Heiter, melancholisch, altersweise: Die Countrylegende Kris Kristofferson musiziert im Ludwigsburger Forum im Herbst ihrer Karriere.

Ludwigsburg - Die amerikanische Countryszene hatte stets ihre zwei Gesichter. Zu sehen gab es lange Jahre aber nur eines davon. Zwischen Nashville und Kentucky skizzierten rechtschaffene Recken wie George Jones oder „singing cowboys“ wie Roy Rodgers einen Traditionskosmos, in dem Männer den Himmel auf Erden auf dem Rücken der Pferde und Frauen am heimischen Herd zu finden hatten.

 

Doch der wilde Westen ist ein weites Land, das auf jede glückliche Kleinfamilie die doppelte Zahl von ewig Hoffenden, von Gescheiterten und Gebrochenen hervorbringt – frag nach bei Johnny Cash, Willie Nelson, Waylon Jennings. Oder bei Kris Kristofferson. Der Texas-Man, Jahrgang 1936, ist einer der letzten „Outlaws“, die der Countryszene ab 1970 die Maske der vermeintlich heilen Welt vom Gesicht rissen und sie mit dem wahren Leben konfrontierten: traumatisierten GIs (wie im „Broken Freedom Song“), Drogenabhängigkeit, den Morden an Martin Luther King oder Mahatma Gandhi („They killed him“). Eine Karriere bei der Army stand dem ehemaligen Hubschrauberpiloten offen, doch Kristofferson schrubbte lieber in den Columbia-Studios den Fußboden, um Johnny Cash nahe zu sein, der dort Mitte der sechziger Jahre seine Erfolgsplatten aufnahm. Und ja: Es dauerte nicht lange, bis Cash und viele weitere Kollegen Kristoffersons Kompositionen in ihr Oeuvre integrierten.

Die Jahre haben ihre Spuren hinterlassen

Diese Vita und Kristoffersons Alter (wer weiß schon, wie viel Zeit einem noch bleibt?): Mehr gute Gründe braucht es nicht, um am Freitagabend ins Forum nach Ludwigsburg zu kommen. Die Konzertplakate zeigen noch den distinguierten „elder statesman“, die Country-Legende Kristofferson – das Foto milde ausgeleuchtet und mit den Segnungen digitaler Bildbearbeitungsprogramme aufbereitet.

Doch die Jahre haben ihre Spuren hinterlassen. Im Forum gastiert ein Künstler, der kaum protestieren dürfte, wenn man ihn „Senior“ nennt. Begleitet wird er an diesem Abend von drei jungen Musikern, die seine Söhne sein könnten. Es sind gute Söhne, die deutschen Kristofferson-Verehrer der Band Rocket To Stardom, die seit 2013 gelegentlich als seine Tourband agieren. Respektvoll halten sie Abstand, wenn sie gemeinsam mit ihrem Idol musizieren, schauen immer wieder nach, ob es eventuell etwas zu assistieren gibt.

Doch rund drei Viertel des Abends bestreitet Kristofferson im Alleingang: die Stimme gut gegerbt, das Äußere unprätentiös zerknautscht. Das hier ein Mann im Herbst seines Lebens auf der Bühne steht, ist nicht zu übersehen und nicht zu überhören. Ein Krächzen schleicht sich des Öfteren in seinen brüchig gewordenen Gesang, und die Finger liegen nicht mehr geschmeidig an den Saiten an, krampfen sich eher um das Griffbrett. Zwei, drei Mal vergaloppiert sich Kristofferson gar veritabel, landet in einer gitarristischen Sackgasse. Dann bricht er ab, murmelt eine charmante Entschuldigung Marke „was spiel’ ich hier denn gerade“, sortiert sich neu. Aber es gibt Wichtigeres als die Tatsache, ob ein hier Altmeister des Genres beim Gitarre- und Mundharmonikaspielen noch durchgehend den richtigen Ton trifft: Kristoffersons Lieder, seine Haltung, seine Botschaften – Songs aus einer anderen Welt, als Amerika noch nicht psychisch schwerstauffällige Lügenbarone zum Präsidenten wählte, sondern allenfalls mittelmäßige Schauspieler, Erdnussfarmer oder Sex-Maniacs.

Das Forum in Ludwigsburg ist fast ausverkauft

Als aufrechte Kerle den Abend noch mit seriösen Rauschmitteln wie Whiskey und Bier verbrachten und den Kater am anderen Morgen gleich mit dem nächsten Drink kurierten und nicht ein halbes Chemielabor aufgefahren haben, um von Freitag nacht bis Montag morgen durchzufeiern. Für diese Lieder, für dieses verlorengehende Lebensgefühl strömen die 1100 Besucher ins fast ausverkaufte Forum, für eine Begegnung mit einer Welt, die schon damals nicht heil, aber deutlich ehrlicher war. Schon früh am Abend kommt „Me and Bobby McGee“, sein bekanntester Song, als Nummer vier im rund 30 Lieder starken Set, in dem immer wieder leiser Schalk aufblitzt – und eine gesunde Selbsteinschätzung. Der Refrain von „Help me make it through the Night“ wird da mit feiner Ironie zu „Help me make it through tonight“ – Herr, hilf mir durch diese Show heute abend.

Und immer wieder: Sehnsucht und die Suche nach Erkenntnis, nach innerem Frieden. „A Moment of Forever“ wird zur bewegenden Ode an einen Zipfel Zeitlosigkeit, den man für den Hauch eines Augenblickes zu fassen bekommt. Zum knochigen Existenzialismus, wie Johnny Cash ihn im Schlussakt seines Karriere lebte, dringt Kristofferson dabei nicht vor. Aber Cash, der krebskranke „Man in Black“, musizierte damals im Angesicht des Todes. Kristofferson hingegen tut es mit der warmen Dankbarkeit eines Mannes, der sich nur mit ein paar eher harmlosen Zipperlein des Alters herumschlagen muss. Der Applaus nach rund 90 Minuten und nur einer kurzen Zugabe (mehr braucht es auch nicht): Er gilt mehr Kristoffersons Lebenswerk als diesem Abend an sich. Aber den hat er sich redlich verdient.