Um Flüchtlingen unterzubringen, mietet der Landkreis auch Wohnraum von privaten Vermietern an. In Markgröningen wohnen die Zaidans in einer Wohnung einem alten Fachwerkhaus. Erst als Asylbewerber – und nun als reguläre Mieter. Eine Erfolgsgeschichte.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Markgröningen - Ich liebe diese Wohnung, ich liebe alte Häuser. Sie haben etwas Besonderes“, sagt Nour Zaidan. Wenn die Syrerin aus dem Fenster schaut, sieht sie bis zum Gasthaus Bären, einer urschwäbischen Lokalität. Dort arbeitet sie seit drei Monaten als Küchen- und Servierhilfe. Das alte Gemäuer, von dem sie so schwärmerisch spricht, steht mitten in Markgröningen am Marktplatz. Es ist ziemlich betagt. „Der Keller ist zwischen 700 und 800 Jahre alt“, sagt der Besitzer Rainer Geßler. Doch so alt das Fachwerkhaus auch sein mag, es erzählt auch eine sehr in die Zukunft gerichtete Geschichte von Integration und der Traute, Menschen eine Chance zu geben.

 

Die erste Familie, die privat Unterkunft fand

Die Zaidans waren die ersten syrischen Kriegsflüchtlinge in Markgröningen, die zudem auch noch in einem Privathaus auf etwas über 50 Quadratmetern eine Unterkunft fanden. Zu viert kamen sie im November 2013 in die Schäferlaufstadt: Nour Zaidan, ihr Mann Firas und die beiden Kinder Khaled und Lejeune, die damals 14 und neun Jahre alt waren.

Die vier kommen aus Homs, der drittgrößten Stadt Syriens. Drei Jahre harrten sie dort aus und mussten erleben, wie die Häuser um sie herum durch die Kämpfe zu Ruinen wurden. Und jeder Angriff hätte auch ihren Tod bedeuten können. In dieser Zeit verlassen Nour Zaidon und ihre Kinder das Haus nicht. Dem Sohn und der Tochter fehlen drei Jahre Schulunterricht. Noch immer kann die Mutter Fernsehbilder aus ihrem Heimatland nicht ertragen. Ihr Mann hält sich über Facebook und Youtube auf dem Laufenden. Er zeigt die Bilder des kleinen ertrunkenen Jungen am Strand von Bodrum, dessen Tod an diesem Mittwoch die Welt bewegt.

Nur mit den Kleidern, die sie am Leib haben, kommen die Zaidans nach einer gefährlichen Flucht nach Deutschland. In der Erstaufnahmestelle in Karlsruhe leben sie drei Monate lang in einem winzigen Zimmer, bis auch für sie der Bus mit dem Ziel neue Heimat vorfährt.

Der Landkreis setzt auf die dezentrale Unterbringung

„Ohne den Pfarrer wäre da heute noch Leerstand“, sagt Rainer Geßler. Er wurde durch eine Anfrage des evangelischen Pfarrers Traugott Plieninger zum Vermieter der Zaidans – genauer: zunächst des Landkreises. Der Kreis ist für die Erstunterbringung von Flüchtlingen zuständig und setzt dabei auf die dezentrale Lösung. Gerne würde die Verwaltung mehr Menschen Wohnungen vermitteln, ihnen also einen Platz mitten im Leben verschaffen.

Die Zaidans wohnen nun seit fast zwei Jahren mittendrin. „Das ist super gut“, sagt Plieninger. „Das hat bei der Integration geholfen.“ Und viele Markgröninger hätten sich gefreut, etwas tun zu können. Turn- und Sportverein empfingen die vier Neuankömmlinge mit offenen Armen, mit Spenden finanzierten die Menschen einen Sprachkurs. „Das ist eine Erfolgsgeschichte“, sagt Plieninger. Der Anstoß dazu sei von den Teilnehmern einer Reisegruppe gekommen, mit der er 2010 in Syrien gewesen sei. Als der Krieg dort begann und Deutschland zusagte, 5000 Schutzsuchende aufzunehmen, sei die Frage aufgekommen: Kommen die Flüchtlinge auch nach Markgröningen?

Der Pfarrer sprach Geßler damals eigentlich nur an, weil er annahm, dieser habe als Kreisrat einen kurzen Draht zum Landratsamt. Daran, dass Geßler selbst derjenige sein könnte, der dem Landratsamt eine Wohnung zur Verfügung stellen würde, dachte er nicht. Aber just in der Zeit, in der dann tatsächlich die ersten Flüchtlinge nach Markgröningen kamen, kaufte Geßler das alte Haus am Marktplatz.

Fragt man Rainer Geßler, warum er die Zaidans damals aufgenommen hat, muss er nachdenken. Vielleicht weil sein Vater nach dem Kriegs selbst als Ungarndeutscher zufällig Markgröningen zugeteilt wurde, in einem winzigen Zimmer mit seiner Familie im Wimpelinhaus unterkam – und Unterstützung fand. Oder weil er selbst auf Reisen im Sudan und in Äthiopien war. Wahrscheinlich spielt alles eine Rolle. Auf alle Fälle ist er längst weit mehr als der Besitzer des Hauses, in dem die Zaidans wohnen. Er kümmert sich für sie um Papierkram und Anträge bei Behörden.

Inzwischen sind die vier als Asylbewerber anerkannt und hätten eigentlich aus der Wohnung für die Erstunterbringung ausziehen müssen. Aber Geßler hat sich dafür eingesetzt, dass sie bleiben können. Damit ist er jetzt Vermieter – mit allen Risiken. Er scheut sie nicht. Im Nebenhaus, das ihm ebenfalls gehört, wohnt eine irakische Familie aus Karakosch. Die fünf sind Christen und wurden von der Terrororganisation Islamischer Staat vertrieben. Auch ihnen hilft Geßler.