Mexikos Präsident Peña Nieto durchlebt die schwerste Krise seiner Amtszeit. Sein dilettantisches Verhalten angesichts des mutmaßlichen Massakers an 43 Studenten schürt den Volkszorn.

Korrespondenten: Klaus Ehringfeld (ehr)

Mexiko City - Was man derzeit in Mexiko verfolgen kann, sind nicht nur die Abgründe eines in Teilen von Mafiabanden gekaperten Staates. Es ist auch die Demontage eines großen Versprechens. Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto, ein Beau mit Jungencharme und Dauerlächeln, stürzt in diesen Wochen vom hoffnungsvollen Landesvater zu einem hilflosen Krisenmanager. Sein dilettantisches Verhalten angesichts des Massakers an 43 Studenten hat schon den Volkszorn geschürt. Und nun kommen noch Vorwürfe der Bestechlichkeit hinzu: Seine Frau Angélica Rivera, eine Seifenoper-Schönheit, hat ein Luxusanwesen für sieben Millionen Dollar in Mexiko-Stadt erstanden – ausgerechnet von der Firma eines Unternehmers, der von Peña Nieto seit vielen Jahren schon Staatsaufträge bekommt.

 

Die Wut der Mexikaner auf die Mächtigen steigt

Die Fakten sprechen eine klare Sprache: 43 junge Männer, die seit acht Wochen unauffindbar sind, Geständnisse von bestialischen Hinrichtungen, fast jeden Tag neue Massengräber, Politiker auf der Gehaltsliste des organisierten Verbrechens. Während Mexikos Abgründe sichtbar werden, lässt sich das Präsidentenpaar ein Anwesen aus der Architektur-Biennale errichten. Die Wut der Mexikaner auf die Mächtigen steigt, Autos und Regierungsgebäude brennen. Und der Präsident? Er schmollt, sieht sich diffamiert – und die Gattin verkündet eilig, das Haus solle wieder verkauft werden. Als sei damit alles in Ordnung.

Peña Nieto, 48, seit zwei Jahren im Amt und bisher mit Lob von Medien und Wirtschaft überhäuft, erlebt die schwersten Wochen seines Mandats. Seit dem Verbrechen an den jungen Leuten ist Mexiko in der internationalen Wahrnehmung von einem vielversprechenden Land im Modernisierungsschwung zu einem Land der Mafiamörder geworden, in dem in manchen Regionen nicht der Staat, sondern sinistre Figuren aus der Unterwelt herrschen.

Die Mafia haben teils die Machtapparate übernommen

Dabei ist Mexiko beides in einem. Ein Land in Hand der Mafias und ein wirtschaftlich erfolgreiches Schwellenland. Hier Orte wie Iguala, wo Politik und Polizei gemeinsame Sache mit dem organisierten Verbrechen machen. Dort Orte wie Puebla, wo Volkswagen seit Jahrzehnten und Audi demnächst Autos baut. Beide Realitäten trennen kaum 300 Kilometer.

In Mexiko „koexistieren verschiedene Welten, die sich nur selten überschneiden“, sagt ein Wirtschaftsexperte. Moderne Städte und Regionen mit einer hohen Lebensqualität und einer wettbewerbsfähigen Industrie kontrastieren mit agrarisch geprägten Staaten wie Guerrero, in dem manche Gemeinden laut Vereinten Nationen so rückständig sind wie afrikanische Dörfer. Vor allem in solchen ländlichen Gebieten unterwandern die Mafiabanden seit Jahren systematisch Teile der Machtapparate oder übernehmen sie ganz. Meist kontrollieren die Verbrecher die Polizei, den Bürgermeister, selbst Gouverneure. Manchmal aber sind die Staatsdiener gleich selbst Mitglieder der Mafia. Die Übergänge sind fließend.

Der Präsident sprach nur noch vom erfolgreichen Mexiko

Dieses dunkle und gewalttätige Mexiko hat Peña Nieto seit Dezember 2012 konsequent aus seinen Reden verbannt. Er sprach nur von dem aufstrebenden, dem erfolgreichen Mexiko. Er verkaufte die 14.-größte Volkswirtschaft der Welt als das Paradies für Investoren, das sich öffnet, reformiert und zu den großen Industrienationen aufschließen will. Die Mexikaner und die Weltöffentlichkeit haben ihm das gerne abgekauft. Irgendwie verständlich angesichts des Gemetzels und täglichen Horrors des Drogenkriegs, der Mexiko zwischen 2006 und 2012 im Griff hielt und mehr als 70 000 Tote produzierte.

Da kam jemand wie dieser Sonnyboy gerade recht. Alles an ihm wirkt positiv, sein ganzes Auftreten schien für Land und Leute eine bessere Zukunft zu prophezeien. Doch inzwischen wird der Schatten über ihm mit jedem Tag länger.

Die Dimension des Dramas zu spät erkannt

Denn der Präsident hat die Dimension des Dramas viel zu spät erfasst. Erst hat er das Verschwinden der Studenten ignoriert, dann als lokales Problem dargestellt. Als sich die Welt empörte, reagierte schließlich auch der Staatschef. Der Lateinamerika-Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, José Miguel Vivanco, kritisierte ungewöhnlich scharf: „Zu spät, Präsident, zu spät.“ Zumal man sich nicht des Eindrucks erwehren kann, dass Peña Nieto nicht so sehr Mitgefühl mit den Opfern und Familien empfindet, sondern mehr um den gerade erst mühsam aufpolierten Ruf seines Landes fürchtet.

Das hilflose Agieren des Staatschefs während der vergangenen Wochen weckt nochmals die Erinnerung daran, wie er an die Macht kam. Peña Nieto, Ex-Gouverneur des Bundesstaats Mexiko, wurde vom allmächtigen Fernsehsender Televisa, Lateinamerikas größtem Medienimperium, massiv gefördert. Im November 2010 heiratete EPN, wie er kurz genannt wird, Angélica Rivera, das Telenovela-Sternchen des Senders. Die Verlobung gaben sie natürlich in Televisa bekannt, die Heirat und der Wahlkampf waren wochenlang Aufmacher-Themen im Fernsehprogramm.

Der Präsident stößt an seine Grenzen

Für den mexikanischen Essayisten und Philosophen Juan Villoro ist der Präsident dann auch ein „mediales Kunstprodukt“, geschaffen von Televisa, um die PRI wieder an die Macht zu bringen. Die Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI), die 71 Jahre lang schon einmal die Geschicke Mexikos bestimmte, wurde 2000 abgewählt, jetzt ist sie wieder da – dank Peña Nieto und Televisa.

In diesen Krisenzeiten aber zeigt sich, dass es mehr braucht als einen Beau mit Jungencharme und einem Medienimperium im Rücken, um Mexiko wieder in die Spur zu bringen. Doch Enrique Peña Nieto, weder besonders visionär noch sehr intellektuell, stößt bei der Beilegung der Krise jeden Tag an seine Grenzen.