Wenn es um Tempo 30 in ihren Ortsdurchfahrten geht, werden die Gemeinden im Landkreis kreativ.

Ludwigsburg - In einem Punkt ähnelt Sachsenheim dem berühmten gallischen Dorf, das von Römern umzingelt ist: Während um die Stadt herum die meisten Gemeinden eine Geschwindigkeitsbegrenzung in ihren Ortsdurchfahrten durchsetzen konnten, bemüht sich Sachsenheim seit sechs Jahren vergeblich. Die letzte Verkehrsschau war im März dieses Jahres. Die Stadt argumentierte mit der Verkehrssicherheit, vor allem nahe dem Schulzentrum in der Oberriexinger Straße, aber auch an anderen Stellen. Mal sind es schmale Gehwege, mal wenig gesicherte Überwege. „Und insgesamt fließt der Verkehr dort zu schnell“, sagt Nicole Raichle, Pressesprecherin der Stadt. Bei der zuständigen unteren Verkehrsbehörde, dem Landratsamt Ludwigsburg, heißt es nur: „In den Ortsdurchfahrten sind keine Gefahren erkennbar, die das übliche Maß übersteigen. Damit können Geschwindigkeitsbeschränkungen aus Verkehrssicherheitsgründen nicht angeordnet werden.“

 

Diese Begründung kann Hartmut Schmid, der Leiter des Sachsenheimer Ordnungsamtes, nicht nachvollziehen: „Natürlich sind wir sehr enttäuscht über die Ablehnung der Anträge auf Tempo 30 durch das Landratsamt.“ Der Gemeinderat sei „empört“ gewesen. Die Stadt wolle aber „weiter am Ball bleiben“. Dass es sich lohnen kann, zeigt ein Blick in andere Gemeinden des Landkreises. Mögliche Argumente für Tempo 30 gibt es viele, neben der Sicherheit beispielsweise die Abgasbelastung oder den Lärm.

Wie haben andere Gemeinden Tempo 30 bekommen?

In Ludwigsburg wurde in den letzten Jahren immer mal wieder das heiße Eisen Tempobegrenzung auf den Hauptverkehrsachsen angefasst. Zuletzt im Rahmen des Lärmaktionsplans. Mehr als die Anregung für eine Probephase auf einem Abschnitt der Heilbronner Straße – und auch das nur nachts – ist dabei nicht herausgekommen. Die Verwaltung verweist auf die übergeordneten Dienststellen, die das nie und nimmer erlauben würden. Stadträte befürchteten, dass dann der Verkehr ins Stocken gerät oder die Nebenstraßen überschwemmt.

Darum hat sich auch die Industrie- und Handelskammer quer gestellt: „Zu den Funktionen von Hauptverkehrsachsen gehört es, dass der Verkehr abfließen kann“, meinte deren Geschäftsführer Reiner Bourcsein. Mit ihren geplanten Eingriffen sei genau das in Zukunft gefährdet.

Nach langer und von vielen als verspätet empfundener Debatte wurde beschlossen, wenigstens in einzelnen Nebenstraßen Tempo 30 zu realisieren: in den Straßenzügen Marien-, Abel und Uhlandstraße sowie August-Bebel-, Kurfürsten- und Martin-Luther-Straße – was aber noch nicht umgesetzt worden ist. Außerdem in der Unteren Stadt und im Stadtteil Poppenweiler.

Die Feinstaubmessung machts möglich

In den Ortsteilen von Remseck ist Tempo 30 vergleichsweise häufig anzutreffen. Die Ausnahme ist die Ortsdurchfahrt von Hochdorf. Hier herrscht Tempo 50, weil es laut Baubürgermeister Karl-Heinz Balzer keinen Anhaltspunkt gemäß der Straßenverkehrsordnung für eine stärkere Geschwindigkeitsbegrenzung gebe. In den Ortslagen von Aldingen und Neckargröningen gilt komplett Tempo 30, in Hochberg fast im ganzen Ort. In Pattonville ist die Ortsdurchfahrt, die John-F.-Kennedy-Allee, gleichzeitig die Gemarkungsgrenze zwischen Kornwestheim und Remseck. Auch hier gilt größtenteils Tempo 30, ebenso wie in den Wohngebieten. Für die stark befahrene Remstalstraße zwischen Neckarrems und Neckargröningen hatte die Remsecker Verwaltung ebenfalls Tempo 30 beantragt. Zurzeit stellt das Regierungspräsidium einen Luftreinhaltungs- und Aktionsplan für Remseck auf. Damit gebe es neue Hoffnung für Tempo 30 in der Remsecker Mitte, sagt Karl-Heinz Balzer.

Freiberg hat sein Ziel bereits erreicht. In der Mühlstraße und der Ludwigsburger Straße gilt seit zwei Jahren in Teilbereichen Tempo 30. Möglich machte das eine Feinstaubmessung im Jahr 2008. Ursprünglich wollte Freiberg Tempo 30 wegen des Lärms. „Das wurde aber von den Verkehrsbehörden abgelehnt“, sagt Peter Müller vom Ordnungsamt.

Auch Pleidelsheim erlangte, ähnlich wie Markgröningen, das Ziel eines Geschwindigkeitslimits nicht über das Argument Verkehrssicherheit, sondern mit dem Hinweis auf den Feinstaub. Als eine der ersten Kommunen in Baden-Württemberg bekam Pleidelsheim eine Abgas-Messstation vom Land. Das Regierungspräsidium reagierte auf die hohen Feinstaubwerte: Seit Dezember 2011 gilt auf der Beihinger Straße und der Hauptstraße Tempo 30. Der Bürgermeister Ralf Trettner erinnert sich: „Früher war Tempo 30 undenkbar.“ Mittlerweile seien Lärm und Abgase aber ein großes Thema in der Bevölkerung. „Diese Erkenntnis hat sich auch bei den übergeordneten Behörden durchgesetzt“, meint Trettner.

Bessere Chancen beim Regierungspräsidium

Der Bürgermeister spricht damit einen Punkt an, der vielen Ordnungsämtern im Kreis bekannt ist: Wer mit Verkehrssicherheit argumentiert, hat beim Landratsamt meist schlechte Karten. Besser sind da schon hohe Dezibelzahlen oder überschrittene Grenzwerte beim Feinstaub. Hier entscheidet nämlich die übergeordnete Verkehrsbehörde, das Regierungspräsidium Stuttgart.

In Vaihingen/Enz scheiterte das Vorhaben jedoch an der Verwaltung selbst. Der Gemeinderat stellte sich quer. Als Teil des Lärmaktionsplans im stark belasteten Stadtteil Enzweihingen schlug der Bürgermeister Gerd Maisch Anfang 2010 vor, Tempo 30 für den Ort zu beantragen. Das wirke gleich doppelt, argumentierte Maisch: Einerseits könne der Lärmpegel in Enzweihingen um 2,7 Dezibel gesenkt werden. Das sei ungefähr so, wie wenn statt 30 000 nur noch 20 000 Fahrzeuge auf der B-10-Ortsdurchfahrt unterwegs seien. Andererseits werde so Druck auf das Regierungspräsidium gemacht, die Pläne für eine Ortsumfahrung zügig voranzubringen. Doch der Gemeinderat befürchtete mehr Staus. 18 von 30 Stadträten (Freie Wähler, CDU und die Liste B-10-Umfahrung) stimmten gegen seinen Vorschlag. Laut dem RP hätte der Antrag zudem ohnehin schlechte Chancen gehabt durchzukommen. Die Lärmentlastung müsse mindestens drei Dezibel betragen. In Affalterbach und Hemmingen beispielsweise ist dies der Fall.

Erfolgreicher war da Kirchheim. Bürgermeister Uwe Seibold hatte auf die Gleichbehandlung mit Offenau bei Heilbronn gepocht. Dort gilt seit viereinhalb Jahren ein Limit von 30 Kilometern pro Stunde. Ein wütender Brief ans Regierungspräsidium Stuttgart zeitigte offenbar Wirkung: im Oktober 2010 verhängte die Behörde in der Kirchheimer B-27-Ortsdurchfahrt Tempo 30. Dies allerdings nur auf einem 700 Meter langen Abschnitt und nur während der Nachtstunden zwischen 22 Uhr und 6 Uhr morgens. Dennoch gilt das als Erfolg der kleinen Gemeinde – denn auf Bundesstraßen gehen die Behörden mit Tempo-30-Schildern äußerst sparsam um.

Auch Sachsenheim will nun den Weg über die obere Verkehrsbehörde gehen. Die Stadt hat sich Gemeinden wie Münchingen und Gerlingen zum Vorbild genommen und gibt im neuen Jahr ein Lärmgutachten in Auftrag.