Boris Palmer glänzt auf Landesebene. Doch zuhause in Tübingen muss er sich gegen allerlei Vorwürfe wehren.

Tübingen - Reisende mit Tübinger Autokennzeichen können zurzeit überraschende Kommentare hören: "Sie kommen aus Tübingen, der Stadt mit dem beeindruckenden Oberbürgermeister?" Das Lob bezieht sich auf Boris Palmers Engagement im Fall von Stuttgart 21. Der Politikwissenschaftler Hans-Georg Wehling sagt dazu: "Palmer hat in den Schlichtungsgesprächen mit großer Sachkenntnis agiert und gezeigt, dass er einer der wichtigsten Verkehrsexperten der Grünen bundesweit ist." Gleichzeitig habe er sich sehr temperamentvoll geäußert und seine Aussagen immer ein bisschen politisch zugespitzt. In Tübingen selbst spürt Palmer diesen Rückenwind häufig nicht. Im Gegenteil. In Leserbriefen heißt es da: "Denken Sie ja nicht, dass ganz Tübingen hinter Ihnen steht und Sie noch gern gesehen sind, Sie sind nicht mehr vertretbar." Oder auch: "Palmer einsparen, es geht gut ohne."

Politische Gegner unterstellen dem S-21-Gegner sogar einen Bruch des Amtseides, nur zum Wohle der Stadt Tübingen zu handeln. Palmer selbst spricht von "teilweise sehr harten Vorwürfen", mit denen er sich auch auf der Straße konfrontiert sehe, "manches trifft wirklich persönlich". Nach zwei Monaten Elternzeit hat Boris Palmer gestern seine Amtsgeschäfte im Rathaus wieder aufgenommen. An sich keine große Nachricht. Doch angesichts der Diskussionen stellte er sich der Presse. Und siehe da - die Plätze waren so dicht belegt wie seit langem nicht. Grundsätzlich sagt Palmer zu den zwei Monaten mit seiner Tochter: "Die Elternzeit war für mich ein großer Gewinn, ich habe die Zeit sehr genossen." Und dennoch sieht er sich in einer Argumentationsfalle. Dank des großen Einsatzes seiner Verwaltungskollegen habe alles gut funktioniert im Rathaus, seine Fehlzeit sei gut organisiert gewesen.

Kritik an Palmers Beteiligung an der Schlichtung


Also sei nun bewiesen, so werde argumentiert, dass "die Stelle des Oberbürgermeisters wegfallen kann". Wäre aber das Chaos ausgebrochen während seiner Abwesenheit, hätte man ihm ebendies vorgehalten. Fehler habe er durchaus gemacht als OB, aber die Kritik richte sich gegen Themen, die mit seiner Elternzeit nichts zu tun hätten.

Nutzt er die Elternzeit zur eigenen Profilierung? "Ich kann doch nicht in Elternzeit gehen, ohne dass es jemand merkt", sagt er dazu. Aber Homestorys hätten er und seine Frau zugunsten des Privatlebens von vorneherein abgelehnt. Heftig wurde die Kritik an dem Rathauschef, seit er in den Schlichtungsgesprächen am Tisch von Heiner Geißler sitzt. Tenor der Vorwürfe: für Tübingen hat der junge Vater keine Zeit, für Stuttgart 21 schon. "Elternzeit heißt doch nicht, zwei Monate lang nur Windeln zu wechseln", verteidigt sich Palmer. Um zwei Tage in Stuttgart sei es gegangen, die Tübingen nichts kosteten.