Nie wurde so viel über Fans, speziell die Ultras, diskutiert wie in dieser Saison. Die Fronten sind mittlerweile verhärtet.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Karlsruhe, Düsseldorf - Es hat in den vergangenen Jahren schwerere Aufgaben gegeben, als die Fußball-Bundesliga zu vermarkten. Es musste kein siechendes Produkt an den Mann gebracht werden, sondern eine boomende Liga, die Jahr für Jahr Zuschauerrekorde bricht. Porentief rein, mit  Ausnahme des Schiedsrichterwesens (Hoyzer, Amerell/Kempter), frei von folgenreichen Skandalen und Ausschreitungen, stattdessen überall volle, moderne Stadien und spektakuläre Choreografien der Ultras. Ein Hochglanzprodukt, der Traum eines jeden PR-Strategen. Die Bundesliga war so etwas wie die schöne, neue Fußballwelt. Und nun das.

 

In dieser Saison las sich manche Nachricht aus deutschen Stadien wie Kriegsberichterstattung. Von zahlreichen populistischen Äußerungen und viel Hysterie befeuert entstand so der Eindruck, als wären deutsche Stadien No-go-Areas.

Was grober Unfug ist. Auch jetzt, wo ganz Deutschland die Vorfälle in Karlsruhe und Düsseldorf debattiert und darüber den Kopf schüttelt. Wobei in der ziemlich überhitzten Kurvendiskussion etwas differenziert werden sollte. Gewalt wie in Karlsruhe ist ein anderes Problem als Pyrotechnik in Düsseldorf oder Fans, die aus Übermut (besser: Dummheit) das Feld stürmen – in friedlicher Atmosphäre, was sich, zugegeben, im Nachgang leicht sagt.

Das größte Problem ist der nach wie vor nicht befriedete Konflikt mit den einflussreichen Ultras. Dies ist keine Momentaufnahme wie vielleicht der Frust von Chaoten bei ambitionierten Vereinen, die sportlich abstürzen, sondern es hat sich zu einem permanenten Hintergrundrauschen entwickelt: In dieser Saison wurde so häufig gezündelt wie seit Jahren nicht mehr, Spieltag für Spieltag.

Das Kraftwerk in den Kurven

Die Ultras sind in den meisten Stadien das Kraftwerk in den Kurven – und sie neigen zu Störfällen. Die Ultras sind nicht nur Fußballfans, die ins Stadion kommen und wahlweise jubeln oder pfeifen. Sie sind streng ideologisch. Sie vertreten in ihrer Wahrnehmung die reine Lehre des Fußballs und nutzen die Arenen als Bühne, um sich darzustellen. Das kann so spektakulär sein wie beim letzten Saisonspiel des VfB Stuttgart gegen Wolfsburg, als in der Cannstatter Kurve eine atemberaubende Choreografie dargeboten wurde. Aber es äußerst sich eben auch im Abbrennen von bengalischen Feuern.

Die Gründe für die Malaise dieser Saison liegen etwas zurück – und die Verbände haben ihren Teil dazu beigetragen. Es gab vor einem Jahr mehrere Treffen von Vertretern des DFB und der DFL und den Abgesandten der Ultra-Initiative „Pyrotechnik legalisieren“. In den konstruktiven Gesprächen dachte man konkret an, Pyrotechnik in einem engen, streng überwachten Korsett unter klar formulierten Auflagen in einer Testphase kontrolliert zuzulassen. Im Gegenzug gab es ein Moratorium der Ultras – keine Pyrotechnik in den Stadien an den ersten Spieltagen.

Man kann trefflich darüber streiten, was Pyrotechnik eigentlich in Stadien zu suchen hat und warum man überhaupt mit den Ultras darüber redet. Aber man tat es, erstmals übrigens saßen die Parteien überhaupt an einem Tisch. Dann ruderten der DFB und DFL zurück und sprachen später von kommunikativen Missverständnissen. „Da haben sich einige ziemlich verarscht gefühlt“, sagt ein führender Ultra. In der Szene sahen sich jene Kräfte bestätigt, die von Anfang an am Sinn der Gespräche zweifelten.

Frust führt zu Radikalisierung und Machtdemonstration

Der Frust führte zu einer Radikalisierung der Kurve, eine unvernünftige Minderheit setzte sich stärker in Szene und nutzte die Spiele vielfach, um ihre Macht zu demonstrieren und den Verbänden und Vereinen deren Machtlosigkeit vorzuführen. Kanonenschläge zum Beispiel, die jahrelang aus deutschen Stadien verschwunden und als geächtet galten, weil sie nur tumben Krach machen, wurden regelmäßig in der Bundesliga gezündet. Auch der in den Jahren zuvor mehr oder weniger strikt eingehaltene Kodex, keine Magnesiumfackeln auf das Spielfeld zu werfen, wurde immer wieder gebrochen.

Daran könnten sie sich nun die Finger verbrennen, weil die Ultras ihren Vereinen schaden und mehr und mehr als „Chaoten“ und „pubertäre Idioten“ abgestempelt werden. Und weil im Lichte der Ereignisse und der Empörungswelle radikalere Vorschläge auf fruchtbaren Boden fallen. So wird laut über die Abschaffung der Stehplätze nachgedacht. Fanvertreter warnen vor überhasteten Entscheidungen. Der Wissenschaftler und Fanexperte Gunter A. Pilz sagt etwa: „Es muss ein ernsthafter Dialog mit den Gruppierungen geführt werden, in dem sowohl die Bedürfnisse der Fans ernst genommen werden als auch eine klare Abgrenzung von gewaltbereiten Gruppierungen seitens der Vereine eingefordert wird.“

Doch von einem Dialog ist man weiter entfernt als je zuvor, auch weil die Positionen eingemauert sind. „Pyrotechnik wird nicht verschwinden“, sagt ein Ultra und wünscht sich eine „Politik, die sich an der Realität orientiert“. Die Liga und der Verband wiederum wollen die Realität der Ultras nicht länger akzeptieren.