Claus-Peter Hutter singt ein Loblieb auf die Kulturlandschaft, also auf die vom Menschen gestaltete Natur. Wer im kleinen Flecken lebe, erhalte ein Stück davon. Gleichzeitig plädiert der Chef der Umweltakademie dafür, die Städte naturnaher zu gestalten

Ludwigsburg - – Die einen zieht es im Urlaub in entlegene Gefilde. Andere richten ihr Leben auch im Alltag so ein und haben sich für eine ganz besondere Form des Wohnen entschieden. Sie wohnen in einem kleinen Weiler. Claus-Peter Hutter, der Chef der Umweltakademie, teilt die Leidenschaft fürs Wohnen auf dem Land. Ein Gespräch über den Urlaub im Alltag.
Herr Hutter, es gibt von Tucholsky eine schöne Beschreibung für unser aller Wünsche: eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße, mit schöner Aussicht, ländlich mondän, vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehen – aber abends zum Kino hast du’s nicht weit. Empfinden Sie ähnlich?
Absolut. Aber so, wie sich das Tucholsky nicht hat erfüllen können, geht es auch mir. Denn die eierlegende Wollmilchsau gibt es auch nicht bei den Wohnungen. Jeder sucht auch nach seinen finanziellen Möglichkeiten.
Irgendwann muss man sich entscheiden - Land oder Stadt? Kennen Sie die Sehnsucht nach dem Leben im kleinen Weiler?
Die hatte ich schon als Kind. Wir hatten entfernte Verwandte im Schwäbischen Wald. Dort gibt es ja noch viele Weiler aus der Spätsiedelzeit. Das ist natürlich Idylle pur. Andererseits muss man auch sehen, dass viele der Menschen, die dort leben, weit pendeln müssen. Auch wenn wir froh sein können, dass sie die Kulturlandschaft erhalten. Heute könnte ich es mir nicht mehr vorstellen, so zu leben. Aber ich beneide jeden, der diese Urnatur genießen kann.
Was hat Sie als Kind so sehr fasziniert?
Das geht bis zum heutigen Tag. Es ist das Miteinander von Natur und Kultur. Wenn man heute Kinder Natur malen lässt, werden sie wahrscheinlich Bäume, einen Wald und einen Bach, Hecken und Wiesen malen. So sieht es in vielen dieser Weiler aus.
Dennoch sind Sie nicht dort.
Wenn ich meinen eigenen Heimatort Benningen nehme, dann habe ich das dort in verstädterter Form. Ich wohne gleich oberhalb des Neckars. Es gibt noch Obstwiesen und Äcker. Wir bewirtschaften selbst zwei. Das ist etwas, was wir in unserem überbordenden Ballungsraum erhalten müssen als Freiraum. Wenn ich höre, dass die Menschen im Ballungsraum keinen erschwinglichen Wohnraum mehr finden, dann kann ich nur sagen: draußen, etwa im Bottwartal, gibt es viele alte Häuschen, die darauf warten erhalten zu werden.
Erdet Sie Ihr Wohnort?
Mit Sicherheit. Ich bin ein sehr bodenständiger Mensch. Dazu gehören ein paar Dinge. Eine intakte Heimat beinhaltet auch eine intakte Natur. Die Frage ist immer, was der einzelne in die Natur hineininterpretiert. Da haben wir in Deutschland sicher eine andere Sicht als etwa in Amerika. Da gibt es nur urbane Strukturen und echte Nationalparks mit Wildnis. Das, was wir als Kulturlandschaft bezeichnen, ist dort gänzlich unbekannt und schwer vermittelbar. Obstwiesen und Terrassenweinberge haben eine hohe Biodiversität. Das ist in manchen Weilern in unterschiedlicher Form noch besser erhalten.
Braucht der Weiler den Menschen?
Ja. Absolut, weil er durch den Menschen entstanden ist. Die Natur dort braucht den Menschen aber nicht. Bei Prevorst gibt es einen Waldlichtungsbereich, der heißt Kohlkammer. Das sagt, dass dort einmal Köhlereien waren. Wenn man dort gräbt, kommt ganz schwarzer Boden raus. Das ist eine Landschaft, die atmet jahrhundertealte Kultur. Bei dem Gedanken daran bekomme ich Gänsehaut. Da, wo heute Schmetterlinge umherflattern, wurde damals gearbeitet. Der Weiler braucht den Menschen, weil die Baulichkeiten sonst verfallen. Für den Erhalt der Kulturlandschaft braucht man auch den Menschen, der die Zwetschgenbäume schneidet, die Nüsse aufsammelt oder die Wiesen mäht.
Wenn aber die ursprüngliche Natur den Menschen nicht braucht, tun sich die Menschen, die in Alleinlage ganz weit draußen wohnen, doch nur selbst etwas Gutes?
Nicht nur. Für mich gilt der Kulturlandschaftsbegriff. Wenn die Menschen abwandern, holt sich die Natur das Gebiet zurück. Dann entsteht ein Wald mit anderen Tierarten als in der offenen Landschaft. Wenn wir aber die durch menschliche Arbeit entstandene Kulturlandschaft mit ihrer Biodiversität haben wollen, braucht so ein Weiler Menschen. Deshalb bin ich froh, wenn es heute in Häfnerhaslach oder anderswo Leute gibt, die alte Häuser und auch Scheunen erhalten. Dadurch hat die Schleiereule vielleicht noch eine Chance, und die Fledermäuse haben einen Schlafplatz. Das muss man als Gesamtes sehen, als agrarkulturelles Ökosystem.