Seine eigene Gewerkschaft hat den Ministerpräsidenten freundlich aufgenommen. Vor Einsparungen sind Lehrer und Schulen trotzdem nicht gefeit.

Sindelfingen - Die Trillerpfeifen des Beamtenbunds mögen Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) noch in den Ohren gegellt haben. Doch im Vergleich zu seinem Auftritt vor dem Beamtenbund Anfang März hat der Regierungschef bei der Lehrer-Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ein Heimspiel gehabt. Sie betrachten ihn schon noch als einen der Ihren, die 48 500 GEW-Mitglieder in Baden-Württemberg. Oder, wie die frisch im Amt bestätigte Vorsitzende Doro Moritz ironisch vermutet, „es ist dem größten Landesverband der GEW gelungen, ein GEW-Mitglied als Ministerpräsident durchzusetzen“.

 

So wurde der bis vor zehn Jahren als Lehrer aktive Kretschmann bei der Landesdelegiertenversammlung der GEW in Sindelfingen mit freundlichem Applaus empfangen. Doch die Grundsatzrede des Ministerpräsidenten hören die rund 300 Delegierten mit abwartender Zurückhaltung. Schweigend formieren sich einige angestellte Lehrer mit ihren Transparenten unterhalb des Rednerpults. Sie fordern einen Tarifvertrag und eine verbindliche Entgeltordnung. Andere wenden sich gegen Informationsveranstaltungen der Bundeswehr in Schulen, die Dritten machen sich für Entschädigungen von vom Radikalenerlass Betroffenen stark.

Das Geld trennt Kretschmann von seinen Ex-Kollegen

Auch wenn er GEW-Mitglied ist, so redet Kretschmann seinen ehemaligen Kollegen doch keineswegs nach dem Mund. Er gibt sich in seinem 45 Minuten dauernden Vortrag sachorientiert und lässt seine eigenen Erfahrungen als Lehrer nur in homöopathischen Dosen einfließen. Überhaupt meint er, „es hat für Sie und für mich Vor- und Nachteile, dass ich früher Lehrer war“. Warum? „ Ich bin befähigt, falsches Jammern vom richtigen zu unterscheiden.“ Es wird 15 Minuten dauern, bis die abwartende Stille während der Rede vom ersten nennenswerten Beifall unterbrochen wird. Da sagt er im Zusammenhang mit der verbindlichen Einführung des Orientierungsplans zur Bildung in Kindergärten: „Wir müssen im Bildungssystem mehr Mittel von oben nach unten umschichten.“ Das Geld ist es, was das GEW-Mitglied Kretschmann von seinen Ex-Kollegen trennt. Die GEW will keine Einschnitte im Bildungsbereich hinnehmen und verlangt Steuererhöhungen.

Mit nahezu eisigem Schweigen hören die Lehrer und Erzieher, dass der Regierungschef den Haushalt bis zum Jahr 2020 sanieren muss. Kretschmann weist erneut darauf hin, dass die Personalausgaben 40 Prozent des Etats ausmachen. „Es ist unmöglich daran vorbei den Haushalt zu sanieren. Da bitte ich auf dem Teppich zu bleiben.“ Das Publikums hört’s und verharrt regungslos. Der Ministerpräsident „kann nichts Schlimmes daran finden“, dass zunächst eine Gehaltserhöhung für die Beamten verschoben worden ist. Daher sei er schon „einigermaßen bestürzt“ gewesen über den Empfang beim Beamtenbund. Jetzt fragt er sich, „was passiert, wenn ich in die Strukturen eingreife, was ich natürlich muss“. Da erhebt sich leises Rumoren in der Sindelfinger Stadthalle. Aber der Redner sagt deutlich: „Ich kann keinen Haushalt sanieren, ohne dass es jemanden schmerzt.“

„Es kann nicht auf Dauer alles zu wenig sein“

Auf der Tribüne wird lauter gemurrt und gar als „dummes Geschwätz“ abgetan, als Kretschmann sich erinnert, dass die Atmosphäre im Lehrerzimmer und der Zusammenhalt des Kollegiums mehr wert gewesen sei, „als wenn man fünfzig Mark mehr gehabt hätte“. Die Delegierten hören es gar nicht gern, dass die sogenannte Rendite „doch irgendwann mal ankommen muss“, wenn es jedes Jahr 20 000 Schüler weniger im Land gibt. Dass „doch nicht auf Dauer alles zu wenig sein kann“. Regelrechte „Pfuirufe“ fängt sich Kretschmann ein, als er sagt „Knappheit führt zu Kreativität“.

Viel besser kommt an, dass der Regierungschef die Fortbildung für die Gemeinschaftsschule ganz wichtig nimmt, „da können Sie bei mir wirklich auf Unterstützung rechnen“. Mit Jubel wird quittiert, dass der Spitzensteuersatz erhöht werden soll und Kretschmann die Steuern anders verteilen will. Dass er sich langfristig ein zweigliedriges Schulsystem wünscht, kommt an. Dass die Opposition nicht zum Konsens bereit ist, geht nicht auf die Kappe des Ministerpräsidenten. Auch dass er Kosten und Nutzen der Fremdevaluation unter die Lupe nehmen will, trägt ihm viel Beifall ein. Denn „man kann Ihnen nicht immer weitere Dinge aufladen, es muss auch mal was verschwinden“. Das streichelt die Seelen der reformgeplagten Pädagogen. Dann verspricht er auch noch ein Treffen mit dem GEW-Vorstand, denn „bei der Umsetzung der Reformen sind wir auf Sie angewiesen“. Vielleicht, so räumt er ein, habe die grün- rote Regierung zu viel auf einmal gewollt. Künftig will sich der Ministerpräsident stärker selbst dem Thema widmen.

Der bessere Kultusminister

Ohnehin hielte mancher im Saal den Ministerpräsidenten für den besseren Kultusminister. „Er ist konkreter als die Kultusministerin“, heißt es. Am Vortag sollte Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD) die Umsetzung der Reformen erläutern. Das war sie in den Augen vieler Delegierter schuldig geblieben. „Er ist geradliniger und ehrlicher als die Ministerin“, sagt Angelika Sinnemann aus Waldshut-Tiengen. Gut findet sie auch, „dass er seine Meinung sagt und begründet, warum er etwas nicht tut“ .

„Er strahlt Glaubwürdigkeit aus. Er sagt auch Sachen, die dem Standardgewerkschafter nicht so reinlaufen“, kommentiert der Realschullehrer Hannsjörg Scharr aus Schwäbisch Hall durchaus beeindruckt. Ähnlich reagiert Petra Grundmann vom GEW-Hauptvorstand in Frankfurt. Sie ist sich mit GEW-Vertretern aus den Nachbarbundesländern einig: „Ich würd’ ihn mitnehmen. Er ist authentisch, redet niemandem nach dem Mund.“

Skeptischer Nachwuchs

Die junge Generation im Bildungsbetrieb ist weniger empfänglich für Kretschmanns Qualitäten. Die Lehramtsstudentin Mirijam Schnaitter machte „zu viele Floskeln und polemische Schlagworte“ in seinem Vortrag aus. Matthias Schweizer, der in Freiburg Sozialpädagogik studiert, nimmt dem Regierungschef schlichtweg „nicht ab, dass er die Vorhaben zur Bildung aus dem Koalitionsvertrag umsetzen will“. „Er konnte nicht überzeugen“, bilanziert der Student.

Mangelndes Engagement jedenfalls könne ihm wohl keiner vorhalten, meint Kretschmann selbstironisch. An der Gestik fehlte es nicht. Im Eifer der Rede hatte er sich sogar im hohen Bogen selbst die Brille von der Nase gefuchtelt.