Immer häufiger kollidiert Bautätigkeit mit Artenschutz, das räumen Behörden wie Naturschützer ein. Auch dass die Existenz von gefährdeten Tierarten auf einem Grundstück oder einer geplanten Schienentrasse einen Bau verzögern kann. Die Gründe dafür sind vielfältig.

Kreis Ludwigsburg - In Schwieberdingen sind es Fledermäuse, in Korntal und Bietigheim Eidechsen und woanders seltene Vögel. Selbst jenen, die wenig fürs heimische Kleingetier übrig haben, dürfte die Existenz der Flattermänner und Krabbler im Kreis Ludwigsburg kaum entgehen. Wo man hinschaut sind gefährdete Tierarten – je nach Sichtwiese – nicht mehr sicher vor Bautrupps, oder sie verzögern Bauprojekte.

 

Gemeinderat Korntal-Münchingen am Donnertagabend: Thema war mal wieder die geplante Filiale eines Discounters am Bahnhof. Allein 40 Seiten der Sitzungsunterlagen handelten vom Artenschutz. Bestandsaufnahme, Rettungskonzeption, Umsetzung. Ob es nur an der langwierigen artschutzrechtlichen Bewertung des Projekts liegt, dass noch Eidechsen auf dem Gelände leben, kann die Stadtsprecherin Benita Röser nicht mit Bestimmtheit sagen. Fakt ist: „Der Umzug der Tiere soll im Mai 2017 stattfinden.“ Im Gutachten ist noch von Frühjahr 2016 die Rede.

„Vor 20 Jahren wäre Artenschutz kein Thema gewsen“

In Schwieberdingen sind es Fledermäuse, die die Verbesserung des Hochwasserschutzes verzögern. „Wir wissen, dass es dort Fledermäuse gibt,“ sagt ein Mitarbeiter des Bauamts. Der Gemeinde wurde daher eine artenschutzrechtliche Prüfung auferlegt, deren Ergebnis 2017 vorliegen soll. Dabei wollte man schon in diesem Jahr damit beginnen, die Böschung samt Weg an der Glems zu erhöhen. „Es ist richtig, gefährdete Tierarten zu schützen, aber vor 20 Jahren wäre das keine Thema gewesen“, heißt es im Bauamt.

Der Eindruck, dass Artenschutz und Bautätigkeit immer häufiger kollidieren, täuscht nicht. Behörden und Naturschützer im Kreis Ludwigsburg machen diese Beobachtungen, auch wenn niemand über die Zahl sogenannter Konflikte und der Maßnahmen dagegen Buch führt. „Seit der kleinen Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes vom 12. Dezember 2007 spielt der Artenschutz eine größere Rolle bei Bauvorhaben“, heißt es beim Landratsamt. Der Ludwigsburger Artenschutzexperte des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), Conrad Fink, stellt „eine Zunahme der Konfliktfälle“ fest.

Eidechsen müssen oft immer noch als Sündenböcke herhalten

Auch die Ursachen dafür sehen das Landratsamt und der Naturschützer ähnlich. Demnach hat sich das Bewusstsein für Artenschutz trotz einer europaweiten Gesetzgebung, die bis 1979 zurückreicht, in Deutschland erst nach und nach entwickelt. Noch heute stempeln manche Bauträger, manche Bürgermeister Eidechsen und Fledermäuse gerne zu Sündenböcken wider den Fortschritt. Für Conrad Fink liegt darin ein Problem: „Durch den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur und die zunehmende Ausweisung von Neubauflächen wird vermehrt in Bioptopstrukturen eingegriffen, die vorher nicht tangiert waren.“

Kritisch sieht Fink auch die Auslegung der Gesetze. Nicht den Lebensraum zu erhalten, also wenigsten vorausschauend zu planen, stehe im Vordergrund, sondern die Tiere umzusiedeln. Entweder, indem man sie einsammelt und wegschafft, oder indem man sie vergrämt. Letzteres läuft bei Eidechsen so ab: Ein Baufeld wird mit einer Folie abgedeckt, was die Tiere zur Flucht animieren soll. Die Eidechsen sollen sich also vom Acker machen in Richtung eines Nachbargeländes – in Korntal, wo 21 Exemplare gefunden wurden, über die Schienen auf ein Areal südlich des Gleiskörpers. Die Methode ist umstritten, da viele Tiere diese Flucht nicht überleben.

Die Umsiedlung kann auch schief gehen

Auch das Einsammeln kann schief gehen, wenn laut Fink keine Experten damit befasst sind. Krabbler, die 2015 von einer Stuttgart-21-Baustelle in ein sogenanntes Habitat nach Steinheim gebracht worden waren, sind in großer Zahl verendet, da sich Einheimische und Neuankömmlinge bekämpft hatten – Eidechsen verteidigen ihr Revier gegen Artgenossen.

Die Rechtslage beim Artenschutz

Europaweit gelten dieselben Regeln. Im Kern handelt es sich um die 1979 von der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) erlassene Vogelschutzrichtlinie und die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der EU von 1992. Die Gesetze, gegen die zu verstoßen eine Straftat darstellt, sind Folgen der Berner Konvention von 1979, der mehr als 40 Staaten beigetreten sind.

Im Jahr 1976 wurde das erste Bundesnaturschutzgesetz erlassen, 1986 das Bundesumweltministerium gegründet. Der Europäische Gerichtshof hat Deutschland mehrfach dazu verdonnert, Richtlinien einzuhalten, so 1997 die heutige Kanzlerin und damalige Bundesumweltministerin Angela Merkel (CDU).