Auch die zweite Staffel von „Schuld“ setzt stilistisch Maßstäbe. Im erlesenen Ensemble um Moritz Bleibtreu ist auch der Dresdner Tom Wlaschiha zu sehen, der sonst Weltserien wie „Game Of Thrones“ dreht.

Stuttgart - Zigarettenrauch ist rar geworden in Film und Fernsehen. Seit die Bilder laufen lernten, wurde gequalmt, doch seit niemand mehr der Mär vom harmlosen Lifestyleprodukt aufsitzt, ist die Kippe zur jämmerlichen Randfigur verkommen. Selbst in der Mafia-Dystopie „Gomorra“ pafft der Auftragskiller elektrisch. Fiktionales Nikotin inhalieren eigentlich nur noch Kriminelle, Junkies, Schwarz-Weiß-Helden.

 

Oder Friedrich Kronberg.

Und wie! Schon wenn die Hauptfigur der fabelhaften Anwaltsreihe „Schuld“ nach einem Roman von Ferdinand von Schirach ihr silbernes Zigarettenetui öffnet, durchweht großes Kino die Szene. Hält es der Strafverteidiger dann höflich seinem Gegenüber entgegen, fühlt sich das Publikum zurückversetzt in Zeiten, da Film noch wirklich wirken wollte, statt bloß zu knallen. Und wenn Kronberg, wie in den ersten sechs Folgen vor drei Jahren gespielt von Moritz Bleibtreu, sich selbst eine ansteckt, steht alles für einen Moment ganz im Schatten dieser Geste. Was angesichts der Darsteller schon etwas heißen will.

Der Inhalt ist wichtiger als die Hülle

Lars Eidinger zum Beispiel ist als Drogenkurier im brasilianischen Knast zu sehen, Martin Brambach als Verkehrssünder im deutschen Vorort, Josefine Preuß als Tatverdächtige im Mordprozess, Jürgen Vogel als Topmanager im Reichenghetto. Als Protagonisten real existierender Fälle des Staranwalts mit tiefbraunem Urahn (Reichsjugendführer Baldur von Schirach) schreiben sie im ZDF alle erneut TV-Geschichte. Das Leitmedium wagt nur selten so viel Zukunft mit den Mitteln der Vergangenheit. Ohne selbstverliebte Tricks wie die dauernden Splitscreens früherer Schirach-Adaptionen („Verbrechen“) darf die Atmosphäre von „Schuld“ ganz aus der Geschichte heraus wachsen. Inhalt schlägt Hülle, Ausstrahlung schlägt Effekte. Endlich!

Im ersten Teil will sich ein verurteilter Kinderschänder nach der Haftentlassung am damaligen Opfer rächen, das ihn einst beschuldigt und seine Existenz zerstört hat. Unter der Regie von Hannu Salonen spielt Maria Dragus das erwachsene Mädchen dabei mit ebenso zurückhaltender Wucht wie Marcus Mittermeiers das Justizopfer und Natalia Blitski dessen Frau. Kamera, Schnitt, Licht, Kulisse, Ton – alles stellt sich intensiv und doch selbstlos in den Dienst der 45-minütigen Geschichte, so dass die Schauspieler organisch in ihre Charaktere hineinwachsen können.

Wlaschiha hat sich 2008 eine Agentur in London besorgt

Schon in der ersten Staffel war das Casting von Produzent Oliver Berben bemerkenswert. Devid Striesow, Bibiana Beglau, Mišel Maticevic, Aylin Tezel, Benjamin Salder, Anna Maria Mühe, Jörg Hartmann, Alina Levshin, Godehard Giese – bis in die kleinste Nebenrolle hinein war die Besetzungsliste mit potenziellen Hauptdarstellern gespickt. Diesmal nun spielt Iris Berben die Randfigur der Mutter des Täters im zweiten Teil namens „Anatomie“, der bizarren Story eines Unfallopfers, dessen Tod offenbar einen Ritualmord verhindert. Hier ist auch als Kommissar in kleiner Rolle der weltweit gefragte Tom Wlaschiha zu sehen, der aus der globalen „Game Of Thrones“-Welt zurückkehrt in die deutsche Fernsehprovinz.

„Kleine Rolle?“, fragt der langjährige Theatermann empört. „Es gibt keine kleinen Rollen, es gibt nur gute oder schlechte.“ Und diese sei definitiv gut – wegen des Regisseurs, mit dem Wlaschiha bereits drei Staffeln der britischen Krimi-Serie „Crossing Lines“ gedreht hat, aber auch, weil in Deutschland längst „genauso professionell gearbeitet“ werde wie bei internationalen Produktionen. Dort allerdings verdient der Mittvierziger aus Dresden gutes Geld, seitdem er sich 2008 eine Londoner Agentur besorgt und zwei Jahre später in der BBC-Serie „The Deep“ mitgespielt hat.

Der größte Unterschied zur globalen Serienwelt: die Bezahlung

Seither ist kaum ein Deutscher im Ausland aktiver – schon weil er dank eines Schuljahrs in Amerika gleich nach der Wende fast makellos Englisch spricht. Besteht in den USA nicht die Gefahr, der Wehrmachtssoldat vom Dienst zu werden? „Ach“, räumt Tom Wlaschiha fröhlich ein, „der war auch schon dabei.“ Freie Auswahl hat also auch er nicht, der sanfte Deutsche mit den blauen Augen hinter dem Gestaltwandler Jaqen H’ghar in „Game Of Thrones“. Kein Problem, meint er. Deutsches Fernsehen brauche sich nicht zu verstecken. Der Unterschied schlage sich eher finanziell als qualitativ nieder, „also auf dem Zeitkonto“.

Dass er dabei ist, wirft ein Schlaglicht aufs deutsche Fernsehen insgesamt, das dem globalen Trend zu herausragenden Besetzungen langsam, aber sicher folgt. Während Serien von ABC über HBO bis Netflix reihenweise Oscar-Gewinner engagieren, schien es hierzulande lange Zeit unschicklich, in Reihe zu produzieren. Doch was sich vor sieben Jahren dank Dominik Grafs Zehnteiler „Im Angesicht des Verbrechens“ zaghaft zu wandeln begann, hat sich zuletzt bei toll besetzten Nischenprodukten wie „jerks.“ (Maxdome) oder „4 Blocks“ (TNT) rasant beschleunigt. Ein Kurzfilmkunstwerk wie „Schuld“ setzt das im Grunde nur fort. Dramaturgisch mag der Vierteiler als Krimi mit etwas Justiz konventionell erscheinen – stilistisch aber setzt er Maßstäbe im Dunst der Zigaretten.

Die erste Folge läuft an diesem Freitag um 21.15 im ZDF, die weiteren an den folgenden Freitagen jeweils zur selben Zeit.