Die Jury hat entschieden: der weiße Polizist, der einen schwarzen Jugendlichen in der US-Stadt Ferguson erschossen hat, wird nicht angeklagt. Die friedlichen Proteste schlagen daraufhin in Krawalle um. Es brennen Häuser, Schüsse sind zu hören.

Ferguson - Als US-Präsident Barack Obama am späten Montagabend vom Weißen Haus in Washington um friedlichen Protest bittet, ist circa tausend Kilometer entfernt in nordwestlicher Richtung die Sache schon entschieden: Mehrere Dutzend Demonstranten machen Krawall in der Kleinstadt Ferguson im US-Bundesstaat Missouri. Die Nachricht hat sich schnell in den Reihen der vielleicht 500 Demonstranten ausgebreitet, die friedlich vor der Polizeiwache der Stadt stehen: Der Polizist Wilson Darren, der am 9. August den unbewaffneten afroamerikanischen Jugendlichen Michael Brown mit mehreren Schüssen getötet hat, muss sich dafür nicht vor Gericht verantworten. Das haben Geschworene nach dreieinhalbmonatiger Beratungszeit am Montag entschieden. Nur Minuten später steht auf der Hauptstraße von Ferguson ein Streifenwagen in Flammen, Schüsse sind zu hören, die Polizei setzt massiv Tränengas ein, Geschäfte werden geplündert. In Ferguson beginnt eine lange Nacht, in der friedliche Proteste zunächst vereinzelt in Gewaltexzesse ausarten.

 

Erin Borders, Studentin aus dem benachbarten St. Louis, ist enttäuscht. „Ich habe so gehofft, dass Wilson vor Gericht gestellt wird“, sagt die Mittzwanzigerin, die an diesem Abend vor die Polizeiwache gekommen ist. Die Hoffnung allerdings verfliegt schnell verfolgen, als sie hört, dass der weiße Polizist davon kommen wird. „Das ist doch verrückt.“

Die Hoffnung auf friedliche Proteste erfüllt sich nicht

Ein paar Kilometer von Ferguson entfernt hält Staatsanwalt Bob McCulloch an diesem Abend eine Pressekonferenz in einem festungsähnlichen Gerichtsgebäude ab und sagt in gestelztem Juristen-Englisch, dass die sogenannte Grand Jury keinen „hinreichenden Verdacht für irgendwelche Anklagepunkte“ gefunden habe. Es sei zwar keine Frage, „dass Darren Wilson den Tod von Michael Brown verursacht hat, in dem er ihn erschoss”, sagt McCulloch. Aber der Beamte habe in Notwehr gehandelt, weil er sich von dem schwarzen Jugendlichen bedroht gefühlt habe. Er muss sich sogar außerordentlich bedroht gefühlt haben. Denn Wilson, so das Urteil der Geschworenen, habe zwölf Schüsse auf Brown abgegeben, sechs bis sieben der Kugeln trafen den Jugendlichen.

„Polizisten sind Menschen und Menschen machen Fehler, für die sie sich verantworten“, sagt Studentin Borders und hebt den Kopf, um sehen zu können, ob die Tränengasschwaden näher kommen: „Hoffentlich bleibt es friedlich.“Diese Hoffnung hat auch Michael Browns Familie am Abend gehabt. Sie hat über ihren Anwalt zu einer viereinhalbminütigen Schweigezeit aufgerufen, um an die viereinhalb Stunden zu erinnern, die der Leichnam ihres Sohnes im August leblos auf der Straße lag, nachdem ihn die Kugeln aus Wilsons Dienstwaffe getroffen hatte.

Doch zu diesem Zeitpunkt ist vor der Polizeiwache in Ferguson an Schweigeminuten nicht mehr zu denken. Die Demonstranten sprechen dem Geschworenen-Gremium weiter ab, für Gerechtigkeit gesorgt zu haben. Schließlich habe die zwölfköpfige Jury aus neun weißen und nur drei schwarzen Geschworenen bestanden. Neun Stimmen aber reichten schon aus, um den Polizisten Wilson vor der Anklage zu bewahren, sagen sie.

Gebäude brennen, Schüsse sind zu hören

Dann fliegen die ersten Plastikflaschen in Richtung der Polizisten, denen wenig später auch die Nerven durchgehen. Es fliegen Zieglsteine, Fensterscheiben gehen zu Bruch, Gebäude gehen in Flammen auf. Es sind Schüsse zu hören. Dichter Qualm liegt in der Luft, ob von Tränengas oder Blendbomben ist nicht ganz klar.

Vergessen sind in diesen Minuten längst die Appelle von Präsident Obama, der im Weißen Haus in Washington sagt: „Es gibt keine Entschuldigung für Gewalt.“ Die Demonstranten von Ferguson müssten den Urteilsspruch akzeptieren. So sei das in im Rechtsstaat USA.

Das mögen die Menschen vor der Polizeiwache an diesem Abend nicht hören. Besser sehen sie sich und ihre Lebensumstände beschrieben, als Obama sagt, dass immer tiefes Misstrauen zwischen Afroamerikanern und der Polizei herrsche. „Es gibt immer noch Probleme“, sagt der Präsident, „und die schwarzen Gemeinden erfinden die nicht einfach nur.“ In Ferguson beispielsweise lässt sich das allein an der Hautfarbe der Polizisten gut ablesen. Obwohl Afro-Amerikaner die Mehrheit der Bevölkerung in Ferguson stellen, ist nur ein halbes Dutzend von ihnen im Polizeidienst.