Christine Lehmann hat im Stuttgarter Hospitalhof ihren neuen Lisa-Nerz-Krimi „Allesfresser“ vorgestellt.

Stuttgart - Ihr Lebensgefährte Richard Weber pfeffert Entenbrust. Zu anderen Zeiten wäre das für die Journalistin und Detektivin Lisa Nerz die Garantie für einen schönen Abend gewesen. Zu Beginn des Romans „Allesfresser“ aber sitzt die Serienheldin der Stuttgarter Autorin Christine Lehmann am Laptop und liest den Blog einer Veganerin. Satz um Satz wird Nerz vorgehalten, dass Fleischessen die Teilnahme an einem Großverbrechen an den Tieren und letztlich am Menschen selbst sei.

 

Nerz liest fasziniert immer weiter, aber wir können uns nicht sicher sein, warum. Orientiert sie sich gerade persönlich ganz neu? Oder bereitet sie sich auf eine Recherche vor, aufs Abtauchen ins Milieu, sammelt sie die Ideologiefetzen ihrer künftigen Tarnkleidung? Beruhigend Widerspruchsfreies darf man auch vom zwölften Lisa-Nerz-Krimi nicht erwarten.

Sie fange „ein neues Buch schon mal an, weil ich etwas wissen will“, sagt die Autorin am Montagabend bei einer Lesung im Stuttgarter Hospitalhof. Sie schreibt also nicht das, was sie sowieso schon denkt und weiß, sondern beginnt einen offenen Nachfrageprozess, der auch gefundene Antworten gleich wieder infrage stellt. „Allesfresser“ ist ein Musterbeispiel für diese Methode.

Ein Fernsehkoch wird entführt

Ein Fernsehkoch, der Veganismus wiederholt zur gefährlichen Irrlehre erklärt hat, ist entführt worden. Aus diversen anonymen Äußerungen im Netz muss die Polizei schließen, dass der Mann in Lebensgefahr schwebt. Der Beginn des Engagements von Lisa Nerz ist moralisch noch eindeutig: Kein Debattengegenstand rechtfertigt den Mord an Andersdenkenden. Doch während Nerz auf Facebook und in Gemüse-Smoothie-Kneipen nach Kontakten zu radikalen Veganern sucht, wird sie tief in ethische Debatten verwickelt. Es geht eben nicht nur um Theorien zur Gesundheit veganer Diäten, es geht auch um die Frage, warum wir glauben, Tiere abermillionenfach zu Qual und Tod verdammen zu dürfen.

„Allesfresser“ liest sich wie die problembewusste Fortsetzung von Wolfgang Schorlaus „Am zwölften Tag“. Schorlaus Stuttgarter Ermittler Dengler wird sich über die ganze Dimension der Massentierhaltung klar, er sieht das Elend in den Ställen, begreift, welchen Cocktail aus Horror und Antibiotika Billigfleisch darstellt. Er wird von nun an kein Putenschnitzel aus dem Supermarkt mehr essen, so wenig wie der Autor selbst, der in einem Nachwort der eigenen Erschütterung Ausdruck verlieh.

Lehmann aber denkt sich selbst und den Leser konsequent in die Sackgasse des aufrechten Tierschutzes. Egal, was er wie tut, der Mensch beutet andere Kreaturen aus. Jene verhärmten Gestalten des Romans, die radikal anders zu leben versuchen, sind keine Witzfiguren, sondern meist tragisch Scheiternde. Allerdings wird auch eine andere Lisa-Nerz-Tradition fortgesetzt: Diese Krimis suchen die gefährlichen Schnittstellen von Persönlichkeitsstörungen und Ideologiestarre, den Umschlag der Rechthaberei in Gewalt.

Die Frage nach dem, was auf den Teller sollte und was nicht, wird für Lehmanns Figuren zum Lähmgift der Lebensfreude. So beendet die Autorin ihre Lesung denn auch mit der Schlussfrage des Buches: „Was ist nur aus der Welt geworden, dass wir uns so sehr vor unserem Essen fürchten müssen?“