Ministerpräsident Kretschmann hat sich mit seinen jüngsten Signalen an die Bahn Ärger der Partei eingehandelt. An der Parteispitze wirft man ihm vor, programmatische Prinzipien über Bord zu werfen.

Stuttgart - Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) gerät parteiintern wegen Stuttgart 21 unter Druck. Die Signale des Regierungschefs an die Deutsche Bahn, dass das Land nun doch einen Teil der Mehrkosten für den verbesserten Flughafenbahnhof übernehmen könnte, haben die Parteispitze in Berlin, aber auch Grünen-Politiker im Land und in Stuttgart nachhaltig verärgert. Dem bisher unangefochtenen Spitzenmann im Südwesten droht jetzt ein Konflikt mit seiner Partei.

 

Man sei entsetzt über die Äußerungen Kretschmanns in den vergangenen Tagen, heißt es an der Berliner Parteispitze. „Sein derzeitiges Verhalten gefährdet bundesweit unsere Glaubwürdigkeit als erklärte Projektkritiker“, sagte ein hochrangiger Grünen-Politiker der Stuttgarter Zeitung. Das Fass zum Überlaufen brachten offenbar diverse Interviews des Ministerpräsidenten in jüngster Zeit. Kretschmann hatte unter anderem gesagt, für ihn sei die Entscheidung über Stuttgart 21 gefallen: „Es gibt kein Zurück mehr.“ Er spekuliere auch nicht auf einen möglichen Stopp des Projekts nach der Bundestagswahl.

Berliner Parteifreunde sind fassungslos über Kretschmann

Im StZ-Interview hatte der Regierungschef es abgelehnt, den umstrittenen Tiefbahnhof zum Thema im Bundestagswahlkampf zu machen. Mit diesen Äußerungen ging der Ministerpräsident auf Konfrontationskurs zur Parteiführung in Berlin und zu seinem Verkehrsminister und Parteifreund Winfried Hermann, die die Übernahme von Mehrkosten für das Tiefbahnhofsprojekt durch das Land strikt ablehnen. Sie befürchten andernfalls weitere Nachforderungen der Bahn.

So hat Parteichef Cem Özdemir, der sich in Stuttgart um ein Direktmandat für den Bundestag bewirbt, mehrfach gefordert, S 21 wegen der hohen Mehrkosten zu stoppen. Der Spitzenkandidat und die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Jürgen Trittin und Renate Künast, wollen das Großprojekt zum Thema im Bundestagswahlkampf machen. Kretschmann weicht von dieser Parteilinie nun deutlich ab. „Er will bei S 21 komplett umfallen und das Ding durchziehen, das ist nicht zu fassen“, heißt es in Berlin. Offenbar sei Kretschmann vor allem an seinem staatsmännischen Auftreten als Landesvater interessiert und wolle deshalb den Dauerkonflikt „endlich abräumen“, sagt ein Eingeweihter. Damit stelle er faktisch seine Interessen über wichtige programmatische Inhalte.

Im Gegensatz zu Kretschmann wollen Parteistrategen der Grünen in Berlin die Zukunft des Projekts bis zur Wahl offenhalten. Angesichts der vom Staatskonzern eingestandenen Kosten von bis zu 6,8 Milliarden Euro hofft man dort auf eine Ausstiegsoption, sofern eine weitere Sonderprüfung des Projekts weitere Mehrkosten ans Tageslicht befördern würde.

Grüne im Land stärken Verkehrsminister Hermann den Rücken

Aktuell entzündet sich der Streit an der Übernahme von Mehrkosten durch das Land, die Bahn-Chef Rüdiger Grube seit Monaten fordert. Gemäß der Finanzierungsvereinbarung von 2009 beteiligt sich Baden-Württemberg mit 930 Millionen Euro an S 21. Der Konzern fordert aber nun weitere rund 300 Millionen Euro – Kosten der S-21-Schlichtung sowie Geld für eine bessere Umsetzung des geplanten Flughafenbahnhofs. Auch die SPD-Spitze im Land, angeführt von Fraktionschef Claus Schmiedel, fordert als Koalitionspartner der Grünen „ergebnisoffene“ Gespräche mit der Bahn – und eine finanzielle Beteiligung des Staatskonzerns (siehe nebenstehenden Text).

Nicht nur die Berliner Parteispitze macht Kretschmann Druck, den kleineren Koalitionspartner und die Bahn in die Schranken zu weisen. Auch in der Landespartei wächst die Kritik an der Haltung ihres Spitzenmanns. So stärkt etwa der Arbeitskreis Verkehr und Infrastruktur der Landtagsfraktion Verkehrsminister Hermann in einem Positionspapier demonstrativ den Rücken. Darin heißt es, es könne „aus fachlicher Sicht keine Beteiligung des Landes an eventuellen Mehrkosten für den Flughafenbahnhof geben, da die Vorteile der Bahn zuzurechnen sind und nicht dem Land“. Der Konzern dürfe nicht aus seiner Verantwortung für einen funktionierenden Flughafenbahnhof in der Antragsvariante entlassen werden.

Auch die Fraktionschefin der Grünen im Landtag, Edith Sitzmann, bleibt dabei: „Die Bahn ist am Zug, sie muss sagen, ob sie die Antragstrasse bauen will oder den Filderbahnhof plus.“ Über den vereinbarten Zuschuss des Landes hinaus gebe es keinen weiteren Euro.

In Kreisen der Landespartei schließt man mittlerweile sogar einen Sonderparteitag nicht mehr aus, falls Kretschmann der SPD nachgebe und sich auf eine Kostenbeteiligung einlasse. Die Partei könne es sich nicht bieten lassen, dass in der Koalition der Schwanz mit dem Hund wedele, giften Grünen-Funktionäre an die Adresse von SPD-Vormann Schmiedel. Auch die Kreispartei, die 2014 eine Kommunalwahl zu bestreiten hat, sieht Kretschmanns Wackelkurs zunehmend kritisch. „Für uns bleibt Stuttgart 21 ein Wahlkampfthema“, sagt der Sprecher der Ratsfraktion, Peter Pätzold. Und Philipp Franke, Kreisvorsitzender der Grünen, erklärte, angesichts der „bekannten Kosten- und Leistungslügen der Bahn“ dürfe der Kostendeckel für den Filderbahnhof nicht gesprengt werden.