher sich der damals junge Familienvater durchwurstelte. Erst vor Jahresfrist wurde sie bekannt und hochgespielt. Eschenburg hätte sich doch in seinen Memoiren damit moralisch auseinandersetzen müssen, so dozierte der Preisträger jetzt von oben herab.

Ein weiterer Vorwurf dieses Hochfahrenden betrifft Eschenburgs Wissenschaft. Sie erscheint Offe zu theoriefern und zu praxisbezogen, heute also nicht mehr zum Vorbild geeignet. Nach alledem ist nun der Vorschlag einer als Gutachterin für den Fall beauftragten Kollegin im Gespräch, dem Preis in Zukunft einen anderen Namen zu geben. Ein Ausschuss des Politologenverbandes soll in den kommenden Monaten darüber entscheiden.

Was für eine Chuzpe!

Natürlich darf man kritisieren, dass Theodor Eschenburg sich aus Angst wegduckte, dass er kein Widerständler war. Das trifft zu, sonst wäre er ja im KZ oder in Plötzensee am Fleischerhaken gelandet. Selbstverständlich ist es auch erlaubt, ein Denkmal zu stürzen. Aber hier versucht einer allzu offensichtlich im Doppelpack vom moralischen Sturz eines Hochverdienten zu profitieren. Der feine Herr Offe nimmt den Preis, gleichzeitig bläst er sich zu Lasten des Namensgebers pharisäerhaft auf. Was für eine Chuzpe!

Aber dieser Supergerechte ist ja auch nicht allein. Er geht mit dem Geist einer Zeit, in der es nur so wimmelt von Leuten, die heute in ihrem Fett ganz genau wissen, wie es sich dazumal in der Hölle der totalitären Diktatur so anfühlte und lebte und dass es ganz selbstverständlich war, Hitler und seinen Schergen erhobenen Hauptes Widerstand zu leisten, dabei das eigene Leben und das von Frau und Kindern aufs Spiel zu setzen. Sie hätten es getan, gewiss, sie wären dabei gewesen. Jeder Offe ein kleiner Stauffenberg. Klar doch! Mir erscheint es allerdings viel wahrscheinlicher, dass gerade solche Charaktere auch damals schon dem Zeitgeist gehuldigt und ihr Fähnchen in den Wind gehängt hätten.