Dass die Rechtspopulisten auch in den Wahlkreisen Esslingen und Nürtingen einen hohen Stimmenzuwachs verzeichnen, löst unter Politikern im Landkreis Bestürzung aus. Esslingens OB Jürgen Zieger etwa macht dafür Angela Merkel verantwortlich.

Kreis Esslingen - In den beiden Wahlkreisen Esslingen und Nürtingen haben die Wahlergebnisse gleich zweifach Bestürzung ausgelöst. Zum einen über das schlechte eigene Abschneiden, zum anderen über den starken Stimmenzuwachs für die AfD. Meinungen, Einschätzungen und Kuriositäten gibt es in der Nachlese zur Bundestagswahl.

 

Klare Worte findet der Esslinger Oberbürgermeister Jürgen Zieger. Das Wahlergebnis sei ein „Spiegelbild deutscher Befindlichkeit“. Zieger: „Merkel hat durch ihre Baukastenpolitik und ihr Politikgebaren die Gesellschaft entpolitisiert.“ Sie nehme hemmungslos Bausteine anderer Parteien und bastele den Umfragen folgend ihre Machtagenda. „Atomausstieg, Dieselverbot, Wehrpflicht, Ehe für Alle, E-Mobilitätsförderung, Kita für alle. Das ist pragmatisch – aber gesellschaftliche Diskurse finden nicht mehr statt.“ Das sei der Stoff, aus dem sich Populisten definierten. Deutschland stehe vor großen gesellschaftlichen Herausforderungen, sagt Zieger. „Nur hat Frau Merkel erfolgreich verhindert, dass darüber diskutiert wird. Aber wir werden diese Diskussionen führen müssen. Ich spüre die Unsicherheit und den Zorn der Menschen über diese Verunsicherungen in meinem Amt ständig.“

Markus Grübel spielt da, wo ihn der Trainer hinstellt

Der Esslinger SPD-Landtagsabgeordnete Wolfgang Drexler begrüßt, dass sich die Genossen konsequent für eine Rolle in der Opposition ausgesprochen haben. Die SPD müsse jetzt versuchen, „einen alternativen politischen Diskurs“ anzustoßen. Drexler befürchtet, dass mit dem Einzug der AfD in den Bundestag dort der „demokratische Stil leiden“ wird. Im Landtag sei das bereits der Fall.

Im Wahlkreis Nürtingen haben die Rechtspopulisten rund 12,3 Prozent der Zweitstimmen geholt. Bei einem Blick auf die Tabellen sticht unter den Kommunen Erkenbrechtsweiler (18,2 Prozent) hervor. Getoppt wird dieses Ergebnis indessen vom Nürtinger Stadtteil Roßdorf. Dort hat die AfD mit rund 34,3 Prozent einmal mehr ein Ergebnis weit über dem Durchschnitt erzielt. Bereits vor anderthalb Jahren hatte die Partei bei den Landtagswahlen ein praktisch identisches Resultat verbuchen können. Erklärt wird dieses unter anderem mit den vielen russischstämmigen Bewohnern im Roßdorf, von denen viele – ähnlich wie im Pforzheimer Stadtteil Haidach oder auch im Rastatter Bezirk Rheinau-Nord – den Botschaften der AfD zugänglich sind.

Markus Grübel (CDU) ist im Wahlkreis Esslingen direkt in den Bundestag gewählt worden. Bisher ist er Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Noch, denn ob er weiterhin ein Vertrauter von Ursula von der Leyen sein wird, vermochte er am Wahlabend noch nicht zu sagen. Allzu große Sorgen macht er sich eigenem Bekunden nach nicht um seine zukünftige Aufgabe. Gemäß dem Motto ,Ich spiele da, wo mich der Trainer hinstellt’ warte er gelassen ab, was da kommen mag. Schließlich sei er als ein „Diener des Staates“ nicht auf eine bestimmte Funktion festgelegt.

Die Jamaika-Fahrgemeinschaft

In der kommenden Legislaturperiode des Bundestags wird das SPD-Urgestein Rainer Arnold im Wahlkreis Nürtingen von Nils Schmid abgelöst. Für Arnold, den scheidenden verteidigungspolitischen Sprecher der Genossen, hat der SPD-Verzicht auf eine Regierungsbeteiligung etwas mit „staatspolitischer Verantwortung“ zu tun. Dazu zähle auch, zu verhindern, „dass die AfD Oppositionsführer wird“, sagt Arnold, der nur noch einen knappen Monat in Berlin sein wird – bis sich der neu gewählte Bundestag konstituiert hat. Natürlich hoffe er, dass seine Partei wieder zur Stärke früherer Zeiten zurück findet. Das sei immer dann der Fall gewesen, „wenn die SPD die klugen und nachdenklichen Bürger an sich binden konnte“.

Der Wahlkreis Nürtingen wird künftig von einem Quartett in Berlin vertreten, Da bietet es sich an, zu den Sitzungswochen eine Fahrgemeinschaft von Neckar und Lauter an die Spree zu organisieren. Michael Hennrich (CDU) und Renata Alt (FDP) haben im Wahlkampf schon mal geprobt. Gemeinsam mit dem Linken-Kandidaten Heinrich Brinker sind sie sprit- und ressourcensparend zu Podiumsdiskussionen gereist. Nachdem Brinkers Platz frei wird, könnte Matthias Gastel (Bündnis 90/Die Grünen) zusteigen. Da ließe sich während der Fahrt das Jamaika-Eisen schmieden. Und für Nils Schmid (SPD) fände sich sicherlich noch ein Plätzchen auf der Rückbank, von wo aus er konstruktive Oppositionspolitik betreiben könnte.