Neun Streuobstpädagogen bringen seit diesem Jahr rund 400 Grundschülern – und ihren Familien – im Landkreis Göppingen das Leben auf den Obstbaumwiesen nahe. Ein Erfolgsmodell, das im kommenden Schuljahr noch wachsen soll.

Göppingen - Von einem Wesen, das der Schwabe Ohrenzwicker und der Duden Ohrwurm nennt, kann man eigentlich nicht viel Gutes erwarten. Tatsächlich? 17 Drittklässler der Ulrich-Schiegg-Grundschule im Bad Ditzenbacher Teilort Gosbach haben dem Insekt mit dem wenig vertrauenerweckenden Namen jetzt sogar jede Menge Nisthilfen gebaut. Im Rahmen des Unterrichts auf der Streuobstwiese – eines neuen Projekts des Vereins Schwäbisches Streuobstparadies (siehe Infokasten) – hatten sie gelernt, dass Ohrwürmer auf Obstwiesen gern gesehene Untermieter sind. Denn so gruselig sie aussehen mögen, die Insekten vertilgen Schädlinge wie etwa Blattläuse.

 

Obwohl der Unterricht auf den Streuobstwiesen erst in diesem Jahr begonnen hat, zeichnet sich bereits ab, dass sich das Angebot nicht nur im Kreis Göppingen zu einem Renner entwickelt. Im gesamten Projektgebiet – den Landkreisen Göppingen, Esslingen, Reutlingen, Tübingen, Böblingen und Zollernalbkreis – nehmen bereits 200 Grundschulklassen teil, meist dritte Klassen. In Göppingen sind es 400 Schüler aus 22 Klassen an 15 Schulen, die laut dem Obstbauberater des Landkreises und hiesigen Betreuer des Projekts, Rainer Klingler, über den ganzen Kreis verteilt sind. Im Zollernalbkreis und dem Kreis Böblingen, wo es den Unterricht schon etwas länger gibt, sei das Angebot heiß begehrt, sagt Klingler.

Die Kinder pflegen die Baumwiesen und machen Süßmost

Von den Kindern, die teilnehmen, wird jedenfalls keines jemals glauben, dass Kühe lila und Ohrwürmer gefährlich sein könnten. Im Rahmen des Unterrichts packen sie im Lauf des Jahres immer wieder auf einer Streuobstwiese an, lernen die Tiere, die dort leben, kennen und die Pflanzen, die dort wachsen. Sie pflanzen Bäume, lernen, wie man sie schneidet und pflegt, sammeln im Herbst das Obst auf und lassen Süßmost aus ihrer Ernte herstellen. Das Ziel des Unterrichts ist nicht nur, den Kindern etwas über die Natur beizubringen, sondern auch, ihnen und ihren Familien zu vermitteln, wie wertvoll die Streuobstwiesen als Kulturgut und Lebensraum sind.

Das Schwäbische Streuobstparadies hat im vergangenen Jahr von Februar bis November insgesamt 74 Streuobstpädagogen ausgebildet, neun davon sind jetzt im Kreis Göppingen tätig. Sie haben bei Experten aus Fachgebieten wie der Imkerei, des Obstbaus und der Vogelkunde gelernt und geben ihr Wissen nun an die Kinder weiter. Die Gosbacher Drittklässler etwa haben bei ihrem letzten Treffen auf der Wiese erfahren, was für Insekten dort leben und welche nützlich sind. Dann haben sie gemeinsam mit der Streuobstpädagogin Christine Kottmann aus umgedrehten Tontöpfen und Stroh Nisthilfen für Ohrwürmer und andere Nützlinge gebaut. Der Name der Insekten, die eigentlich keine Würmer, sondern Fluginsekten sind, kommt aus dem Mittelalter. Damals glaubte man, ein Pulver aus Ohrwürmern helfe gegen Taubheit.

Anmeldung für das kommende Schuljahr hat begonnen

Die Grundschulen können sich schon jetzt für das kommende Schuljahr bei Klingler bewerben. Er rechnet damit, dass es beim nächste Mal noch einige Schulen mehr sein werden, die bei dem zunächst auf drei Jahre angesetzten Projekt mitmachen möchten – was aber kein Problem sei. „Die Streuobstpädagogen sind bereit auch noch mehr Klassen zu übernehmen und wir können auch noch Pädagogen aus den Nachbarlandkreisen ausleihen.“

Die Schulen können sich zwischen drei Varianten entscheiden. Der kleinste Kurs umfasst zwölf Schulstunden, die auf fünf Termine verteilt werden. Dann gibt es 16 Stunden bei sieben Treffen und 22 Stunden bei zehn Terminen. Die Kosten liegen zwischen 360 Euro und 660 Euro, wovon der Landkreis und die Kreissparkasse, die das Projekt unterstützt, die Hälfte übenehmen.

Ein Verein will das Paradies verteidigen

Kulturlandschaft
Die Streuobstwiesen zwischen Alb und Neckar in den Landkreisen Göppingen, Esslingen, Böblingen, Reutlingen, Tübingen und Zollernalbkreis bilden mit rund 26 000 Hektar eine der größten zusammenhängenden Streuobstlandschaften Europas. Doch die jahrhundertealte Kulturlandschaft, ein Lebensraum für viele seltene Tiere und Pflanzen, ist bedroht. Denn die mühsame Bewirtschaftung lohnt sich heute kaum noch. In den letzten 50 Jahren haben sich die Streuobstbestände bereits halbiert.

Gründung
Deshalb hat sich der Verein Schwäbisches Streuobstparadies gegründet. Er will die in Mitteleuropa einmalige Landschaft besser vermarkten und den Bürgern klar machen, was sie an dieser Landschaft haben. Der Verein versucht den Tourismus voranzubringen, aber auch, regionale Streuobstprodukte zu stärken. Zu den Mitgliedern zählen neben den jeweiligen Landkreisen und vielen Kommunen auch Vereine, Initiativen, Bildungseinrichtungen, Betriebe aus den Bereichen Obst- und Gartenbau, Naturschutzgruppen und Tourismusverbände.