Kurz vor der Urteilsverkündung verschwindet ein Angeklagter aus dem Landgericht Heilbronn. Freigesprochen vom Vorwurf der Vergewaltigung wird er dennoch.

Sachsenheim - Er halte es psychisch nicht mehr aus, ihm gehe es nicht gut: Mit dieser Begründung hat ein Angeklagter vor dem Landgericht Heilbronn am Dienstag unerlaubterweise die Verhandlung fluchtartig verlassen – wenige Minuten bevor die dritte große Strafkammer des Landgerichts ihr Urteil verkünden konnte.

 

Dem 47-Jährigen aus Sachsenheim war in dem Prozess vorgeworfen worden, seine 19 Jahre jüngere Exfrau zweimal vergewaltigt zu haben. Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer einen Freispruch aus Mangel an Beweisen gefordert. Als das Gericht nach einer 45-minütigen Unterbrechung das Urteil verkünden wollte, war der Angeklagte nicht mehr anwesend. Sein Verteidiger versuchte mehrfach, ihn telefonisch zu erreichen, dabei gab der Angeklagte an, nicht mehr im Gericht erscheinen zu wollen – er könne das schlicht nicht.

Die Verhandlung wurde für drei Stunden unterbrochen

Ohne die Anwesenheit des Angeklagten wollte das Gericht das Urteil aber nicht verkünden und ordnete an, den Angeklagten polizeilich vorführen zu lassen. Erst drei Stunden später wurde der Prozess fortgesetzt: Denn dem Anwalt des Angeklagten gelang es schließlich doch noch, seinen Mandanten umzustimmen. „So etwas habe ich in 30 Jahren noch nicht erlebt“, sagte der Verteidiger.

Von der unerlaubten Abwesenheit unbeeinflusst blieb das Urteil der Kammer. Sie sprach den Angeklagten vom Vorwurf der Vergewaltigung frei, wenn auch verspätet. Konsequenzen für seine kurze Flucht muss der Angeklagte nicht befürchten.

Das ungewöhnliche Ende passt zu dem eher verworrenen Fall, mit dem sich das Landgericht seit zwei Wochen beschäftigt hat. Die Vergewaltigungen seiner Exfrau, derer der 47-Jährige angeklagt war, sollen sich Ende November 2011 und Mitte März 2012 ereignet haben. Bei der ersten Tat soll er außerdem seiner Partnerin minutenlang ein Kissen ins Gesicht gedrückt haben.

Im Laufe der Verhandlung kam es allerdings zu mehreren Ungereimtheiten. So gab die Frau erst an, nach den Taten keinen Kontakt mehr zu ihrem Exmann gehabt zu haben, was dieser bestritt. Erst nach einer eindringlichen Befragung durch den Vorsitzenden Richter gab die Frau schließlich an, dass es auch zwischen den Taten zu einem Treffen gekommen sei, bei dem pornografische Fotos und Videos entstanden seien. Nachdem das Gericht die Frau auf ein „Glaubwürdigkeitsproblem“ hingewiesen hatte, berief sich die 29-Jährige auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht.

Der Freispruch erfolgte aus Mangel an Beweisen

Am Dienstag nun führte dieses Glaubwürdigkeitsproblem zum Freispruch. Es sei nicht zweifelsfrei zu ermitteln, ob die sexuellen Kontakte vom Angeklagten erzwungen worden seien, sagte die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer. Zudem fehlten objektive Beweise, es stehe Aussage gegen Aussage. Um in diesem Fall dennoch eine Verurteilung zu fordern, seien die Angaben der als Nebenklägerin auftretenden Frau aber nicht ausreichend. Die Beziehung zwischen den beiden sei „sehr schwierig gewesen“, so die Staatsanwaltschaft. Der Angeklagte sei sehr dominant, die Exfrau eine zurückhaltende, schüchterne Person. Zweifelsfrei festzustellen, dass der Angeklagte seine Exfrau zum Sex gezwungen habe, sei daher kaum möglich.

Ein Unbekannter ist der Sachsenheimer vor Gericht indes nicht: In früheren Verfahren war der 47-Jährige unter anderem wegen fahrlässiger Körperverletzung, Beleidigung, Nötigung und Urkundenfälschung zu verschiedenen Bewährungs- und Geldstrafen verurteilt worden. Sein Mandant sei in mancher Hinsicht nicht unbedingt ein Sympathieträger, sagte auch der Verteidiger. „Doch einen Freispruch zweiter Klasse gibt es nicht.“