Die Bundesregierung lädt an diesem Mittwoch zum Dieselgipfel nach Berlin. Die Branche muss Farbe bekennen. Ohne klares Konzept für die Eindämmung der Stickoxidemissionen wird es eng für den Selbstzünder, dessen Zukunft düster aussieht.

Stuttgart - Die Front bröckelt, die ersten Autobauer gehen auf Distanz zum Diesel. So hat Porsche-Chef Oliver Blume jüngst erklärt, der Sportwagenbauer beschäftige sich „natürlich“ mit dem möglichen Abschied vom Diesel; beschlossen sei aber noch nichts. Volvo-Chef Hakan Samuelsson verkündete, dass keine neue Diesel-Generation mehr entwickelt werde. Und auch VW-Chef Matthias Müller hängt nicht um jeden Preis am Selbstzünder. Bei angemessenen Vorlaufzeiten, so sagte er, sei ein verbindlicher Termin für den Ausstieg aus dem Dieselantrieb durchaus vorstellbar. Bedingung: Unterstützung für die Branche bei der Elektromobilität. Das ist ein Zusammenhang, der Daimler-Chef Dieter Zetsche freilich überhaupt nicht einleuchtet.

 

Lohnt es sich, für den Diesel zu kämpfen?

„Wir wollen beides anbieten: attraktive Elektrofahrzeuge und hochmoderne Dieselmotoren, die schon heute künftige Emissionsanforderungen erfüllen“, sagte Zetsche vor wenigen Tagen. Als Beispiel dafür, dass moderne Dieselmotoren in der Lage sind, alle geforderten Grenzwerte einzuhalten, gilt der Mercedes-Motor mit der internen Bezeichnung OM 654. Davon hat sich auch die kritische Deutsche Umwelthilfe überzeugen lassen. Zetsche: „Es lohnt sich, für den Diesel zu kämpfen.“ Aber er hat auch gesagt: „Wie die meisten in der Branche sind wir davon überzeugt, dass die Reise in Richtung Elektromobilität geht.“

Ein Insider mit Zugang zu großen Unternehmen der Branche sieht Bekenntnisse zum Diesel mit Blick auf die Zukunft mit Skepsis. „Es werden schon jetzt Investitionen gestoppt und Leute aus den Entwicklungsabteilungen versetzt“, hat er beobachtet.

Bosch hält am Verbrennungsmotor fest

Bei dem Dieselspezialisten Bosch reduzieren Hersteller von Personenwagen nach Angaben eines Sprechers gegenwärtig die Abrufe gegenüber den ursprünglichen Planungen. Wo nötig, so sagte er, nutzen die deutschen Standorte die verfügbaren Flexibilisierungsmöglichkeiten. Die Diesel-Entwicklung bei Bosch ist zurzeit unter anderem mit 300 Projekten ausgelastet, bei denen es um RDE geht, die neue Emissionsmessung im Straßenverkehr statt auf dem Prüfstand. Bosch wolle auch in Zukunft am Verbrennungsmotor festhalten, heißt es, und in die Weiterentwicklung von Diesel- und Ottomotor investieren.

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Die Käufer sind verunsichert

Diskussionen um Fahrverbote, ausgelöst durch die hohen Stickoxid-Emissionen von Dieselmotoren, verunsichern natürlich auch potenzielle Käufer. Die Statistik spricht eine klare Sprache. So sind in Deutschland im ersten Halbjahr 2017 die Diesel-Neuzulassungen gegenüber dem Vorjahr um neun Prozent geschrumpft. Der Dieselanteil an den Neuzulassungen insgesamt betrug in dieser Zeit 41 Prozent. Zum Vergleich: Anfang 2015 waren es noch 51 Prozent. Ferdinand Dudenhöffer, Chef des CAR-Instituts an der Uni Duisburg-Essen, prognostiziert ebenso wie andere Experten, dass es weiter abwärts gehen wird.

Dazu passt eine Forsa-Umfrage, nach der nur noch zwei von fünf Diesel-Fahrern die erneute Anschaffung eines Selbstzünders planen; der Rest will wechseln oder ist unsicher. Auch eine Umfrage der Deutschen Automobil Treuhand (DAT) vom Juni zur Zukunft des Diesels sieht den Antrieb im Abwärtsstrudel. 64 Prozent der befragten Endverbraucher glauben, dass der Diesel an Bedeutung verlieren wird. Im April waren es bei der gleichen Frage erst 57 Prozent.

Die Kunden überlegen länger, bis sie einen Diesel kaufen

Drastische Wertverluste gebrauchter Diesel-Fahrzeuge lassen sich nach DAT-Angaben bisher nicht feststellen. Dreijährige Gebrauchtwagen liegen mit 55,2 Prozent des einstigen Listenpreises nur um 1,1 Prozentpunkte unter vergleichbaren Benzinern. Allerdings stehen die Autos jetzt länger, bis sich ein Käufer findet. Aktuell sind es im Durchschnitt laut DAT 99 Tage – fünf Tage mehr als im April.

Ein Aus für den Diesel hätte gravierende Folgen für die Arbeitsplätze. In Deutschland hängen nach Schätzung der IG Metall etwa 70 000 Arbeits-plätze an Entwicklung und Produktion von Dieselmotoren für Personenwagen. „Wenn alle Kunden vom Diesel auf Benziner umsteigen, würden ungefähr 15 000 Beschäftigte weniger gebraucht“, sagt Frank Iwer, Autoexperte beim IG-Metall-Vorstand. Denn Benzinmotoren bestehen aus weniger Teilen und sind nicht so komplex wie Dieselantriebe.

Es wird schwerer, die Emissionsziele zu erreichen

Ein weiter schrumpfender Dieselanteil hat auch Folgen für die Umwelt, denn es wird schwerer, Emissionsziele zu erreichen. Der Grund: die CO2-Bilanz des Selbstzünders ist um etwa 15 Prozent besser als beim Ottomotor – eine Folge des um etwa 20 Prozent geringeren Spritverbrauchs. „Ohne Dieselmotoren wird es nicht möglich sein, die von der EU geforderten CO2-Emissionswerte bis 2020/2021 zu erreichen“, steht in einer Studie der Unternehmensberatung Roland Berger.

Dieselmotoren sind etwa doppelt so teuer wie vergleichbare Ottomotoren. Wegen der teuren Abgasreinigung steigen die Investitionen, so dass sie sich für die Hersteller von Kleinwagen nicht mehr rechnen. Roland Berger sieht deshalb die Zukunft des Diesels vor allem in der Oberklasse. Was noch dafür spricht: In diesem Segment lässt sich mit dem Diesel deutlich mehr CO2 einsparen als bei Kleinautos.

Außerhalb Europas ist das Interesse am Diesel gering

Die Investitionen in neue Dieselmotoren sind hoch; bei Daimler waren es 2,6 Milliarden Euro für die jüngste Motorengeneration. Ein weiteres Handicap liegt darin, dass sich die Investitionen auf eher geringe Stückzahlen verteilen. Denn außerhalb Europas sind Diesel-Personenwagen kaum verkäuflich. In den USA und erst recht in China liegt der Marktanteil im unteren einstelligen Prozentbereich. Mercedes hat nach eigenen Angaben in vielen Ländern Europas einen Dieselanteil am Absatz von über 50 Prozent. Der Autoexperte Dudenhöffer schätzt, dass Mercedes, BMW und Audi weltweit auf 25 bis 30 Prozent Dieselanteil kommen.

Krasse Abweichungen zwischen Labor und Realität

Dieselmotoren sind in den vergangenen Jahren deutlich sauberer geworden. „Ein modernes Dieselauto stößt heute 98 Prozent weniger Stickoxide aus als vor 25 Jahren. Auch an den übrigen zwei Prozent arbeitet die Industrie mit Hochdruck“, versucht der Wirtschaftsrat der CDU in einem Papier Stimmung für den Antrieb zu machen. Fortschritte auf dem Prüfstand sind jedoch das eine, wirklich niedrigere Emissionen im Straßenverkehr das andere. Eine Diskrepanz zwischen diesen Werten besteht seit jeher, aber sie wird immer größer.

Im Jahr 2000, als die Norm Euro 3 galt, wurden laut Umweltbundesamt auf dem Prüfstand 0,5 Gramm Stickoxid pro Kilometer gemessen und auf der Straße 0,8 Gramm – 60 Prozent mehr. Bei Euro 6 (seit 2014) hat sich der gemessene Ausstoß im Verkehr versechsfacht: 0,08 Gramm auf dem Prüfstand und 0,5 Gramm auf der Straße. In Einzelfällen hat die Umwelthilfe noch krassere Abweichungen gemessen: zum Beispiel bei einem B-Klasse-Mercedes mit Renault-Motor den Faktor 13 und bei einem Audi A8 sogar den Faktor 18.

Eine Frage der Außentemperatur

Als mögliche Erklärung gelten zu klein dimensionierte Tanks für die Harnstofflösung Adblue, die den Stickoxidausstoß reduziert. Zudem wird nach Angaben des Umweltbundesamts die Hälfte der Fahrleistung mit Personenwagen in Deutschland bei Temperaturen unter zehn Grad erbracht. Bei Kälte funktioniert die Abgasreinigung beim Diesel aber nur unzureichend – wenn überhaupt. Denn sie darf ganz abgeschaltet werden, wenn es – angeblich – der Schutz des Motors erforderlich macht.

38 Prozent der Stickoxid-Emissionen in Deutschland ordnet das Umweltbundesamt dem Straßenverkehr zu. Dabei ist der Anteil des Verkehrs an den Stickoxid-Emissionen seit 1990 nicht nur deutlich geschrumpft (Anteil damals 51 Prozent); auch die Emissionen sind seitdem gesunken: um fast 70 Prozent. Und dies, obwohl zwischen 1995 und 2014 die Fahrleistung von Personenwagen mit Dieselmotor um 185 Prozent gestiegen ist.