Die Sache ist mehr als kurios: Ein 54-Jähriger hat den Landkreis Ludwigsburg verklagt, weil dieser ihm keinen Unterhalt nach der Haager Landkriegsordnung zahlen wollte. Das Sozialgericht Heilbronn wies die Forderungen mit deutlichen Worten ab.

Kreis Ludwigsburg - Olaf B. (Name geändert) ist Kriegsgefangener mitten in Deutschland – so zumindest sieht es der 54-Jährige selbst. Um seine Existenz als solcher sichern zu können, beantragte er voriges Jahr Unterhalt und Sozialgeld beim Landratsamt Ludwigsburg. Weil die Behörde nicht auf den Antrag reagierte, klagte er. Doch das Sozialgericht Heilbronn wies die Klage am Dienstag ab: Es sei unter keinen Umständen denkbar, dass er Anspruch auf die Unterstützung habe, so das Gericht.

 

Es klingt kurios und krude: Für Olaf B. existiert die Bundesrepublik Deutschland nicht. Aus seiner Sicht hat die Regierung keine völkerrechtliche Souveränität, sondern ist eine Art Firma, die das Land verwaltet. Für ihn besteht das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 fort, es sei nur derzeit nicht handlungsfähig, ist der 54-Jährige aus dem Kreis Ludwigsburg überzeugt. Olaf B. proklamiert, sich in sogenannter staatlicher Selbstverwaltung zu befinden, also kein Bürger der Bundesrepublik zu sein, sondern dem Staat „Freies Deutschland“ anzugehören. Dennoch stehe er unter der Verwaltung der BRD, sei also Kriegsgefangener im „besetzten Deutschland“ – und habe dementsprechend laut der Haager Landkriegsordnung Anspruch auf eine Unterstützung, so die Argumentationskette des Mannes.

Kläger ist weder bedürftig noch gefangen

Doch seine Klage sei unzulässig, weil rechtsmissbräuchlich, urteilte das Sozialgericht. Zwar gebe es die Haager Landkriegsordnung, doch es seien keine Umstände denkbar, unter denen diese bei Olaf B. greifen könnte, erklärte der Vorsitzende Richter Joachim von Berg. Denn letztlich könne Olaf B. nur dann Kriegsgefangener in Deutschland sein, wenn dieses sich im Krieg befinde. Da dies nicht der Fall sei, sei der Kläger auch kein Kriegsgefangener. Aber nur als solcher könne er Ansprüche aufgrund der Haager Landkriegsordnung geltend machen. Im Übrigen sei Olaf B. nicht einmal bedürftig und habe daher ohnehin keinen Anspruch auf Sozialgeld, betonte der Richter. Schließlich sei er bei einer Stuttgarter Firma angestellt.

Bei seiner Einschätzung orientierte sich das Gericht unter anderem an Urteilen aus Dresden und Hamburg, wo ähnliche Klagen abgewiesen wurden. Denn mit seinen Ansichten ist Olaf B. nicht allein. Es gibt seit Mitte der 1980er Jahre einige Gruppen und Einzelpersonen, die die Bundesrepublik nicht anerkennen und sich stattdessen als Bürger eines Fantasiestaates bezeichnen. Teilweise verfügen diese sogar über eigens gefertigte Ausweispapiere (siehe Infobox) und stehen wegen des sogenannten geografischen Revisionismus – ein verbindendes Ideologieelement des rechtsextremistischen Spektrums – auch unter Beobachtung des Verfassungsschutzes.

Angeblicher Sachverständiger ist in Szene aktiv

Besonders aktiv in der Szene ist Peter Frühwald, der vorübergehend kommissarischer Präsident des „Freien Deutschland“ war. Er betreibt eine Internetseite, auf der er unter anderem Seminare zum Thema staatliche Selbstverwaltung anbietet. Genau diesen Mann stellte Olaf B. in der Verhandlung gestern als seinen Sachverständigen vor, der an seiner Stelle die Zusammenhänge seiner Klage erklären sollte. Doch das Gericht lehnte ab: Der Sachverständige sei nicht bestellt worden, im Übrigen halte man den Sachverhalt für geklärt, sagte der Richter Joachim von Berg.

Ohnehin verstehe er nicht, warum jemand den Weg gehe, den Olaf B. eingeschlagen habe, merkte der Richter an. Das sei historisch zu verstehen, erklärte der Kläger. Sein Großvater habe im Gebiet der heutigen Ukraine die Schikanen der sowjetischen Besatzer ertragen müssen und sei dann nach Sibirien verschleppt worden. Angesichts dieser Familiengeschichte habe er sich in die Thematik eingelesen und wehre sich nun gegen jede Art der Besatzung. Letztlich gehe es ihm auch gar nicht darum, sofort Geld zu bekommen. „Ich will nur klarstellen, dass ich grundsätzlich Anspruch darauf habe, falls ich in die Arbeitslosigkeit falle.“ Von Berg quittierte das mit eigener Geschichte: Sein Großvater sei zehn Jahre in Sibirien gefangen gewesen, seine Familie ebenfalls geflohen: „Und ich bin jetzt am Sozialgericht.“

Leben in den Grenzen von anno dazumal

Fantasiestaaten:
Im Mai 2012 rief eine Gruppe in Leipzig die „Republik Freies Deutschland“ aus, kommissarischer Präsident war zunächst Peter Frühwald. Die Bürger dieses Fantasiestaates sind – wie auch die sogenannten Reichsbürger und Germaniten – der Ansicht, dass das Deutsche Reich juristisch nicht untergegangen ist und erkennen die Legitimität der Bundesrepublik nicht an. Sie fordern die Wiederherstellung der Grenzen von 1937 und stellen gegen Gebühr angeblich offizielle Dokumente aus. Da diese Ideologie der des rechtsextremen Spektrums ähnelt, werden die Gruppen vom Verfassungsschutz beobachtet.

Landkriegsordnung:
In Einzelfällen kann die Haager Landkriegsordnung auch heute noch geltend gemacht werden. Aber nur, wenn sich deutsche Staatsangehörige, die in den sogenannten deutschen Ostgebieten des früheren Deutschen Reiches leben, in einer außergewöhnlichen Notlage befinden.