Ministerpräsident Winfried Kretschmann schlägt bei der EU ganz andere Töne an, als man sie sonst aus Deutschland vernimmt.

Brüssel - Auf seinen ersten Stationen im Ausland ist Winfried Kretschmann immer nach Stuttgart 21 gefragt worden - selbst bei der Papstaudienz im Vatikan. Jetzt, bei seinem Arbeitsbesuch in Brüssel, war die Tieferlegung des Bahnhofs "als Thema weg", wie der Ministerpräsident im Anschluss an seine Gespräche berichtete: "Die Katz isch dr Baum nuff."

 

Zu reden gab es mit EU-Kommissionschef José Manuel Barroso, dem Ratspräsidenten Herman Van Rompuy und dem Präsidenten des Europaparlaments, Martin Schulz, auch so genug. Dass sich die obersten Repräsentanten der drei wichtigsten EU-Organe Zeit für den Besucher nahmen, lag an der auch im Ausland gestellten Frage, warum "ausgerechnet im Hightechland Baden-Württemberg ein Grüner Regierungschef werden konnte", wie Kretschmann sagte - nur um hinterherzuschieben, dass "wer, wenn nicht wir, Klimaschutz mit Wohlstand verbinden" solle. Zudem sollte diesmal logistisch nichts schiefgehen: Bei Kretschmanns erstem Besuch als Ministerpräsident im vergangenen Sommer hatte nur sein Vorvorgänger Günther Oettinger Zeit für ihn gehabt.

Orbán soll Kritik vertragen können

Gerade Barroso mag nicht schlecht gestaunt haben, aus Deutschland ganz andere Töne zu hören, als er sie sonst von Kanzlerin Angela Merkel vernimmt. So beklagte Kretschmann ein "Ungleichgewicht" bei der Eurorettung, es brauche eine "Haushaltskonsolidierung, die wirtschaftspolitisch atmet" - auch um die Nachfrage für Produkte aus dem Südwesten nicht abzuwürgen. Kretschmann berichtete, dass die Landesregierung "offen für konditionierte Eurobonds" sei, also die Vergemeinschaftung der Schulden unter bestimmten Bedingungen. Grün-Rot verstehe sich "als Treiber der europäischen Integration und nicht als Bremser". Dies sage er, Kretschmann, "nicht nur aus Überzeugung". Dies sei auch "das vitale Interesse" eines Bundeslandes, das den "Löwenanteil seiner Exporte in die EU" tätige.

Nach Barrosos Gratulation zur Wahl und dessen Versicherung, dass das grüne Herzensthema "Nachhaltigkeit der Europäischen Kommission ein wichtiges Anliegen" sei, lud Kretschmann den Portugiesen für einen Tag nach Baden-Württemberg ein, um dort die Forschungs- und Hochschullandschaft zu besichtigen. Natürlich kam die Einladung nicht ohne Hintergedanken zustande, werden in Brüssel in den nächsten 18 Monaten doch wichtige Weichen hinsichtlich der Forschungsförderung, aber auch bei den Strukturhilfen und den Agrarsubventionen gestellt. Alle diese Anliegen hat Kretschmann hinterlegt - auch die Forderung, bei der anstehenden Überarbeitung der EU-Eigenkapitalrichtlinie "Landesbanken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken, die 90 Prozent unseres Mittelstandes Kredit geben", nicht zu stark zu belasten; diese seien nämlich "nicht systemrelevant".

Einen Brief hatte Kretschmann in der Sache bereits vorausgeschickt. Ein anderer Brief, den der Europaminister Peter Friedrich nach Budapest geschickt hatte, kam in Brüssel ebenfalls zur Sprache. So hat sich Ungarns schwer in der Kritik stehende Ministerpräsident Viktor Orbán kürzlich selbst zum Besuch nach Stuttgart eingeladen - Budapest ist ein enger Partner Baden-Württembergs im Donauraum. Die Landesregierung hat aber, wie Kretschmann in Brüssel mitteilte, signalisiert, dass Orbán nur dann kommen könne, wenn er bereit sei, sich auch offiziell Kritik an seiner Staatsreform gefallen zu lassen. "Wir können nicht auf der Sachebene weiterarbeiten", sagte Minister Friedrich der StZ, "wenn das Vertrauen in die demokratische Ordnung in Ungarn gestört ist."