Hartmut Freund ist Tischtennis-Leistungssportler mit einer schweren geistigen Behinderung. Alle seine Gegner sind ihm intellektuell überlegen. Deswegen kämpft sein Bruder für eine zweite Startklasse – für geistig behinderte Spieler.

Bietigheim-Bissingen - Schweben, Hartmut, schweben“, ermahnt Hartmut Freund sich selbst. Er joggt auf einem Laufband, seine Schritte sind wuchtig, mit parallel schwingenden Armen stampft er auf das Laufband und unterbricht so das mechanische Surren. Hartmut ist klatschnass. Er trainiert in einer Höhenkammer, in ihr ist eine Luft, wie es sie in 3000 Metern Höhe gibt: mit 13 Prozent Sauerstoff. Normalerweise, in der Ebene, sind es 21 Prozent. Davor hat er für zwanzig Minuten eine Atemmaske getragen, um sich an die Luft zu gewöhnen. „Super, super, super“, jauchzt er, als er vom Laufband springt. Sein Vater Gregor Freund trocknet ihn kurz mit einem Handtuch ab, dann geht es weiter auf einem Cardio-Gerät. „Der dritte Akt“, kommentiert Hartmut.

 

Hartmut Freund trainiert für ein internationales Turnier, das in den Andenhöhen in Ecuador stattfinden wird. Die Global Games sind so etwas wie die Paralympics für geistig Behinderte, 700 Sportler aus aller Welt messen sich dort in verschiedenen Disziplinen. Freund ist Tischtennis-Spieler, 47 Jahre alt, und wohnt in Bietigheim-Bissingen. Er ist wegen einer frühkindlichen Hirnschädigung seit seiner Geburt schwer geistig behindert. Er hat einen IQ von 46, was dem geistigen Entwicklungsniveau eines Sechsjährigen entspricht. In der Startklasse der geistig behinderten Tischtennisspieler liegt er auf dem Weltranglistenplatz 24, er war aber auch schon auf Platz elf.In Deutschland hat er viermal die Meisterschaft gewonnen.

Erst seit 2012 spielt er im Leistungssport mit

Dabei entdeckte Hartmut Freund seine Begabung im Tischtennis erst spät: Seit 2012 spielt er im Leistungssport mit. Schon in den 70er-Jahren fand er Gefallen am Tischtennis, als seine Eltern eine Platte in den Hobbyraum im Keller stellten. Im Verein aber hatte er es schwer: „Da saß ich viel auf der Bank. Keiner wollte mit mir spielen“, erinnert er sich. Sein Bruder Norbert Freund drückt es diplomatischer aus. „Auch dort gab es Leute, die ihn förderten. Aber es gab kaum Systemtraining, er konnte seltener mit stärkeren Spielern trainieren.“ Der Wechsel zum Lokalrivalen TTC Bietigheim-Bissingen brachte für ihn „einen richtigen Leistungsschub“, erzählt sein Bruder. Auch sein Vater ist stolz auf ihn: „Manchmal denkt man, Hartmut kann sich nicht richtig bewegen, aber wenn er an der Platte steht, explodiert er.“

Seit 2012 trainiert er auch bei Szilvia Kahn, einer ehemaligen ungarischen Nationalspielerin. Das Training mit Hartmut sei „nicht einfach“, sagt sie. Oft habe er beim nächsten Training das Gelernte wieder vergessen. Die Sache mit dem „Schweben“ hat sie ihm beigebracht – für bessere Beinarbeit. Damit er in der Wettkampfs-Aufregung bestimmte Aufschlag-Techniken nicht vergisst, hat sie mit ihm Codewörter vereinbart. So gibt es beispielsweise die „kurze Annette“ oder die „scharfe Annette“. Auf Hartmut Freund müsse man aufpassen wie auf ein Kind, findet Kahn. „Er sagt nie, wenn er müde ist oder ihm etwas weh tut. Er spielt wie ein Uhrwerk.“