Die Polizeistatistik zeigt einen starken Anstieg der Flüchtlingskriminalität in Ludwigsburg und Umgebung. Doch werden Zuwanderer tatsächlich häufiger straffällig als Einheimische? Die Suche nach einer Antwort ist schwierig – bringt aber überraschende Erkenntnisse.

Ludwigsburg - Es sind 86 eng bedruckte Seiten, die das Ludwigsburger Polizeipräsidium unter dem Titel „Polizeiliche Kriminalstatistik 2016“ jüngst veröffentlicht hat. 86 Seiten voller Zahlen, Tabellen und Interpretationen – und teils voller gesellschaftlichem Zündstoff.

 

Unter dem Kapitel „Straftaten im Kontext der Zuwanderung“ findet der Leser des öffentlich zugänglichen Papiers auf den ersten Blick Erschreckendes: Um 69,3 Prozent hat die Zahl der von Asylbewerbern und Flüchtlingen begangenen Straftaten im vergangenen Jahr zugenommen. Die Zahl der Tatverdächtigen aus dieser Gruppe stieg um 39,2 Punkte, jeweils verglichen mit dem Vorjahreswert. Als Flüchtling gilt hier, wer einen Asylantrag gestellt hat, geduldet ist, sich unerlaubt in Deutschland aufhält oder wer als Bürgerkriegsflüchtling kam. Kurios dabei: da weder Kreis- noch Landesverwaltung genaue Erhebungen über diese Gruppe haben, wird ihre Größe für die Kriminalstatistik geschätzt.

Auf den ersten Blick erschreckende Zahlen

Rund 1,5 Prozent der Gesamtbevölkerung gelte demnach als Flüchtling, erklärt Carsten Dehner, Sprecher von Innenminister Thomas Strobl (CDU). Im Landkreis Ludwigsburg trifft diese Definition so rund 8000 Menschen im vergangenen Jahr. 1049 Personen davon wurden laut der Polizeistatistik dabei straffällig – so gesehen jeder achte Flüchtling. Zum Vergleich: 6207 deutsche Staatsbürger gibt das polizeiliche Zahlenwerk für das Jahr 2016 als Tatverdächtige aus. Von den rund 447 000 deutschen Einwohnern des Kreises wurde also nur jeder 72. strafrechtlich auffällig.

So frappierend diese Gegenüberstellung zunächst ist und so einfache Schlüsse sie scheinbar zulässt – die Realität ist deutlich komplizierter. Wirklich vergleichbar seien die Zahlen nicht, erklärt Dehner. Auch Jürgen Hauber vom Ludwigsburger Präsidium sagt: „Die Zahlen mögen erschrecken, sind aber einzuordnen.“ Dabei geht es weder darum zu verharmlosen noch aufzustacheln, sondern um eine seriöse Bewertung. Hauber, im Präsidium der Ansprechpartner für dieses Thema, sagt: „Wir sind nicht blauäugig, sondern haben Erklärungsansätze.“

Schwarzfahren ist eine Straftat und geht in die Statistik ein

Zunächst ist vor allem die steigende Zahl an Flüchtlingen und Asylbewerbern im Kreis insgesamt zu nennen. Laut Kreisverwaltung kamen 2015 insgesamt 3790 Personen, in den nächsten zwölf Monaten 3136 Flüchtlinge, in diesem Jahr sind es bislang 532 Menschen. Dieser massive Anstieg führt zwangsläufig zu mehr Straftaten, erklären die Experten – in Kombination mit einem weiteren Phänomen: im Vergleich mit den übrigen 534 000 Einwohnern des Landkreises ist unter den Migranten die Gruppe der 16 bis 25 Jahre alten Männer stark überrepräsentiert. Jene Altersklasse also, die überdurchschnittlich häufig straffällig wird, erklärt Carsten Dehner. Anders gesagt: Altersschichten, die erfahrungsgemäß deutlich seltener Straftaten begehen, fehlen gewissermaßen als „Ausgleich“ unter den Migranten und verzerren so das statistische Bild.

Ein detaillierter Blick auf die insgesamt 1635 Straftaten der Flüchtlinge im vergangenen Jahr zeigt: Abzüglich ausländerrechtlicher Verstöße verbleiben 1561 Fälle, hier verzeichnen die Beamten eine Steigerung um fast 80 Prozent. Weit überwiegend handelt es sich um Ladendiebstähle, um Warenbestellungen, die nicht bezahlt werden – und um das Schwarzfahren im öffentlichen Nahverkehr. In die Statistik findet das als „Erschleichen von Leistungen“ Eingang und treibt nach Auskunft der Polizei die Fallzahlen nach oben. „Wir haben es hier mit typischen Fällen von Armutskriminalität zu tun“, sagt Carsten Dehner.

Größere Sorgen macht den Polizisten gleichwohl die Zahl der Körperverletzungen von Flüchtlingen in den Kreisen Böblingen und Ludwigsburg. Sie stieg von 189 auf 479. Mehr als 180-mal waren allerdings Migranten selbst die Opfer der Attacken. „Wir zählen sehr viele Auseinandersetzungen untereinander, gerade in den großen Unterkünften“, erklärt Hauber.

Ermittlungsgruppe gegen Intensivtäter

Im Fokus der Öffentlichkeit stehen nach der Kölner Silvesternacht „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“, also sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung. Hier sprechen die Beamten von „geringen Fallzahlen“ und einer „untergeordneten Rolle“. Gleichwohl verzeichnen sie in den beiden Landkreisen eine Steigerung von zwölf auf 33 Delikte und damit einen Zuwachs von 175 Prozent. Nicht zu unterschätzen sei dabei das veränderte Anzeigeverhalten nach Köln, erklären die Beamten.

„Flüchtlinge sind in der Kriminalität angekommen“: Dieses Fazit zog der Staatssekretär im Innenministerium, Martin Jäger, bei der Vorstellung der landesweiten Kriminalstatistik im März. Man wolle das Thema weder „verschweigen noch dramatisieren“. Gerade eine kleine Gruppe von Intensivtätern richte „großen Schaden“ an. Genau jenen widmet sich deshalb eine spezielle Ermittlungsgruppe des Ludwigsburger Polizeipräsidiums. Hier würden alle Straftäter behandelt, die innerhalb von sechs Monaten mindestens fünfmal auffällig werden, erklärt der Polizeipräsident Frank Rebholz. Das Ziel sei, schnell an Haftbefehle zu kommen, um direkte Konsequenzen klarzumachen. Auch Abschiebungen sollen so schneller erreicht werden. Rund ein Dutzend solcher Intensivtäter gebe es bisher im Kreis, schätzt Jürgen Hauber. Bei ihnen müsse man Zeichen setzen gegen „falsch verstandene Liberalität“.